Abgasskandal bei VW: Krcks, quietsch, Totalschaden
Laut internen Prüfungen ist die Manipulationssoftware von VW in rund elf Millionen weiteren Dieselfahrzeugen eingebaut. Der Konzern muss seine Gewinnziele kappen.
Bei internen Prüfungen kam zudem heraus, dass die betreffende Steuerungssoftware, mit der in den USA die Abgaswerte manipuliert wurden, auch in anderen Dieselfahrzeugen des Konzerns vorhanden ist. VW geht davon aus, dass weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind.
Bei der Mehrheit habe das Programm keinerlei Auswirkungen. Bei einem bestimmten Motortyp sei jedoch „eine auffällige Abweichung zwischen Prüfungswerten und realem Fahrbetrieb“ festgestellt worden. Das Unternehmen stehe dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem deutschen Kraftfahrtbundesamt. Neben den USA wollen Deutschland, Südkorea, die Schweiz und Frankreich Dieselfahrzeuge auf Manipulationen untersuchen.
Die Aktie nahm ihre Talfahrt wieder auf. Bis zum Mittag schmierte das Papier an der Frankfurter Börse erneut mehr als 20 Prozent ab. Bereits am Vortag hatte VW an der Börse fast ein Fünftel seines Werts verloren. Damit büßte der Konzern seit Bekanntwerden des Abgasskandals knapp 27 Milliarden Euro an Börsenwert ein. Dies entspricht in etwa der gesamten Marktkapitalisierung der Münchener Rück, des weltgrößten Rückversicherers.
USA, Deutschland und Italien ermitteln
Mit den nun veröffentlichten Details wird klar, dass die Affäre viel größere Ausmaße hat als bislang bekannt. Seinen Ausgang hatte der Fall in den USA. Die dortige Umweltschutzbehörde EPA verdächtigt VW, bei zahlreichen Dieselfahrzeugen die Abgasvorschriften durch eine bestimmte Steuerungssoftware vorsätzlich umgangen zu haben. Dort geht es um fast eine halbe Million Autos. Für Volkswagen könnte dies nach Angaben der Behörde eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar nach sich ziehen. Hinzu kommen Schadensersatzklagen und Kosten für Rücknahme unverkäuflicher Fahrzeuge in den USA. In den USA hat das Justizministerium Medienberichten zufolge strafrechtliche Ermittlungen gegen VW eingeleitet.
Auch in Deutschland bereiten Anleger Klagen vor. Und Italien werde eigene Ermittlungen gegen den Wolfsburger Autokonzern einleiten, teilte das Verkehrsministerium in Rom am Dienstag mit. Man wolle herausfinden, ob das Unternehmen wie in den USA auch in Europa bei Emissionsüberprüfungen die Dieselabgaswerte manipuliert habe. Es sei ein entsprechendes Schreiben mit Fragen an Volkswagen geschickt worden.
Die Abgas-Affäre von VW ruft auch die EU-Kommission auf den Plan. Man sei mit dem Wolfsburger Autobauer ebenso in Kontakt wie mit Behörden in den USA, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde am Dienstag. Es sei aber zu früh, um Schlüsse zu ziehen. Zunächst gehe es darum, die Fakten zu klären. Die EU-Kommission verwies darauf, dass ab 2016 in der EU ein neues Messverfahren (RDE) zur Ermittlung der CO2-Emissionen und des Kraftstoffverbrauchs von Pkws eingeführt werden soll. Die EU setze die Grenzwerte und die Verfahren fest, für die Umsetzung der Regeln seien die Mitgliedsländer verantwortlich, betonte die Sprecherin.
„Wir haben es völlig verbockt“
Vor allem der Vertrauensverlust dürfte dem Konzern schwer zu schaffen machen. VWs US-Chef Michael Horn bat öffentlich um Verzeihung. Volkswagen sei unehrlich zu den Umweltbehörden und seinen Kunden gewesen, sagte der Manager in New York. „Wir haben es völlig verbockt.“ VW müsse die Fahrzeuge reparieren und dafür sorgen, dass dies nie wieder geschehen könne. Die Manipulation von Abgaswerten widerspreche allen Grundsätzen des Unternehmen. Auch Konzernchef Martin Winterkorn hatte sich öffentlich für das Vorgehen in den USA entschuldigt.
Nach Auffassung von Aufsichtsratsmitglied Olaf Lies wird die Affäre am Ende auch personelle Konsequenzen haben. Zunächst sei jedoch eine gründliche Aufklärung nötig, damit VW das verlorene Vertrauen wiedergewinnen könne, sagte der niedersächsische Wirtschaftsminister im Deutschlandfunk. „Ich glaube, mit übereilten Forderungen nach Rücktritten haben wir doch das Problem nicht gelöst und das verlorengegangene Vertrauen nicht wiedergewonnen.“
Das Präsidium des Aufsichtsrats des Wolfsburger Autokonzerns will sich am Mittwoch in einer Krisensitzung mit den Vorwürfen aus den USA befassen. Das Gremium, in dem neben dem amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden Berthold Huber und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil auch Betriebsratschef Bernd Osterloh und Wolfgang Porsche als Vertreter der Eignerfamilien Porsche und Piëch sitzen, soll die Aufsichtsratssitzung am Freitag vorbereiten. Der Aufsichtsrat soll über eine vorzeitige Vertragsverlängerung von Winterkorn um zwei Jahre bis Ende 2018 beraten. Insider bezweifeln, dass dies wegen des Skandals ohne Weiteres möglich sein wird.
Muss VW-Chef Winterkorn gehen?
Niedersachsens ehemaliger Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) fordert wegen des Dieselskandals eine Verschiebung der Vertragsverlängerung für VW-Chef Martin Winterkorn. „Solange nicht lückenlos aufgeklärt ist, wer im Konzern von den Manipulationen wusste und vom wem sie angeordnet wurden, sollte hier keine Entscheidung gefällt werden“, sagte Bode, der selbst von 2009 bis 2013 Mitglied des VW-Aufsichtsrates war, am Dienstag in Hannover.
Sollte sich im Laufe der Untersuchungen herausstellen, dass die Konzernspitze in die Manipulationen verwickelt war, wäre eine anschließende Trennung vom Vorstandschef angesichts der Vertragslage ein weiterer finanzieller Schaden für VW, betonte Bode. Um den Dieselskandal aufzuklären, müsse zudem schnell ein „unabhängiger Chefaufklärer“ eingesetzt werden.
Wirtschaftsforscher befürchten durch die Affäre gravierende Folgen für die gesamte deutsche Wirtschaft und halten Arbeitsplatzverluste für möglich. „Der Imageschaden wird VW nicht nur in den USA, sondern auch global teuer zu stehen kommen“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, der Bild-Zeitung. Damit seien auch Jobs bei VW und vielen Zulieferern in Deutschland gefährdet. Die möglichen Strafzahlungen für VW seien „noch das geringste der Probleme“.
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