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Abschiebungen nach Afghanistan„Klassische Ziele der Taliban“

Kanzlerin Merkel will den Abschiebestopp nach Afghanistan aufheben. Ein interner Bericht zeigt, wie gefährlich die Lage für Rückkehrer ist.

Sicherheitskräfte untersuchen im Mai einen Anschlagsort in Kandahar Foto: dpa

Berlin taz | Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan trägt den Vermerk „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“. Der Inhalt ist brisant. Denn das 31 Seiten umfassende Papier, das der taz vorliegt, liefert die Grundlage für eine umstrittene Entscheidung der Bundesregierung. In der vergangenen Woche gab Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag überraschend bekannt, dass die Regierung in Zukunft wieder uneingeschränkt in das kriegsgeschüttelte Land abschieben möchte.

Doch wie problematisch sind Abschiebungen nach Afghanistan wirklich? Bislang gilt wegen der fragilen Sicherheitslage ein weitgehender Abschiebestopp. Die Bundesländer dürfen nur Straftäter, Gefährder oder Menschen, die bei der Identitätsfeststellung nicht mitwirken, in das Land zurückschicken. In Zukunft könnten sie wieder alle abgelehnten AsylbewerberInnen abschieben, also auch Familien mit Kindern oder traumatisierte junge Männer. Merkel begründete die Kehrtwende ausdrücklich mit dem neuen Lagebericht.

Diese Verknüpfung überrascht. Wer den Bericht liest, bekommt einen Eindruck davon, wie gefährlich die Situation für Rückkehrer in Afghanistan sein kann. Zwar werde keine vom Staat organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ausgeübt, heißt es darin zum Beispiel. Doch das Land befinde sich nach Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte in einer schwierigen Aufbauphase „und einer weiterhin volatilen Sicherheitslage“. Der Bericht zählt diverse Mängel auf.

Die afghanische Regierung sei häufig nicht in der Lage, ihre Schutzverantwortung effektiv wahrzunehmen. Der Grund: Die Zentralregierung hat nur beschränkten Einfluss auf lokale Machthaber und Kommandeure, die ihre Macht missbrauchen. In vielen Regionen gibt es ein komplexes Machtgefüge aus Ethnien, Stämmen, Warlords, privaten Milizen und Polizei- oder Taliban-Kommandeuren. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stünden andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil sei, heißt es in dem Bericht zwar. Aber: „Die humanitäre Lage bleibt schwierig.“

Kaum Ausweichmöglichkeiten vor Ort

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kommt deshalb zu einem ganz anderen Urteil als Merkel und das Kabinett: „Der Lage­be­richt ent­zieht allen Hard­li­nern, die eine här­te­re Abschie­be­pra­xis in das Kriegs- und Kri­sen­land for­dern, die Legi­ti­ma­ti­on.“ Das Auswärtige Amt muss an mehreren Stellen im Bericht einräumen, dass Rückkehrer in Afghanistan gefährlich leben. Immer wieder gibt es dort auch Opfer unter Zivilisten. In ländlichen Gebieten sei dies auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen, fasst das Auswärtige Amt zusammen.

Doch auch die städtische Bevölkerung sei durch Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen bedroht. In dem Lagebericht heißt es: „Dies gilt besonders für die Stadt Kabul, wo sich der Hauptsitz der Zentralregierung, ihrer Repräsentanten und zahlreicher staatlicher Einrichtungen und damit klassische und medienwirksame Ziele der Taliban befinden.“

Ein junger Mann mit einer posttraumatischen Belastungsstörung, der von deutschen Polizeibeamten am Flughafen in Kabul abgesetzt würde, hätte laut dem Bericht kaum Perspektiven. Wo soll er wohnen? Wie arbeiten? Wer behandelt ihn? Ausweichmöglichkeiten seien, so das Auswärtige Amt, vor allem in und um große Städte stark durch Binnenvertriebene und Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan in Anspruch genommen. Schwierig ist es auch, wenn er nicht aus Kabul kommt, denn Reisen im Land sind gefährlich: Auf Landstraßen gibt es illegale Kontrollpunkte von Milizen und Überfälle.

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden in Afghanistan misstrauisch wahrgenommen. Dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen liegen laut dem Auswärtigen Amt Berichte über versuchte Entführungen vor, bei denen die Entführer vermuteten, der Betroffene sei im Ausland zu Vermögen gekommen. Das Fazit des Berichts: „Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab.“ Heißt übersetzt: Abgeschobene, die keine Familie oder kein Geld haben, sind arm dran.

Psychische Erkrankungen stigmatisiert

Auch die medizinische Versorgung ist dürftig. Ein traumatisierter Abgeschobener hätte nur minimale Chancen auf eine Behandlung. Psychische Erkrankungen seien in Afghanistan „hoch stigmatisiert“, heißt es in Bericht. Die Behandlung von solchen Erkrankungen fände nicht ausreichend statt – abgesehen von einzelnen Projekten von Nichtregierungsorganisationen. In Kabul gebe es gerade mal eine staatliche Klinik mit 14 Betten zur stationären Behandlung.

Der Lagebericht basiert auf Informationen, die die deutschen Auslandsvertretungen liefern. In sie fließen Einschätzungen von Nichtregierungsorganisationen, Regierungs- und Oppositionskreisen, Rechtsanwälten und Internationalen Organisationen wie dem UNHCR ein. Indem die Bundesregierung wieder uneingeschränkt nach Afghanistan abschieben lassen will, demonstriert sie, wie unterschiedlich sich Fakten interpretieren lassen. Denn ihr eigener Bericht lässt sich über weite Strecken wie ein detailliertes Plädoyer gegen Abschiebungen lesen.

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1 Kommentar

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  • Für all diejenigen, die Merkels "Wir schaffen das" beim Wort genommen haben und mit angepackt haben und bis heute anpacken, ist Merkels beiläufiges Statement zu zukünftigen uneingeschränkten Abschiebungen nach Afghanistan ein Schlag ins Gesicht.

     

    Man kann keine erfolgreiche Integrationsarbeit machen mit Leuten, die ständig Angst haben müssen, in ein Land abgeschoben zu werden, wo sie wissen, dass sie vor die Hunde gehen.