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Abschiebung jesidischer FamilieGericht zeigt sich ungerührt

Allen Ankündigungen zum Trotz: Eine in den Irak abgeschobene jesidische Familie aus Brandenburg muss im Land der Mörder ihrer Angehörigen bleiben.

Deutsche „Solidarität“ mit verfolgten Jesid:innen: Abschiebeflug von Leipzig nach Bagdad am 22. Juli Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Berlin taz | Alle Proteste halfen nichts. Eine in den Irak abgeschobene jesidische Familie aus Brandenburg hat nach einer Gerichtsentscheidung keine Möglichkeit zur Rückkehr nach Deutschland. Das Verwaltungsgericht Potsdam lehnte jetzt den Antrag der Familie ab, die Abschiebung rückabzuwickeln und ihnen die Wiedereinreise nach Deutschland zu gewähren. Der Beschluss sei unanfechtbar, teilte ein Gerichtssprecher am Donnerstag mit.

Die Familie mit vier minderjährigen Kindern aus Lychen in der Uckermark war am 22. Juli in den Irak ausgeflogen worden, obwohl ein Gericht ihre Ausreisepflicht am selben Tag aufgehoben hatte. Als die Entscheidung in dem Eilverfahren fiel, saß die nach übereinstimmenden Angaben in Lychen bestens integrierte Familie bereits im Flugzeug nach Bagdad.

Der Fall hatte in und weit über Brandenburg hinaus für Schlagzeilen gesorgt. Po­li­ti­ke­r:in­nen von SPD, Grünen und Linken protestierten, Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kündigte eine „kritische Aufarbeitung“ der Abschiebung an, Innenminister René Wilke (parteilos, für SPD) ging mit Blick auf das Urteil im Eilverfahren sogar noch weiter.

Unmittelbar nach der Abschiebung erklärte Wilke: „Angesichts der Verkettung der Umstände, des konkreten Schicksals der Familie und des Gebotes, Rechtskonformität herzustellen, habe ich die zuständigen Behörden in Brandenburg damit beauftragt, in Abstimmung mit den Behörden des Bundes auf die zügige Rückholung der Familie hinzuwirken, sofern die gerichtliche Entscheidung Bestand hat.“

Abschiebestopp erst in Bagdad wirksam

Das Verwaltungsgericht zeigte sich nun ungerührt. Die Entscheidung vom 22. Juli sei den Beteiligten erst nach der Landung in Bagdad bekannt gegeben worden und sei damit auch erst in diesem Moment „wirksam“ geworden. Das Gericht hätte auch sagen können: Pech gehabt. Wörtlich heißt es: „Eine Rückwirkung des Änderungsbeschlusses auf die Zeit vor seiner Bekanntgabe ist nach Auffassung des Gerichtes nicht gegeben.“

Anders als die 2022 aus dem Nord-Irak nach Deutschland gekommene Familie und ihre Anwältin gehen die Potsdamer Rich­te­r:in­nen auch nicht davon aus, dass die Abschiebung überhaupt rechtswidrig war. Nach einer Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vom März 2023 seien die Ly­che­ne­r:in­nen ausreisepflichtig gewesen. Der Asylantrag wurde als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.

Die Je­si­d:in­nen sind eine religiöse Minderheit, die ab 2014 im Irak während der Terrorherrschaft des Islamischen Staats bestialisch verfolgt wurde. Der Bundestag hatte 2023 die Verbrechen des IS als Völkermord anerkannt.

Vergeblich hatte die Familie dabei rund zwei Jahre lang versucht, sich vor Gericht gegen die Ablehnung ihres Asylantrags zu wehren. „Einen Asylantrag von Menschen, die einen Genozid überlebt haben und deren Herkunftsregion immer noch zerstört ist, kann man nicht mit guten Argumenten als offensichtlich unbegründet ablehnen“, sagte die Rechtsanwältin der Familie mit Blick auf die Entscheidung des Bamf.

Die Ablehnung durch das Bamf sei rechtens gewesen, befand nun noch einmal das Verwaltungsgericht. Man sei „weiterhin der Auffassung, dass den Antragstellern keine Schutzrechte zukommen“. Die Klä­ge­r:in­nen hätten im Irak keine „individuelle Verfolgung“ erlitten, die „Gefahr einer solchen Bedrohung etwa durch die Terrororganisation IS“ bestehe nicht mehr. Und überhaupt gebe es „keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Jesiden eine Gruppenverfolgung durch den IS oder eine staatliche Verfolgung im Irak droht“.

Leere Worte zum Jahrestag des Genozids

Am vergangenen Sonntag jährte sich der Beginn des Genozids an den Je­si­d:in­nen im Irak zum elften Mal. Der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Thomas Rachel (CDU), erklärte aus diesem Anlass: „Unsere Gedanken gelten den Ermordeten und dem unermesslichen Leid der Überlebenden und der Angehörigen.“

Bis heute wirkten die traumatischen Erlebnisse der Überlebenden nach, die Zerstörungen in den Heimatregionen der jesidischen Gemeinschaft seien immer noch groß, so Rachel weiter. Und: „Es mangelt oftmals an Zukunftsperspektiven für die betroffenen Familien.“

Die Anerkennung des Völkermords durch den Bundestag 2023 nannte Rachel ein „wichtiges Zeichen für die jesidische Gemeinschaft“. Kein Wort verlor er stattdessen über das mit dem Beschluss verbundene Schutzversprechen gegenüber den Jesid:innen. Schon im Juli hatte ein Bruder der Abgeschobenen zur taz gesagt: „Aktuell fühlt sich das für mich wie eine bloße Floskel an.“

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