piwik no script img

Abschiebe-Monitoring am AirportSo krass schiebt Hamburg ab

André Zuschlag
Kommentar von André Zuschlag

Die Abschiebebeobachterin am Flughafen Hamburg hat ihren Jahresbericht veröffentlicht. Der ist schwer erträglich. Aber es ist gut, dass es ihn gibt.

Notfalls mit dem Einsatz von Zwangsmitteln: Abschiebungen per Flugzeug, hier 2019 auf dem Flughafen Leipzig-Halle Foto: Michael Kappeler/dpa

S chreiende Kinder, zitternde Eltern, Behörden, die eine Abschiebung drei Tage nach einem Suizidversuch für zumutbar halten – und Ärzt:innen, die Abzuschiebenden gegen deren Willen Spritzen verabreichen und diskriminierende Sprüche über sie äußern: Am Dienstag wurde der Jahresbericht der Hamburger Abschiebebeobachterin veröffentlicht. Es ist – mal wieder – ein Auszug krasser Situationen von Abschiebungen über den Hamburger Flughafen. Und so hart sich manche Schilderungen im 32-seitigen Bericht lesen – gut, dass es ihn gibt.

Die Stelle der Hamburger Abschiebebeobachterin, seit Ende vergangenen Jahres von Merle Abel ausgeführt, wird vom rot-grünen Hamburger Senat finanziert. Sie darf bei Abschiebungen am Flughafen dabei sein, beobachten, währenddessen mit den zuständigen Polizist:innen, Ärz­t:in­nen und vor allem mit den Betroffenen sprechen.

Eingreifen aber darf sie nicht. Und sie ist auch nicht dabei, wenn zuvor, etwa bei der Abholung aus der Abschiebehaft, oder während des Fluges etwas passiert. Später bespricht die Beobachterin mit Behörden, der Politik und der Polizei diskussionswürdige Situationen. In der Regel bedeutet das: wenn die Menschen längst abgeschoben wurden. Und zu mehr als einer Besprechung kann die Beobachterin die staatlichen Stellen nicht zwingen.

Der aktuelle Jahresbericht legt einen Fokus auf das Handeln von Me­di­zi­ne­r:in­nen

Man kann die Rolle also durchaus als zahnlosen Tiger, als Feigenblatt menschenunwürdiger Abschiebungen sehen. Nur: Was wüsste die Öffentlichkeit ohne den Posten über die Abschiebepraxis in einem abgeschirmten Bereich des Flughafens?

Dramatische Details staatlicher Zwangsmaßnahmen

Und dank der regelhaften Beobachtung können bislang unbeachtete Aspekte neue Diskussionen ermöglichen. Bisher steht bei Abschiebungen einzig das Agieren der Behörden, der Polizei oder der Betroffenen im Fokus. Der aktuelle Jahresbericht legt einen Fokus auf das Handeln von Mediziner:innen, nimmt also die medizinische Versorgung während der Abschiebungen in den Blick. Und die wirft der Beobachterin zufolge „viele Fragen auf“.

So etwa, wenn bei der Abschiebung anwesende Ärz­t:in­nen zur Zwangsmedikation greifen, wie ein Beispiel im Monitoringbericht aufzeigt. Die dürfen schließlich nur unter enger rechtlicher Voraussetzung erfolgen. Doch ist die Verabreichung eines Beruhigungsmittels gegen den Willen des Betroffenen zulässig im Rahmen des Gebots, die Flugsicherheit nicht zu gefährden?

Oder Körperverletzung, besonders dann, wenn der Arzt dem Betroffenen danach auch noch eine Spritze in den Oberschenkel verabreicht, während dieser sich auf seinem Platz im Flugzeug gegen die Fixierung durch vier Po­li­zis­t:in­nen wehrt?

Juristisch ist das nur schwer zu sagen, aber aufgrund dieser Beobachtungen soll nun eine Handreichung für die bei Abschiebungen eingesetzten Ärz­t:in­nen erstellt werden, um sie zu sensibilisieren. Das ist angesichts der grundsätzlich schlimmen Abschiebe­praxis in Europa sicher kein großer Wurf. Aber: Was wüsste man als Nichtbetroffener ohne die Abschiebebeobachterin schon über dramatische Details einer staatlichen Zwangsmaßnahme?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

André Zuschlag
Redakteur taz nord
Jahrgang 1991, hat Politik und Geschichte in Göttingen, Bologna und Hamburg studiert. Von 2020 bis August 2022 Volontär der taz nord in Hamburg, seither dort Redakteur und Chef vom Dienst. Schreibt meist über Politik und Soziales in Hamburg und Norddeutschland.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Eine Abschiebung sollte eine gewisse Kooperation voraussetzen. Allerdings wurden viele Gesetze geändert. Ich finde das sehr kritisch, was hier steht. Gibt es denn vor der Abschiebung eine Ressource, Beratung, Sozialarbeit?

  • Abschiebung ist nicht menschenunwürdig.

    Wenn eine Ausreisepflicht besteht, hat die ausreisepflichtige Person genug Zeit selber auszureisen. Wenn diese das nicht tut, dann wird das im Zwangswege vollkommen zu Recht durchgesetzt. Und Zwang meint auch unter Einschluss von Gewalt. Massiver Gewalt. Ist nicht schön anzusehen. Aber das ist eben Gewalt.



    Auch wenn das einigen in diesem Land nicht passt, so ist eben doch die überdeutliche Mehrheit dafür und vertritt die Ansicht, dass es sogar noch mehr Abschiebungen geben sollte. Kann hier jeder in jeder x-beliebigen Umfrage nachlesen.