AI-Generalsekretärin zu Guantánamo-Häftlingen: "Deutschland ist am Zug"
Auch die Bundesregierung müsse Guantánamo-Häftlingen Asyl gewähren, fordert Barbara Lochbihler von amnesty international. Es reiche nicht, "nur die Schließung von Guantánamo zu fordern".
taz: Frau Lochbihler, nach dem Urteil des Obersten US-Gerichtshofs bekommen die Guantánamo-Gefangenen endlich Zugang zu zivilen Gerichten in den USA. Ist das Guantánamo-Problem damit so gut wie gelöst?
Barbara Lochbihler: Überhaupt nicht. Kein einziger der rund 270 Gefangenen ist nach dem Urteil des Supreme Court entlassen worden. Es genügt nicht, wenn wir darauf hoffen, dass die Gefangenen nun ein rechtsstaatliches Verfahren erhalten. Jetzt muss unverzüglich etwas passieren.
Barbara Lochbihler, 49, ist seit August 1999 Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international.
Nach dem Jubel über das Urteil des Obersten Gerichtshofs, nach dem Häftlinge des US-Gefangenenlagers Guantánamo vor US-Gerichten die Überprüfung ihrer Inhaftierung einklagen können, wird in Washington diskutiert, wie die Entscheidung umgesetzt wird.
Juristisches Neuland ist, dass die270 Gefangenen ihre oft jahrelange Haft vor einem Zivilgericht anfechten können. Vertreter der Anwälte, des Justizministeriums und des Pentagons streiten sich über die Bedingungen, unter denen die Anhörungen stattfinden.
Für Regierungsvertreter ist es ein "sicherheitspolitischer Albtraum", nun in jedem einzelnen Fall Beweise offenlegen zu müssen, die die Inhaftierung des Terrorverdächtigen rechtfertigen. "Beweise" dafür sind bislang streng geheim, insbesondere ob sie unter
Folter zustande gekommen sind.
Das Pentagon behauptet, gegen "viele" Guantánamo-Insassen "substanzielle Beweise" zu haben, die
auch ein Zivilgericht überzeugen würden. Zugleich warnen Regierungsvertreter aber, dass mangels stichhaltiger Beweise wiederum "viele" für die USA "extrem gefährliche Personen" freikommen könnten.
Die Bedingungen jeder Freilassung sowie die Überstellung in das Heimat- oder ein Gastland sind Gegenstand komplizierter Verhandlungen. Fest steht nur: Guantánamo wird die
US-Justiz jahrelang beschäftigen.
KARIN DECKENACH
Was fordern Sie?
Amnesty international fordert, dass zumindest die Gefangenen sofort entlassen werden, die die USA selbst als ungefährlich bezeichnen. Und wenn die Leute nicht in ihr Heimatland zurückkönnen, dann sollten ihnen die USA oder andere Länder Asyl geben. Auch Deutschland ist jetzt am Zug.
Für wie viele Personen suchen Sie Aufnahmeländer?
Nach unseren Informationen werden über 25 Personen auf Guantánamo festgehalten, die das US-Militär freiließe, wenn sich ein Aufnahmeland fände.
Aus welchen Ländern stammen diese Personen?
Sie stammen aus 15 verschiedenen Staaten: aus Afghanistan, Algerien, Ägypten, China, Irak, Jemen, Jordanien, Libyen, Marokko, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan, Tunesien, Usbekistan und dem palästinensischen Westjordanland.
Warum werden die Betroffenen nicht einfach in ihre Heimatländer zurückgeschickt?
Weil ihnen dort politische Verfolgung, Haft oder Folter drohen. Einige der Häftlinge sind in Afghanistan oder Pakistan gefangen genommen worden. Dies allein macht sie in ihren Heimatländern schon terrorverdächtig.
Dann ist es doch zu begrüßen, dass die USA die Leute nicht einfach nach Hause schicken …
Natürlich. Aber das kann doch nicht bedeuten, dass sie in Guantánamo bleiben müssen!
Haben Sie mit der Bundesregierung bereits über eine Aufnahme der Personen gesprochen?
Ja, seit zwei Jahren trage ich das immer wieder vor - leider erfolglos. Deshalb versuchen wir es jetzt über die Öffentlichkeit. Es kann nicht genügen, nur die Schließung von Guantánamo zu fordern, die Bundesregierung muss aus humanitären Gründen konkret helfen.
Warum verweigert sich die Bundesregierung bisher?
Sie sieht die Verantwortung bei den USA, die ja das Lager Guantánamo betreiben. Nun sollen sich die USA auch um die Folgen kümmern.
Was spricht gegen dieses Argument?
Das Argument ist eigentlich völlig richtig. Amnesty international richtet seine Forderung auch zunächst an die USA. Aber wenn die US-Regierung kein Asyl gewährt, zum Beispiel weil sie Angst vor der Öffentlichkeitswirkung dieser Personen in den USA hat, dann muss trotzdem etwas passieren. Es geht hier ja um Menschen, nicht um Prinzipien.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), setzt sich schon lange dafür ein, dass uigurische Guantánamo-Gefangene in Deutschland aufgenommen werden. Was sind das für Personen?
Die Uiguren sind eine muslimische Minderheit in China, die teilweise für einen eigenen Staat eintritt. Uigurische Aktivisten gelten in China schnell als Terroristen. Die USA wollen die uigurischen Guantánamo-Häftlinge deshalb nicht nach China abschieben.
Könnte es sein, dass CDU-Mann Nooke vor allem den chinafreundlichen Außenminister Steinmeier von der SPD ärgern will, wenn er fordert, diese Uiguren in Deutschland aufzunehmen?
Das weiß nur er selbst. Wir halten die Aufnahme der Uiguren jedenfalls in der Sache für richtig, konzentrieren uns aber nicht auf diese Gruppe.
Aus Rücksicht auf Steinmeier?
Für uns sind alle Häftlinge gleich wichtig, egal woher sie stammen.
Nehmen Sie Außenminister Steinmeier besonders in die Pflicht? Er wird ja dafür verantwortlich gemacht, dass Murat Kurnaz 2002 nicht aus Guantánamo nach Bremen zurückkehren konnte. Könnte er sich nun rehabilitieren, indem Deutschland bei der Aufnahme von Guantánamo-Opfern voranschreitet?
Wir sehen die Aufnahme dieser Menschen als humanitäre Notwendigkeit, die für sich selbst steht. Wir stellen keinerlei Verbindung zum Fall Kurnaz her.
Warum setzen Sie sich eigentlich nur für 25 Personen ein? Sitzen die anderen 245 zu Recht in Guantánamo?
Dieser Eindruck soll auf keinen Fall entstehen. Wir fordern natürlich weiterhin die Schließung von Guantánamo. Wir halten auch die Prüfung der dortigen Offiziersausschüsse, die über eine mögliche Entlassung entscheiden, für kein faires und unabhängiges Verfahren. Teilweise wurde den Gefangenen nicht einmal gesagt, was ihnen vorgeworfen wird. Aber wenn selbst diese Ausschüsse bestimmte Häftlinge als ungefährlich einstufen, dann muss doch wirklich sofort etwas passieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch