Abgeordnete über ihren Abschied: „Freude am Job kriegt niemand mit“
Viele Parlamentarier treten nach der Bundestagswahl nicht mehr an. Mit Wolfgang Bosbach, Jan van Aken und Bärbel Höhn sprachen wir darüber.
taz.am wochenende: Frau Höhn, Herr Bosbach, Herr van Aken, mit welchem Gefühl gehen Sie Ihrem letzten Tag im Bundestag entgegen?
Jan van Aken: Erleichterung ist bei mir schon dabei.
Bärbel Höhn: Ein bisschen Wehmut, aber vor allen Dingen bin ich gespannt auf das Neue.
Wolfgang Bosbach: Der Abschied wird mir schwerfallen, aber ich freue mich auch auf einen neuen Lebensabschnitt. Vor ein paar Wochen habe ich zum ersten Mal in 23 Jahren zwei Wochen Urlaub gemacht. Eine neue, schöne Erfahrung. Ich habe viel von der Welt noch nicht gesehen und möchte mir die Zeit nehmen, das, was ich bis jetzt versäumt habe, nachzuholen.
Tut es Ihnen leid, viel versäumt zu haben?
Bosbach: Ja, total.
Was haben Sie denn versäumt, außer Urlaub?
Der Mensch: Der 64-jährige Rheinländer ist seit 45 Jahren Mitglied der CDU. Er machte eine Lehre als Einzelhandelskaufmann, holte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und wurde Anwalt. Seit 1994 zog er sechsmal in den Bundestag ein, genauso lange leidet er an einer Herzinsuffizienz, weshalb er einen Herzschrittmacher trägt. 2010 machte er zudem öffentlich, an Prostatakrebs erkrankt zu sein, von dem mittlerweile bekannt ist, dass er unheilbar ist. Bosbach ist leidenschaftlicher Fan des 1. FC Köln, verheiratet und hat drei Töchter.
Die höchsten Ämter: von 2000 bis 2009 stellvertretender Chef der Bundestagsfraktion der CDU. Von 2009 bis 2015 war er Vorsitzender des Innenausschusses.
Bosbach: Ich habe vor allem familiär viel verpasst. Die Erziehungsarbeit für unsere drei Töchtern lag eindeutig bei meiner Frau. Die ersten sechs Jahre konnte ich immer abends nach Hause fahren. Da lagen die Kinder zwar schon im Bett, aber morgens habe ich sie oft in den Kindergarten oder die Schule gebracht. Das war mit dem Umzug von Bonn nach Berlin plötzlich vorbei. Ich habe mich dann dabei erwischt, dass ich, wenn ich freitags abends nach Hause kam, nur meine Ruhe haben wollte. Die Kinder, sie waren ja noch klein, wollten erzählen, was sie erlebt hatten, und Papa wollte Ruhe. Ich habe mir eingeredet, das holst du nach, was natürlich nicht geht. Das bedaure ich heute sehr.
van Aken: Bei mir war das sehr klar. Ich habe drei Kinder, wir haben uns die Kindererziehung und den Haushalt geteilt. Wochenendtermine habe ich nur selten machen können, was bei Politikern eigentlich gar nicht geht . . .
Bosbach: Ich war samstags, sonntags immer unterwegs.
van Aken: . . . nicht mal auf allen Parteitagen konnte ich sein, wenn klar war, dann sieht man die Kinder nicht. Streckenweise bin ich gependelt, auch in der Sitzungswoche. Von Hamburg nach Berlin, ein Jahr lang fast jeden Tag, was echt Mist ist.
Bosbach: Das kostet Kraft, ja.
Warum hören Sie eigentlich auf, Frau Höhn?
Höhn: Ich werde dieses Jahr 65. Wenn wir 2013 als Grüne an die Regierung gekommen wären, dann hätte ich jetzt noch eine Legislaturperiode drangehängt. Aber weil wir wieder in der Opposition sind, habe ich gesagt, das kenne ich schon. Ich will auch mehr Zeit haben für meinen Mann, meine Kinder und Enkelkinder. Mehr Freiheit. Ich mache zum Beispiel ganz viele Fotos, aber die liegen alle auf der Festplatte. Ich will sie endlich mal sortieren.
van Aken: Ich finde, dass sich einiges zum Guten ändern würde, wenn das Abgeordnetendasein generell auf acht Jahre begrenzt wäre. Diese Karriereperspektive Bundestag sollte es so nicht geben. Und weil ich das fordere, gehe ich jetzt auch selbst. Teilweise ist das Diskussionsniveau im Parlament erschreckend, viele sind nur damit beschäftigt, ihre Wiederwahl zu sichern.
Bosbach: Widerspruch. Abgeordneter sein zu wollen, aber wegen einer zeitlichen Begrenzung nicht zu dürfen, das wäre frustrierend. Da ist doch besser: Abgeordneter Bosbach sagt, 23 Jahre, das ist eine lange Zeit, ab jetzt mache ich etwas anderes.
Höhn: Mich hat mal ein junger Grüner gefragt: Ey, du bist doch Ministerin. Ich will Bundestagsabgeordneter werden, wie mache ich das? Da habe ich gesagt: Am besten gar nicht. So einen wie dich können wir nicht gebrauchen.
Bosbach: Der wollte einen Masterplan haben.
Höhn: Ja, Berufswunsch Abgeordneter. Das geht nicht.
Herr Bosbach, warum hören Sie auf?
Der Mensch: Für die Linkspartei sitzt van Aken, 55, seit acht Jahren im Bundestag. Der promovierte Biologe engagiert sich seit den 1980er Jahren in der Anti-AKW-Bewegung, arbeitete als Gentechnik-Experte bei Greenpeace und als Biowaffen-Inspekteur für die Vereinten Nationen. Weil er 2010 zum Schottern des Castortransports aufrief, wurde seine Immunität als Abgeordneter zeitweilig aufgehoben, er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Der dreifache Vater lebt mit seiner Familie im Hamburger Stadtteil St. Pauli.
Die höchsten Ämter: von 2012 bis 2014 stellvertretender Vorsitzender der Linkspartei, von 2009 bis 2011 stellvertretender Fraktionschef. Seit 2012 ist er deren außenpolitischer Sprecher.
Bosbach: Ich werde wie Frau Höhn 65, aber mir sieht man es auch an. Da überlegt man sich schon, wie es im nächsten Lebensabschnitt weitergehen soll. Ich bin nicht der Gesündeste. Es fällt mir auch durch meine Krebserkrankung zunehmend schwer, den Anforderungen gerecht zu werden. Und ich will nicht mit halber Kraft arbeiten. Außerdem ist es ja kein Geheimnis, dass ich in einigen wichtigen politischen Fragen eine andere Haltung habe als die Mehrheit meiner Partei. Ich möchte nicht immer gegen die eigene Truppe antreten.
Woran merken Sie, dass Ihnen die Kraft fehlt?
Bosbach: Es sind nicht die Veranstaltungen selbst. Da bin ich eine Art Zirkuspferd, wenn die Musik ertönt, gebe ich mein Bestes. Das ist für mich ein Jungbrunnen. Aber letztes Wochenende: Ich stehe auf dem Bahnsteig, es ist saukalt, es zieht. Zuerst heißt es: 5 Minuten Verspätung. Dann sind es 10 Minuten, dann 15, und dann kommt der Zug gar nicht. Ich wusste aber, dass am anderen Ende der Strecke 400 Leute auf mich warten. Das macht einen ungeheuren Druck.
Im Rückblick betrachtet: Hat sich der Job für Sie alle gelohnt?
Höhn: Auf jeden Fall. Ich habe unglaublich viel gelernt, habe interessante Menschen und Projekte kennengelernt. Und ich hatte die Möglichkeit, zu gestalten.
van Aken: Ich habe den Parlamentarismus ja 30 Jahre lang sehr kritisch gesehen. Aber zu meiner eigenen Verwunderung muss ich jetzt sagen: Ja, der Job hat sich schon gelohnt.
Warum?
van Aken: Ich finde, der Bundestag hat zwei ganz wichtige Funktionen. Die eine ist die Kontrolle der Regierung, das ist das wichtigste überhaupt. Ohne die Kontrollfunktion würde jede Regierung freidrehen. Die zweite ist Diskursmacht. Ich hätte mir nie vorstellen können, welchen massiven Einfluss man in dieser Position auf Debatten hat. Ganz am Anfang, im Kundus-Untersuchungsausschuss: Ich komme raus und plötzlich stehen da 10 Kameras und 30 Journalisten. Und dann senden die das auch noch alle. Das war ein richtig einschneidendes Erlebnis. Um Diskurse zu setzen und zu beeinflussen, dafür lohnt sich der Job.
Bosbach: Man darf die Einflussmöglichkeiten, die man politisch und gesellschaftlich hat, weder unter- noch überschätzen. Aber ich finde die Beschreibung, warum es sich gelohnt hat, vom Kollegen van Aken zu 100 Prozent richtig.
Mit welchen Erwartungen sind Sie ins Parlament gekommen?
van Aken: Ich war am Anfang so was von enttäuscht. Als ich in den 90ern meinen allerersten Tag bei Greenpeace hatte, gab es da gleich eine kontroverse Debatte auf so hohem Niveau, dass ich dachte: Hier kannst du nie mithalten. Im Bundestag war es genau umgekehrt: Da gibt es manchmal derart faktenfreie Beiträge, das ist unerträglich. Ich will nicht alles schlechtreden, es gibt auch tolle Leute da. Aber doch, das hat mich richtig schockiert.
Bosbach: Was mich von Anfang an am meisten gestört hat, ist: Es gibt eine bestimmte Debattenlänge von 30, 60, 90 Minuten und eigentlich ist nach der ersten Runde alles gesagt. Dann könnte man doch eigentlich sagen: Danke fürs Gespräch, nächster Punkt. Getretener Quark wird breit, nicht stark. Aber die Leute haben sich vorbereitet, ihre Rede bis aufs letzte Komma ausformuliert, und jetzt wollen sie sie eben auch halten.
Wie hat sich Ihre Arbeit im Laufe der Jahre verändert?
Bosbach: Früher gab es Debatten, die leidenschaftlicher waren als heute. Heute ist es eher kühl und nüchtern . . .
van Aken: . . . und langweilig.
Woran liegt das?
Höhn: Auf jeden Fall auch am Smartphone. Wenn ich mich umschaue in den Fraktionssitzungen, alle spielen damit rum und gucken mehr nach unten als nach oben. Vieles ist dadurch schneller geworden. Wenn ich jetzt eine Zeitung lese, da denke ich manchmal: Das ist doch schon total alt, was die schreiben!
Bosbach: 2013 hat mein Herzschrittmacher geschockt, während eines Landesparteitags in Münster. Den ersten Genesungswunsch bekam ich schon, als ich noch wie ein Maikäfer auf dem Rücken lag, da hat sich der Notarzt noch um mich gekümmert. Das kann keine Tageszeitung schaffen. Ich stimme Frau Höhn gern zu, es ist schneller geworden, anstrengender.
Finden Sie es schade, gerade jetzt zu gehen, wo es politisch richtig spannend wird?
Höhn: Trump, Brexit, die AfD – da juckt es mir schon in den Fingern. Aber gegen rechts aufzustehen, was organisieren, das kann ich auch ehrenamtlich. Außerdem wäre Rot-Rot-Grün spannend, das würde mir großen Spaß machen.
Bosbach: Gegen diese Entwicklungen in Europa und den USA anzugehen, das wäre schon noch einmal eine Herausforderung. Aber für mich wird sich das Kapitel Politik jetzt schließen. Ich werde immer ein politisch interessierter Mensch bleiben, aber ich werde kein Amt mehr anstreben. Trotzdem macht mir die Situation wirklich Sorgen. Ich bin geradezu persönlich beleidigt, wenn jemand sagt, Trump sei gewählt worden, weil er Klartext spricht. Sexistische Sprüche, Hetze gegen Minderheiten hat was mit schlechter Erziehung zu tun, aber nichts mit Klartext.
Momentan wird viel darüber diskutiert, ob die politischen Eliten den Kontakt zum „Normalbürger“ verloren haben. Haben Sie ihn verloren?
Höhn: Man wird schon ein bisschen abgehoben. Probleme wie zum Beispiel das, woher das Geld am Ersten kommt, haben wir einfach nicht. Aber ob man sich da selbst treu bleibt, hat weniger etwas mit der Zeit zu tun, die man im Bundestag sitzt, sondern viel eher mit der Frage, wie geerdet man ist. Ich versuche den Kontakt zu den Menschen zu halten, fahre viel Rad, nutze ab und zu aber auch mal den Fahrdienst. Die Fahrer erzählen, dass es Abgeordnete gibt, die erst sehr kurz im Bundestag sind, sich aber schon wie Graf Rotz von der Backe benehmen.
van Aken: Mich hat jeder Job verändert, den ich gemacht habe. Das ist, glaube ich, natürlich. Als ich nach den ersten vier Jahren merkte, dass ich immer häufiger den Fahrdienst nutzte, bin ich wieder mehr Rad gefahren; den kleinen Schweinehund überwinden. Ich sehe das bei Kollegen aus allen Fraktionen: Leute kommen neu rein, sind noch Menschen, und nach einem halben Jahr sind einige nur noch Abgeordnete und glauben, sie seien was Besonderes. Woher kommt das? Das ist wahrscheinlich wie bei Ärzten. Wenn einem Arzt oder einer Ärztin hundert Mal gesagt wird, Sie haben mein Leben gerettet, dann glauben sie irgendwann selbst, Halbgötter in Weiß zu sein. Bei einigen Abgeordneten ist das genauso.
Bosbach: Ein wunderschönes Erlebnis hatte ich mal beim Einchecken am Flughafen. Es war wirklich knapp, es gab eine Schlange, und jemand läuft ganz schnell noch zum Schalter: Sie müssen mich noch mitnehmen, ich bin Abgeordneter! Da hat die Mitarbeiterin gesagt: Sie sind Abgeordneter? Kein Problem, wir nehmen Sie trotzdem mit. Das erdet einen.
Wie schwer fiel es Ihnen, zu sagen: Ich höre jetzt auf? Mussten Sie bei der Entscheidung lange mit sich ringen?
Höhn: Nein. Und als die beiden kleinsten Enkelkinder geboren wurden, habe ich gedacht: Welch richtige Entscheidung!
Bosbach: Bei mir war es anders. Ich habe monatelang mit mir gerungen. Aber je näher der letzte Sitzungstag kommt, desto sicherer bin ich mir, dass es gut so ist.
van Aken: Ich habe eher das Gefühl, ich wechsle jetzt die Stelle. Ich bin ja nicht weg, nur woanders im politischen Bereich.
Herr Bosbach, Sie sind am längsten von Ihnen allen im Bundestag, seit 23 Jahren. Was hat sie am meisten geprägt?
Bosbach: Am stärksten hat mich sicher die sechsjährige Tätigkeit als Vorsitzender des Innenausschusses geprägt. Wenn man plötzlich einem Ausschuss vorsitzt, ist man nicht mehr so sehr Parteipolitiker. Ich habe mich mehr als einmal dabei erwischt, dass ich gedacht habe, also an diesem Argument der Konkurrenz, da ist was dran. Insgesamt glaube ich aber, dass mich die Krankheit mehr verändert hat als die Politik. Man wird ruhiger, gelassener und denkt bei Streit oft: Eure Sorgen möchte ich haben!
Höhn: Mich haben vor allem die zehn Jahre im Ministeramt verändert. Allein der Takt der Arbeit prägt stark. Nordrhein-Westfalen ist ein Riesenland, und ich hatte ein Riesenministerium. Ich kam anfangs rein und da warteten 748 Briefe. Du bist die erste grüne Umweltministerin, schrieben die Leute, wir haben das und das Problem, kümmere dich bitte. 748 Briefe! Und so geht das weiter. Man muss mehrere 100 Entscheidungen pro Woche fällen, schnell, das macht was mit dir. Es ist gut, dass mein Mann manchmal gesagt hat: Wir sind hier nicht im Ministerium. Trotzdem war es ein großes Geschenk, so ein erfülltes Leben zu haben mit einem Beruf, der Spaß macht.
van Aken: Wobei ich den Spaßfaktor im Bundestag begrenzt finde. Und das ist ein wichtiges Kriterium. Ich möchte in meinem Leben die Welt verbessern und Spaß haben, aber das Verhältnis stimmt im Bundestag nicht wirklich. Spaß macht hier vielleicht ein schöner Battle mit Sigmar Gabriel. Oder einen Skandal aufzudecken mit einer guten Recherche. Aber es gibt auch viele Momente, Stunden und Tage, die sind ganz, ganz schlimm, oder?
Bosbach: Dann finden Sie mal einen Beruf, wo Sie nur Spaß haben.
Höhn: Spaß ist vielleicht das falsche Wort. Sagen wir mal Freude. Gemeinsam zu diskutieren, auch kontrovers zu diskutieren, die Freude daran möchte ich gern vermitteln.
Freude ist nicht gerade das, was der Bundestag ausstrahlt.
van Aken: Das ist die spannende Frage: Warum vermittelt sich das nicht? Mir geht es auch so: Wenn ich mal richtig einem an den Karren fahren kann, politisch was bewegen kann, bin ich superglücklich darüber, dann macht mir das Spaß. Aber wenn ich in der „Tagesschau“ zwölf Sekunden zu meinem Thema habe, tanze ich natürlich nicht und freue mich, sondern sage meinen inhaltlichen Satz. Die ganze Freude, die dahintersteckt, bekommt keiner mit.
Der Mensch: Die Diplom-Mathematikerin engagierte sich zunächst bei der SPD und in Bürgerinitiativen im Ruhrgebiet, 1985 wurde sie Mitglied der Grünen. Seit 1990 ist die 64-Jährige entweder Abgeordnete oder Ministerin in Bund und Land, seit 2005 sitzt sie im Bundestag. Mit Joschka Fischer stritt sie öffentlich über die Beteiligung am Kosovo-Krieg, mit Peer Steinbrück über den Transrapid und mit Wolfgang Clement über Abbaggerungen im Braunkohletagebau Garzweiler. Höhn ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Die höchsten Ämter: Von 1995 bis 2000 Ministerin für Umwelt und Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen, bis 2005 mit neuem Ressortzuschnitt auch für Verbraucherschutz.
Warum jubeln Sie nicht in der „Tagesschau“?
van Aken: Ich kriege es ganz gut hin, diese Politikersprache nicht zu benutzen. Frau Höhn und Herr Bosbach ja auch. Aber wenn ich tatsächlich eine Debatte beeinflussen will, muss ich in den zwölf Sekunden vorm Mikrofon genau den Punkt setzen, den ich machen will.
Höhn: Wenn ich ein Interview gebe, ist das eine fachliche Botschaft. Ich bin ja in die Politik reingeschliddert, ohne dass ich das wollte. Deshalb sind mir immer die Inhalte so wichtig. Wie wollen Sie da Freude einfangen? Sprache ist bei vielen Politikern sehr unkonkret, weil wir immer an dem gemessen werden, was wir irgendwann mal gesagt haben.
Darf man als Politiker auch mal sagen: Tut mir leid, da weiß ich nicht Bescheid?
Bosbach: Das sage ich jeden Tag.
van Aken: Aber das machen sonst nur wenige. Als ich das zum ersten Mal gesagt habe, kam die Rückmeldung von diversen Kollegen und Mitarbeitern: Das geht gar nicht. Auch auf Veranstaltungen wundern sich die Leute. Genauso ist es bei Journalisten: Wenn ich da sage, so allgemeines Politikergerede mache ich nicht, sind die das nicht gewöhnt. Ich finde das eine totale Selbstverständlichkeit, zu sagen, man weiß nicht Bescheid.
Bosbach: Man darf es allerdings nicht ständig machen, sonst fällt es auf.
Wird es Ihnen fehlen, qua Amt zu etwas gefragt zu werden?
Höhn: Nein.
van Aken: Als ich bei Greenpeace angefangen habe, hat mir mein Chef am ersten Tag gesagt: Pass auf, wenn du jetzt mit jemandem sprichst, meinen die nie dich, sondern immer nur Greenpeace, und wenn du irgendwann mal hier aufhörst, bist du wieder ein Nichts. Genauso war es, und jetzt rechne ich wieder damit: Wenn ich hier aufhöre, bin ich ein Jan van Aken, den keiner kennt. Aber ich mache meinen Job woanders, hoffentlich auch gut, und glaube nicht, dass ich unter einem Aufmerksamkeitsdefizit leiden werde.
Bosbach: Neulich musste ich über mich selbst lachen. Ich war, wie gesagt, 14 Tage im Urlaub. Das Handy habe ich lautlos gestellt, das mache ich sonst nie. Aber trotzdem habe ich alle Viertelstunde nachgesehen und war beleidigt, dass noch keiner angerufen hat. Meine Frau hat dann irgendwann gesagt, du denkst schon dran, dass zu Australien neun Stunden Zeitunterschied sind? Da war ich beruhigt. Man darf sich nicht wichtiger nehmen, als man ist. Irgendwann ist man Geschichte. Die Friedhöfe sind voll von unersätzlichen Leuten. Es geht dennoch immer weiter.
Haben Sie Angst, in ein Loch zu fallen?
van Aken: Ich glaube, dass man auf jeden Fall erst mal in ein Loch fällt. Das kennen doch alle, die schon mal eine Meisterprüfung oder eine Doktorarbeit gemacht haben. Aber nach einer Woche Loch ist auch gut, oder? Dann werde ich ja auch anfangen müssen, mir einen neuen Job zu suchen. Ich habe Übergangsgeld für acht Monate und kann in Ruhe gucken, was ich mache.
Höhn: Es ist ganz gut, wenn man selbst entschieden hat, aufzuhören. Und wenn man Zeit hatte, sich darauf vorzubereiten. Natürlich wird da ein Loch sein am Anfang. Wer behauptet, das wird nicht passieren, ist weltfremd. Vielleicht muss ich mir Zeit nehmen, das alles sacken zu lassen. Das konnten wir nie, es ging zack, zack immer so weiter. Und jetzt mache ich das wie das Sterntalermädchen und gucke mal, welche Sterne mir so in die Schürze fallen. Einige Angebote gibt es auch schon.
Bosbach: Die erste Zeit werde ich sicher genießen. Bisschen mehr Freiheit, bisschen mehr Freizeit. Aber nichts tun kann ich nicht. Ich werde wieder etwas mehr als Rechtsanwalt arbeiten, einige Angebote, ehrenamtlich für eine gute Sache zu arbeiten, habe ich auch schon. Die gucke ich mir jetzt in aller Ruhe an. Ich möchte nicht von Hamsterrad zu Hamsterrad wechseln. Hier rumschleichen im Regierungsviertel, nach dem Motto, hoffentlich werde ich noch gefragt, das werde ich sicher nicht.
Auf Ihren Visitenkarten steht dann nicht mehr Abgeordneter, niemand bucht Ihnen mehr Flüge . . .
Bosbach: . . . und wenn ich mich hinten rechts ins Auto setze, fährt keiner mehr los.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“