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Absage der Hanau-GedenkveranstaltungSymbolisch fatal

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Schwer zu ertragende Gleichzeitigkeit: Das Gedenken in Hanau war stark eingeschränkt. Direkt nebenan herrschte aber dichtes Markttreiben.

Eine von 249 Zugelassenen bei der Gedenkveranstaltung in Hanau Foto: Boris Roessler/dpa

E s mag in den Details verständlich sein, warum die für Samstag geplante Gedenkdemonstration in Hanau abgesagt wurde. Die Corona-Infektionen waren in der Stadt sprunghaft gestiegen, deshalb hatte Bürgermeister Claus Kaminsky (SPD) die Demo am Vorabend überraschend verboten. Die Entscheidung richtete sich nach dem lokalen Infektionsgeschehen und dem Corona-Eskalationskonzept des Landes Hessen – so weit, so nachvollziehbar.

Die Demo, die an den zwei Tatorten vorbeiführen sollte und für die bundesweit mobilisiert wurde, war damit abgeblasen. Damit das Gedenken nicht vollständig ausfallen musste, wurde eine Kundgebung auf dem Freiheitsplatz mit einer Höchstgrenze von 249 Menschen erlaubt. Um den Abstand korrekt einhalten zu können, wurden 249 pinkfarbene Punkte auf den Boden gesprüht.

Auf einer symbolischen Ebene war das fatal. Denn vor Ort zeigte sich eine schwer zu ertragende Gleichzeitigkeit: Während sich auf dem nur 350 Meter entfernten Marktplatz Menschen dicht gedrängt, teils ohne Maske, aneinander vorbei­schoben, um Käse und Gemüse zu kaufen und in den Nebenstraßen das Shoppingtreiben ungebremst weiterging, standen auf dem Freiheitsplatz Menschen vorbildlich mit Maske und Abstand, um den Familien und Freund*innen der Ermordeten zuzuhören, die um Worte rangen. Die Message: Konsum ja, Gedenken und Aufklärung rechter Gewalt nein.

Dieses Bild steht symbolisch für den Umgang Deutschlands mit Rassismus und Rechtsextremismus. Es ist eine schwer zu vermittelnde Prio­ri­tätensetzung. Wenn man das Demonstrationsrecht schon einschränkt, wäre es auch angemessen gewesen, den Markt zu verbieten. Sechs Monate nach einem der schwersten rassistischen Anschläge im Nachkriegsdeutschland wurde den unmittelbar Betroffenen zwar das Mindestmaß an öffentlichem Gedenken zugestanden.

Aber die bundesweite Bedeutung, die Möglichkeit, ihre Wut, ihre Trauer, ihre politischen Forderungen und Fragen an die Ermittlungsarbeit der Polizei an eine große Öffentlichkeit zu tragen, die über Hanau hinausreicht, wurde den Angehörigen und Unterstützer*innen verwehrt. Und das, obwohl sie gemeinsam mit der Stadt ein ausgefeiltes Hygienekonzept erarbeitet hatten. Dass manche Teilnehmer*innen der Kundgebung das Verbot als politische Entscheidung werteten: Ist es ihnen zu verdenken?

Der Infektionsschutz ist ernst zu nehmen, Corona ist ein tödliches Virus. Doch liegt Hanau auch in dem Bundesland, aus dem heraus der NSU 2.0 agiert und in dem Halit Yozgat vom NSU und Walter Lübcke von Stephan Ernst erschossen wurde. Es wäre wünschenswert, wenn die Aufklärung rechter Strukturen, die den Zusammenhalt des ganzen Landes bedrohen, mit der gleichen Aufmerksamkeit behandelt werden würde wie Corona. Denn Rassismus tötet eben auch.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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10 Kommentare

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  • "Aber die bundesweite Bedeutung, die Möglichkeit, ihre Wut, ihre Trauer, ihre politischen Forderungen und Fragen an die Ermittlungsarbeit der Polizei an eine große Öffentlichkeit zu tragen, die über Hanau hinausreicht, wurde den Angehörigen und Unterstützer*innen verwehrt."

    Warum hat den die taz diese Forderungen und Fragen nicht abgedruckt? Warum haben Sie, Frau Kalarikal, nicht die Forderungen und Fragen wiedergegeben?

    • Jasmin Kalarickal , Autorin des Artikels, Redakteurin
      @Rudolf Fissner:

      Hallo Herr Fissner, vielen Dank für Ihre Kommentare. Wir haben in der taz sehr wohl die Fragen und Forderungen abgedruckt, mein Kollege Christian Jakob hat zum Verbot der Demo und über die Kundgebung geschrieben. Auszüge von Reden wurden zudem protokolliert. Ich habe einen Kommentar geschrieben, es sind einfach unterschiedliche Textformen. Sie müssen dennoch nicht meine Meinung teilen.

  • "Dass manche Teilnehmer*innen der Kundgebung das Verbot als politische Entscheidung werteten: Ist es ihnen zu verdenken?"

    Ja. Denn Veranstaltung bedrohen bei solch hohen Infektionsraten wie in Hanau Menschenleben.

    Und wer ist "manche"?

    Und wer sind die "vielen", die von den Veranstaltern Verständnis für die Absage haben? Warum kommen diese nicht zu Wort?

  • Es geht um die Verhältnismäßigkeit. Hier eine Demo für die bundesweit mobilisiert wird, das in einer Stadt die kritische Infektionszahlen aufweist. Da ein Markt als regulärer Betrieb, auf dem es zu unerwartetem Gedränge kommt. Traurig ist nicht, daß die Demo nicht stattfinden konnte, sie konnte stattfinden. Traurig, daß die einschränkenden Auflagen beim Veranstalter weder verstanden werden noch bleibend Wirkung erzielen.

    • @Picard:

      Demo: mit Maske, mit Abstand (sind ja schliesslich keine Hygieniker, die durften bisher ohne).

      Markt: Ohne Abstand, ohne Maske.

      Finde den Fehler.

  • "Dass manche Teilnehmer*innen der Kundgebung das Verbot als politische Entscheidung werteten: Ist es ihnen zu verdenken?"

    Ganz ehrlich?



    Ja, ist es.



    Das Virus unterscheidet nicht zwischen Gedenkveranstaltungen und Partys.



    Mit derartigen Aufrechnungsversuchen und unpassenden Vergleichen tut man seiner Sache keinen Gefallen.

  • Ja. Schade eigentlich. Die Party ist das wichtigste.

  • “Dieses Bild steht symbolisch für den Umgang Deutschlands mit Rassismus und Rechtsextremismus. Es ist eine schwer zu vermittelnde Prio­ri­tätensetzung. Wenn man das Demonstrationsrecht schon einschränkt, wäre es auch angemessen gewesen, den Markt zu verbieten.”

    Die Situation eignet sich wirklich nicht, derartige Aufrechnungen zu betreiben. Wenn eine Veranstaltung riskant ist (Markt), ist niemand geholfen, wenn noch eine weitere riskante Veranstaltung (Demo) dazu kommt. Märkte zu verbieten, ist schwer, da hier ganze Bevölkerungsgruppen ihre Nahrungsmittel beziehen.

    “Jeder Verantwortungsträger muss entscheiden - in Kenntnis der Umstände bei ihm. Ausgerechnet in Hanau und Umgebung war man am Freitag bei 49 Infektionen pro 100000 Einwohner angekommen. Das Virus unterscheidet nun mal nicht nach dem Motiv und dem Verantwortungsbewusstsein von Demonstranten. Der OB hat nach bestem Wissen und Gewissenentschieden.”



    www.sueddeutsche.d...npflicht-1.5007426

    • @Weber:

      "Das Virus unterscheidet nun mal nicht nach dem Motiv" Richtig. Die Ansteckungsgefahr ist bei dichtem Gedränge erhöht egal ob auf dem Markt oder einer Demo. Bei erhöhtem Infektionsgeschehen sollte also jedes Gedränge verhindert werden auch auf Märkten. Das eine drastisch einzuschränken und das andere laufen zu lassen macht für den Infektionsschutz also überhaupt keinen Sinn. Der Kommentar ist also goldrichtig.

    • @Weber:

      "Die Situation eignet sich wirklich nicht, derartige Aufrechnungen zu betreiben. Wenn eine Veranstaltung riskant ist (Markt), ist niemand geholfen, wenn noch eine weitere riskante Veranstaltung (Demo) dazu kommt. Märkte zu verbieten, ist schwer, da hier ganze Bevölkerungsgruppen ihre Nahrungsmittel beziehen."

      Das mag ja angehen und keiner möchte, dass die Bevölkerung verhungert, weil keine Märkte stattfinden.

      Ich kann dennoch verstehen, dass bei den Betroffenen, den Veranstaltern, den Demonstrantinnen und Demonstranten ein unangenehmes Gefühl bleibt, was sich in eine Reihe weiterer mindestens unangenehmer Gefühle einreiht, die sich wohl nicht nur bei ihnen angesichts des Umgangs mit rassistischem Terrors einstellt.