: Nummer eins abseits der Centre Courts
Naomi Osaka ist die bestverdienende Sportlerin der Welt. Doch ein Tennismatch hat die ehemalige Nummer eins lang nicht mehr gespielt
Von Jörg Allmeroth
Als Ende Dezember die Liste der bestverdienenden Sportlerinnen der Welt vom Businessmagazin Forbes veröffentlicht wurde, stand Naomi Osaka für das Jahr 2022 wieder auf Platz eins – so wie auch schon in den beiden Jahren zuvor. Beim genaueren Hinsehen fiel allerdings schon ein gewisses Missverhältnis auf. 50 der 51,1 Millionen Dollar stammten von Sponsoreneinnahmen, der Rest kam von den eher spärlichen Engagements bei Turnieren.
Osaka war tatsächlich auch schon einmal die Nummer eins der Tennis-Weltrangliste, es ist schon eine Weile her. Inzwischen bestimmen längst andere den Takt und den Rhythmus an der Spitze, die Polin Iga Swiatek etwa. Oder auch Ons Jabeur, die tunesische Überraschung der vergangenen Saison. Gut eine Woche vor Beginn der Australian Open 2023 ist nun auch klar, dass von einer großen Aufholjagd Osakas vorerst nicht die Rede sein wird. Denn beim ersten Major-Wettbewerb der neuen Saison wird die Japanerin nicht am Start sein. Ihre offizielle Absage ist alles andere als eine Sensation, sondern eher die letzte Gewissheit nach Wochen des Verwirrspiels um ihren Status und sogar ihren Aufenthaltsort. Insider berichten, dass die Topmanager des Grand-Slam-Turniers alle Mühe gehabt hätten, Osakas Verbleib und ihr eventuelles Mitwirken an dem Major-Wettbewerb zu klären.
Wer Osakas Auftritt in den sozialen Medien verfolgt, vor allem bei Istagram, fühlt sich ohnehin eher an eine digitale Modenschau oder an ein ständiges Reiseabenteuer erinnert. Tennis spielt eher eine Nebenrolle. Zuletzt ließ sich die 25-Jährige mit ihrem Freund, dem Rapper Cordae, in Paris ablichten, posierte kunstbeflissen vor dem Louvre und der Mona Lisa. Auch bei Basketballspielen wurde sie gesichtet. Einmal zeigten sie Bilder beim Besuch einer Late-Night-Show in ihrer amerikanischen Heimat, um ein frisch erschienenes, von ihr produziertes Comic-Buch für Kinder zu promoten – Titel des Buchs: „The Way Champions play“.
Viele im Tenniszirkus, aber auch viele ihrer Fans stellen sich immer öfter die Frage, ob man Osaka überhaupt noch als professionelle Akteurin betrachten kann. Nach zwei längeren Auszeiten im Jahr 2021 wegen Angststörungen und Depressionen hatte es Osaka bei ihren Comebackanläufen nie mehr so richtig geschafft, in die Gipfelregionen ihres Sports vorzustoßen. Das einzig hervorstechende Resultat in der vergangenen Saison war der Einzug ins Finale von Miami. Dort verlor sie dann allerdings chancenlos mit 4:6 und 0:6 gegen die aktuelle Branchenführerin Swiatek.
Seit Mai 2022 hat Osaka nur noch ein einziges Match gewonnen, das regulär zu Ende gespielt wurde. Bei den Grand Slams in Paris und New York verlor sie in der ersten Runde, der letzte öffentliche Auftritt als Tennisspielerin – mutmaßlich den japanischen Großsponsoren geschuldet – war bei den Pan Pacific Open in Tokio Mitte September. Dort zog sich Osaka vor dem Achtelfinalmatch gegen die Brasilianerin Beatriz Haddad Maria verletzt zurück. In der Weltrangliste war Osaka im Frühjahr 2022 schon einmal bis auf Platz 85 abgerutscht, gegenwärtig rangiert sie auf Platz 42.
Als Osaka 2018 die US Open in einem denkwürdigen Finale gegen Serena Williams gewann, schien ihr die ganze Tenniswelt offenzustehen. Drei weitere Grand-Slam-Triumphe folgten, zuletzt bei den Australian Open 2021. Auf der Höhe ihrer Kunst war sie bei weitem die eindrucksvollste Hartplatzspielerin der Welt, eine Osaka-Ära im Tennis schien nicht ausgeschlossen. Wie andere Superstars vor ihr fremdelte sie allerdings mit den Begleiterscheinungen des Ruhms, mit der ständigen öffentlichen Beobachtung und Vereinnahmung. Sie machte ihre psychische Labilität und Verletzlichkeit zum öffentlichen Thema, sprach über ihre Ängste, Zweifel. Es war eine dauernde Berg-und-Talfahrt, auf und neben dem Centre Court.
Umtriebig präsentierte sich Osaka zuletzt nur fern der Tenniskarawane. Gemeinsam mit ihrem Manager Stuart Duguid gründete sie die Agentur Evolve und verpflichtete neben dem australischen Tennisrüpel Nick Kyrgios auch Ons Jabeur, die vorjährige Wimbledon-Finalistin. Auch an einer Hautpflege-Marke (Kinlo) beteiligte sich die Japanerin. Duguid verkündet zwar noch regelmäßig, Osakas Fokus liege nach wie vor auf „dem Gewinnen von Tennismatches“. Zugleich prophezeite er, dass Osakas kleines Firmenimperium künftig bis zu 150 Millionen Dollar jährlich einnehmen könne. Auch ohne Siege auf dem Centre Court.
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