Abgeordnetenhaus: Eine höchst umstrittene Zahl
Die Koalition tritt bei Debatte um Attacken gegen Polizisten uneins auf. Linksfraktion zieht in Zweifel, dass es 2019 tatsächlich 7.000 Angriffe gab.
„Wer den Kopf für uns hinhält, der kann erwarten, dass wir hinter ihm stehen, vor ihm stehen, zu ihm stehen.“ Es sind eindeutige Worte, mit denen Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus Unterstützung für Polizei und Feuerwehr betont. Gewalt gegen Einsatzkräfte beschäftigt die Abgeordneten an diesem Vormittag, die FDP hat die Debatte nach brutalen Vorfällen an Silvester beantragt.
Die Worte des Senators erreichen allerdings eine wichtige Zuhörergruppe nicht mehr. Rund 40 Polizeischüler haben die erste Stunde der Debatte verfolgt und danach planmäßig die Besuchertribüne verlassen. Sie hören in dieser Zeit von einem anderen Vertreter der rot-rot-grünen Koalition etwas andere Töne. Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, nennt die Attacken in der Silvesternacht zwar auch „ziemlich irre und unerträglich“. Aber er zieht die offizielle Zahl von rund 7.000 Angriffen gegen Polizisten – im Schnitt 19 pro Tag – im Jahr 2019 in Zweifel, die Polizeipräsidentin Barbara Slowik jüngst nannte: Aus seiner Sicht sollte man sich noch mal angucken, was da reingerechnet ist.
Die meisten Attacken gebe es bei Einsätzen zu häuslicher Gewalt, nur fünf Prozent machten Angriffe bei Versammlungen aus, ein Prozent solche im Stadion. Viel passiert dabei laut Schrader im Affekt und unter Alkoholeinfluss. Von Bodycams, am Körper getragenen kleinen Videokameras, die Angriffe gegen Polizisten, aber auch Übergriffe von Beamten dokumentieren sollen, hält der Linkspartei-Abgeordnete nichts – „gerade im Affekt schrecken Kameras nicht ab“.
Seine Worte lösen auf der Zuschauertribüne, wo Besuchergruppen der Polizei sonst meist unbewegt sitzen, leises Geraune und auch Kopfschütteln aus. Das setzt sich fort, als Schrader fordert, Polizisten sollten sich nicht autoritär präsentieren, sondern „mit offenem Visier“, nachdem vorangehende Redner bessere Schutzmaßnahmen betonten. Wie der SPD-Abgeordnete Frank Zimmermann sieht auch er die Attacken als Teil von Verrohung in der gesamten Gesellschaft. „Autoritäre Fantasien, wie Sie von der CDU kommen“, seien gefährlich und trieben einen Keil zwischen Staat und Gesellschaft – was bei der Opposition den Zwischenruf auslöst: „Der Staat ist die Gesellschaft.“
Alle neuen Schulen sollen mit Sonnenenergie arbeiten können. Das hat Bausenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) angekündigt). Die Neubauten entstehen nach ihren Worten „PV-ready“, also auf Photovoltaik-Nutzung eingerichtet.
Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) akzeptiert zwar, dass die Staatsoper Auftritte von Placido Domingo trotz Belästigungsvorwürfen gegen den Star-Tenor nicht absagt. Er machte aber klar, dass er einen Verzicht in gegenseitigem Einvernehmen besser gefunden hätte. „Das wäre für mich keine Vorverurteilung.“ (sta)
Nach Schrader spricht AfD-Mann Karsten Woldeit. „Je länger Sie reden, desto klarer machen Sie, wofür Sie stehen“, sagt er Richtung Schrader. Sein Beitrag ist der letzte, den die Polizeischüler komplett mitbekommen. Sie verpassen so, dass der Grüne Benedikt Lux kurz darauf die 7.000 Angriffe gegen Polizisten anders als Schrader als Fakt darstellt. „Wer sie angreift, der greift uns alle an“, sagt er zudem. Und wie später Geisel spricht sich auch Lux für Bodycams aus.
Der Innensenator greift als letzter Redner eine Frage auf, die eingangs Marcel Luthe von der FDP gestellt hat: Wer schütze die, die uns schützen? „Wir alle“, sagt Geisel – als Abgeordnete, Bürger, Eltern, die Kindern Werte vermitteln. „Wir müssen dafür sorgen, dass der moralische Kompass in einigen Teilen unserer Gesellschaft wieder eingenordet wird.“ Zwar habe es zu Silvester nur halb so viele Angriffe gegeben wie ein Jahr zuvor, doch seien die aggressiver ausgefallen. Der Senat handele, anders als von Luthe dargestellt sehr wohl, stelle mehr Polizisten ein, bezahle sie besser und habe 6.300 Schutzwesten besorgt.
Zum Schluss kündigt Geisel eine besondere Ehrung für einen Polizisten an: Jener Beamte, der, obwohl gar nicht im Dienst, vergeblich versuchte, ohne Waffe den Mord an dem Arzt Fritz von Weizsäcker zu verhindern und dabei schwer verletzt wurde, soll das Ehrenzeichen der Berliner Polizei erhalten. Auch das bekommen die Polizeischüler nicht mehr mit.
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