Abschiebung von Sami A. nach Tunesien: Verwaltungsgericht in die Irre geführt
Zur Abschiebung des Islamisten Sami A. kam es, weil das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen offenbar unvollständig informiert wurde.
Der Tunesier Sami A. wurde abgeschoben, obwohl das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen kurz zuvor Abschiebungshindernisse festgestellt hat. Eine Rückholung ist zwar angeordnet, aber wohl nicht möglich. Der Fall zeigt, dass der grundgesetzlich garantierte Rechtsschutz nichts wert ist, wenn staatliche Behörden aus Hinterlist oder Dusseligkeit schlecht kommunizieren.
Sami A. kam 1997 als Student nach Deutschland. 1999/2000 soll er in einem Al-Kaida-Lager in Afghanistan eine militärische Ausbildung erhalten und zeitweise zur Leibgarde von a-Kaida-Anführer Osama bin Laden gehört haben. Zurück in Deutschland soll er als salafistischer Prediger aktiv gewesen sein. 2006 stellte er einen Asylantrag.
Seit 2010 ist seine Abschiebung nach Tunesien gerichtlich untersagt, weil ihm dort Folter droht. Das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF) widerrief das festgestellte Abschiebungshindernis Ende Juni 2018, weil sich die Verhältnisse in Tunesien verbessert hätten. Darauf leitete die Ausländerbehörde in Bochum die Abschiebung ein, gegen die A.s AnwältInnen mehrere Klagen einlegten.
Am Donnerstag entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (7a-Kammer), dass das Abschiebungshindernis weiterhin besteht. Das BAMF hätte es nicht widerrufen dürfen. Es gebe keine diplomatisch verbindliche Zusage von Tunesien, dass A. menschenwürdig behandelt wird. Eine entsprechende Zusage gegenüber der Bild-Zeitung genüge nicht. Gegen diesen Beschluss will das Land Nordrhein-Westfalen Rechtsmittel einlegen.
Trotz dieser Gerichtsentscheidung wurde A. am Freitag früh per Flugzeug nach Tunesien abgeschoben. Auf Antrag von A.s AnwältInnen beschloss das VG Gelsenkirchen noch am Freitag, dass die Abschiebung „grob rechtswidrig“ war und rückgängig gemacht werden muss.
Wie konnte es dazu kommen?
Allerdings wurde A. schon am Donnerstag von der tunesischen Polizei auf dem Flughafen festgenommen. Er sei seit Januar 2018 wegen Terrorverdachts in Tunesien zur Fahndung ausgeschrieben gewesen. Eine Rücküberstellung nach Deutschland komme nicht in Betracht.
Wie konnte es dazu kommen? Zuständig für die Abschiebung sind die Landesbehörden. Sie beriefen sich auf eine Entscheidung der 8. Kammer des VG Gelsenkirchen vom Mittwoch. Dort wurde die Androhung der Abschiebung gebilligt. Diese ist allerdings nur ein Zwischenschritt im Verfahren. Die Androhung der Abschiebung ist auch möglich, solange noch Abschiebehindernisse bestehen.
Für dieses Verfahren war die 7a-Kammer des Gerichts zuständig. Weil in den Unterlagen ein Abschiebetermin am Donnerstagabend verzeichnet war, forderte das Gericht das BAMF zur Abgabe einer Stillhalteerklärung auf. Das BAMF teilte darauf mit, dies sei nicht erforderlich, weil der vorsorglich gebuchte Flugermin storniert worden sei. Dies habe das BAMF vom zuständigen NRW-Flüchtlingsministerium erfahren. Vom neuen Flugtermin am Freitag Morgen war nicht nicht die Rede.
Die 7a-Kammer fasste dann bis Donnerstag 19.20 Uhr ihren 22-seitigen Beschluss zur Aufrechterhaltung des Abschiebehindernissen. Weil man nichts von der Ansetzung eines neuen Flugs am Freitag früh wusste, wurde der Beschluss aber laut Gericht erst am Freitag um 8.10 Uhr an das BAMF gefaxt und um 8.15 Uhr an die Ausländerbehörde Bochum.
Gezielt ausgetrickst?
Parallel dazu stellten die AnwältInnen A.s am Donnerstag um 17.37 Uhr einen Eilantrag gegen die drohende Abschiebung bei der hierfür zuständigen 8. Kammer des VG. Weil der Antrag unangekündigt kam, war dort aber wohl niemand mehr anwesend. Die 8. Kammer unterrichtete die Ausländerbehörde erst am Freitag 8.45 Uhr von diesem Antrag. Um 9.25 Uhr wurde die Ausländerbehörde telefonisch angewiesen, A. sofort zurückzufliegen.
Das von der Bundespolizei gecharterte Flugzeug startete am Flughafen Düsseldorf am Freitag um 6.53 Uhr und landetete in Tunesien um 9.11 Uhr. Wann die Festnahme erfolge, bzw. wann der Transitbereich des Flughafens verlassen wurde, ist bisher nicht bekannt. Vorher wäre die von der 8. Kammer des VG verlangte Umkehr nach Deutschland möglich gewesen.
Zu klären ist nun, wer hier wem absichtlich oder fahrlässig Informationen vorenthielt. Es spricht manches dafür, dass das VG Gelsenkirchen hier gezielt ausgetrickst wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin