Abgeordneter über Entschädigungen: „Ein Verrechnen darf nicht sein“
Der Bundestagsabgeordnete Ottmar von Holtz sagt, eine finanzielle Entschädigung für den Völkermord könnte die Landreform in Namibia unterstützen.
taz: Herr von Holtz, nach dem Völkermord an den Ovaherero und Nama hat die deutsche Kolonialverwaltung in Namibia das Land enteignet. Welche Verantwortung trägt Deutschland heute dafür?
Ottmar von Holtz: Deutschland ist als ehemalige Kolonialmacht in vielerlei Hinsicht verantwortlich für das, was heute in Namibia getan werden kann und zum Teil auch getan werden müsste. Dazu gehört die Frage des Landbesitzes. Deutschland würde seiner Verantwortung gerecht werden, wenn es sich im Zuge der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit proaktiv anbieten würde, zum Beispiel Vermittlungsgespräche zwischen deutschen Farmern in Namibia und der namibischen Regierung zu führen, um die Landreform voranzubringen.
Die namibische Regierung sagt, sie habe nicht genug Geld, um die Farmen für die Umverteilung aufzukaufen. Müsste nicht Deutschland hier Entschädigung zahlen?
Das könnte ein Teil der Vereinbarung zwischen Namibia und Deutschland sein. Seit Jahren steht im Raum, dass Deutschland neben der Bitte um Entschuldigung und der Anerkennung, dass es ein Völkermord war, eine Art Zahlung leistet, wie immer die dann heißt. Juristen im Auswärtigen Amt sind vorsichtig, wie man das formuliert. Ich nenne das Entschädigungszahlungen. Ein Teil der Entschädigung könnte sein, die Landreform finanziell zu unterstützen.
Wie ist der Stand der Verhandlungen zwischen der namibischen und der deutschen Regierung?
Die Verhandlungen sind leider seit langer Zeit auf Eis gelegt. Mein Verdacht ist, dass es an den Wahlen liegen könnte, die Ende November in Namibia stattfinden. Ich glaube, dass es im Moment tatsächlich eher an der namibischen Seite liegt, dass die Gespräche nicht weitergehen.
Jahrgang 1961, sitzt für die Grünen seit 2017 im Bundestag. Er ist in Namibia geboren.
Wirkt es sich auf die Landreform aus, dass diese Verhandlungen schleppend verlaufen?
Ja, ein Abschluss würde bedeuten, dass wir endlich Projekte angehen könnten, an denen sich Deutschland auch beteiligt. Solange das nicht der Fall ist, haben wir die ganz normale Entwicklungszusammenarbeit, die aber die Fragen der Landverteilung und des Ahnenlands nicht im Blick hat.
Die Bundesregierung hat Reparationen auch mit dem Hinweis abgelehnt, man zahle das höchste Pro-Kopf-Entwicklungsgeld an Namibia. Ovaherero und Nama sagen, das Geld komme nicht bei ihnen an.
Dass Namibia die meisten Entwicklungsgelder pro Kopf bekommt, hat mit der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gar nichts zu tun. Ich werde auch sehr genau darauf achten, dass mit einer Zahlung im Rahmen der Völkermordaufarbeitung die Entwicklungszusammenarbeit nicht reduziert wird. Ein Verrechnen dieser beiden Zahlungen darf nicht sein. Es ist zwingend erforderlich, dass es Zahlungen wegen des Völkermords nur in Regionen geben darf, wo schwerpunktmäßig die Nachfahren der damaligen Opfer leben. Es ist nicht einfach, das nach einem ethnischen Prinzip zu verteilen, weil das schon über 100 Jahre her ist und viele Familien in der Zwischenzeit multiethnisch sind. Aber man kann das Geld unter der Kondition auszahlen, dass es nur in Regionen eingesetzt werden darf, wo schwerpunktmäßig Herero oder Nama leben.
Glauben Sie, dass der Konflikt der Landverteilung entschärft wäre, wenn der Genozid anerkannt wäre und Deutschland sich offiziell entschuldigte?
Ich glaube, dass die Frage zuerst in Namibia gelöst werden muss. Man stößt bei weißen Farmern durchaus auf Verständnis, was die Landfrage an sich angeht, aber was ich vermisse, ist das Geschichtsbewusstsein. Weiße Farmer vertreten ihre sicherlich berechtigten rechtlichen Interessen, aber das Bewusstsein, dass sie sich im historischen Kontext in einer bestimmten Rolle wiederfinden, ist zu wenig ausgeprägt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“