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Abschiebestopp von ÊzîdInnenNiedersachsen will Vorbild sein

Auf der Innenministerkonferenz wirbt Niedersachsens Innenministerin für einen bundesweiten Abschiebestopp von êzîdischen Frauen und Kindern.

Abschiebestopp schützt êzîdische Frauen und Kinder davor: Unterbringung von Asylbewerbern in Abschiebehaft am Flughafen Hannover Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Bremen taz | Auf der am heutigen Mittwoch beginnenden dreitägigen Innenministerkonferenz in Potsdam will sich Niedersachsens Innenministerin Daniela ­Behrens (SPD) für einen bundesweiten Abschiebestopp von êzîdischen Frauen und Kindern in den Irak einsetzen.

„Bei allen Debatten über eine verbesserte Rückführungspraxis dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass das Asylrecht existiert, um diejenigen zu schützen, die in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen“, sagte Behrens im Vorfeld der Konferenz. Frauen und Kindern êzîdischen Glaubens drohten im Irak nach wie vor schreckliche Gewalttaten, Zwangsprostitution und Verschleppung. Aus diesem Grund hatte Niedersachsen Anfang Juni einen Abschiebestopp verhängt, der nach Behrens’ ­Willen Vorbild für eine bundesweite Regelung sein soll.

Nach langen Protesten von Flüchtlingsinitiativen und Betroffenen hatte Niedersachsen den bis Anfang September geltenden Abschiebestopp für die Angehörigen der ethnisch-­religiösen Minderheit beschlossen. Allerdings gilt er nicht für alle ÊzîdInnen: Ausgenommen sind StraftäterInnnen, Personen, die die Behörden als Extre­mistInnen einschätzen, und solche, die sich der Klärung ihrer Identität „hartnäckig“ verweigern.

Ebenso können alleinstehende Männer weiter abgeschoben werden. Warum das so ist, erklärt das Innenministerium auf Nachfrage nicht. Die Regelung gilt aber für die gesamte sogenannte Kernfamilie der Betroffenen, damit in der ­Regel auch für Väter. Dabei ­orientiert sich Niedersachsen an Regelungen, die einige andere ­Bundesländer zuvor beschlossen ­hatten.

Völkermord des IS

Im Januar 2023 hat der Deutsche Bundestag die Verbrechen des sogenannten Islamischen Staats (IS) an der êzîdischen Bevölkerung auf irakischem Territorium als Völkermord anerkannt.

Mehr als 5.000 Menschen sind bei den Massakern des IS ab 2014 getötet worden, etwa 7.000 verschleppt, Hunderttausende vertrieben, schätzen die Vereinten Nationen.

Rund 200.000 ÊzîdInnen leben aktuell in Deutschland, vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Im Zuge des verhängten ­Abschiebestopps kritisierte Behrens auch das Vorgehen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF): „Denn obwohl der Bundestag die Verbrechen des IS an den Êzîdinnen und Êzîden als Völkermord anerkannt hat, lehnt das BAMF Asylanträge von êzîdischen Personen aus dem Irak regelmäßig als unbegründet ab“, sagt ­Behrens. Sie empfinde es als höchst unbefriedigend, dass die Länder hier überhaupt eigene Regeln schaffen müssen. Grundsätzlich können die Länder solche Abschiebestopps nur befristet auf drei Monate verhängen und höchstens ein weiteres Mal verlängern.

Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen hält den beschlossenen temporären Abschiebestopp für überfällig und für einen ersten Schritt. Er hoffe sehr, „dass die Innenministerkonferenz eine bundesweite Regelung zum Verbleib von ­ÊzîdInnen in Deutschland beschließen wird“.

Denn anders als von den zuständigen Behörden öfters behauptet, gebe es für ÊzîdInnen im Irak keine sogenannten inländischen Fluchtalternativen. So würden Abschiebungen als vertretbar damit begründet, dass ÊzîdInnen zwar nicht in ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet Shingal (Sinjar) im Nordirak zurückkehren können, aber in anderen Landesteilen keine Verfolgung drohe. „Das zielt immer auf einen mythischen dritten Ort im Herkunftsland, in dem ein verfolgungsfreies Leben möglich sein soll“, sagt Weber. „Dieses Leben findet faktisch aber nicht statt.“

Eine Ausübung der Religion als Gemeinschaft sei an diesen Orten nicht möglich, zumal die Erinnerungen des Genozids für alle ÊzîdInnen präsent seien. Noch immer lebten heute viele ÊzîdInnen im Irak in Massenunterkünften, die 2014 als Nothilfslager geschaffen wurden.

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2 Kommentare

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  • Warum gibt man den Jesiden nicht einfach Sylt als Siedlungsgebiet?

    Dann ist dort auch Schluss mit blöden Gesängen.

  • Allein, dass das nicht längst der Normalfall ist zeigt, wie menschenverachtend und grausam das aktuelle Asylrecht bereits jetzt schon ist.