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ADFC kürt fahrradfreundlichste StädteRadfahren bleibt gefährlich

Kerstin Finkelstein
Kommentar von Kerstin Finkelstein

Die deutsche Fahrradinfrastruktur erhält auch in diesem Jahr die Note ausreichend. Immerhin: Auf dem Land scheint das Radfahren besser zu funktionieren als in der Stadt.

In den deutschen Großstädten leben Rad­fah­re­r*in­nen nach wie vor gefährlich Foto: Jochen Tack/imago

B eim ADFC-Fahrradklima-Test können alle zwei Jahre Radfahrerinnen und Radfahrer ihre Kommune in Bereichen wie Sicherheit, Infrastruktur und Förderung des Radverkehrs bewerten. Rund 213.000 Menschen haben im Herbst des vergangenen Jahres abgestimmt, 1.047 Orte erreichten die notwendige Mindeststimmenzahl und gingen in die Bewertung ein.

Nun wurden die aktuellen Ergebnisse veröffentlicht: Radfahrende gaben ihren Kommunen im Durchschnitt die Schulnote 3,92. Zwei Jahre zuvor lag der Schnitt bei 3,96 – und davor bei 3,93. Im Mittel ist die Fahrradpolitik also seit Jahren „ausreichend“: Es reicht für diejenigen, die unbedingt fahren wollen – Verkehrswende sieht anders aus.

Interessant am Test ist, dass gerade kleinere Ortschaften verhältnismäßig gut abschneiden: Um in der Kategorie „Kommunen bis 20.000 Einwohner“ zu gewinnen, benötigte Wettringen eine hervorragende 1,55. Dagegen reichte Frankfurt eine 3,49, um als Siegerin der Großstädte über 200.000 Einwohner hervorzugehen. Dass diese Noten nicht unbedingt einem strenger bewertenden Großstädternaturell geschuldet sind, zeigt der Trend der letzten Jahre: Frankfurt baute neue Radwege und verbesserte sich, Berlin hingegen baute Infrastruktur zurück – und verschlechterte sich auch in der Bewertung. Wer etwas leistet, wird also wahrgenommen.

Auf dem Land scheint es sich also generell besser Rad zu fahren als in der Stadt. Das erlaubt zwei Schlussfolgerungen: Zum einen sind die Apologeten des pro-Auto-Mantras „aber auf dem Land“ widerlegt – dank E-Bikes und Lastenrädern lässt sich auch dort ein Alltag inklusive Wochenendeinkauf gut autofrei gestalten. Zum anderen sind es gerade die Großstädte, die Radfahrenden das Leben unnötig schwer machen, indem sie trotz kurzer Wege und gutem öffentlichem Nahverkehr nach wie vor überall den Autoverkehr zulassen.

Politik bedeutet nicht, darauf zu hoffen, dass der Einzelne sich schon irgendwie gut verhalten wird, sondern klare Regeln zu schaffen. In der Verkehrspolitik wäre das ganz einfach: Weg von einem fabulierten „Miteinander“, hin zu sicheren, sprich baulich getrennten Wegen. Dann könnten auch Großstädte eine Eins vor dem Komma erreichen.

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Kerstin Finkelstein
Dr. phil, Expertin für Verkehrspolitik und Migration. Studium in Wien, Hamburg und Potsdam. Volontariat beim „Semanario Israelita“ in Buenos Aires. Lebt in Berlin. Fährt Fahrrad. Bücher u.a. „So geht Straße“ (Kinder-Sachbuch, 2024), „Moderne Muslimas. Kindheit – Karriere - Klischees“ (2023), „Black Heroes. Schwarz – Deutsch - Erfolgreich“ (2021), „Straßenkampf. Warum wir eine neue Fahrradpolitik brauchen“ (2020), „Fahr Rad!“ (2017).
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2 Kommentare

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  • Ich bin gerade in Italien, im Sommer oft in Kroatien. Und es erschreckt mich immer wieder wir rücksichtslos hier die Autofahrer unterwegs sind. Wenn da 30 cm Abstand gehalten wird beim überholen eines Radfahrers, dann hat man Glück gehabt.

  • Beim dem Bild zum Artikel bekomme ich die Krise.



    Ich bin alles andere als ein Freund des ADFC und sehe dessen Gebahren als zu lobbyistisch und wenig an Ausgleich interessiert, aber der hat bei den Gefahrenstellen im Städten vielmals recht. Ich selbst fahre täglich eine dreispurige Straße mit Busverkehr, vor der die Fahrradspur abrupt endet.

    Was nicht diskutiert wird, ist die Rücksichtlosigkeit unter Radfahrern selbst. Vor allem von jugendlichen Radfahrern gegenüber älteren. Erst letzte Woche nahm mir beim Rechtsabbiegen eine Radfahrerin die Vorfahrt und mein Gepäck und ich stürzten auf die Straße, gestern dann nahm mir ein Lastenrad die Vorfahrt - ähnlich wie ein SUV, der denkt, ich bin stärker. Abermals stürzte ich, um nicht in das Lastenrad reinzukrachen. Der Fahrer hatte die Länge seine Gefährts unterschätzt.

    Die Fälle häufen sich exponentiell mit der Zunahme von Radfahrern im Gesamtverkehr. Ebenso keine Rücksichtnahme auf Fußgänger. Die werden einfach zur Seite gedrängt.

    Obe SUV oder Rad - es gilt das Gesetz des stärkeren. Das sagt viel über unsere Gesellschaft.