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ABSTURZ Schock an den Börsen, Angst in der Wirtschaft. Damit hatte niemand gerechnetMärkte im Brexit-Beben

Von Kai Schöneberg

Aktienhändler und Analysten hatten den EU-Austritt der Briten ja fast nicht mehr für möglich gehalten. Umso heftiger purzelten am Freitagfrüh die Kurse: das Pfund auf den Stand von 1985, der Dax bei minus 10 Prozent, EuroStoxx 50 bei minus 9 Prozent, Nikkei minus 9 Prozent. Aber auch: Höchstpreise für Gold, Franken, Yen. Am Nachmittag, als sich der Brexit-Schock etwas gelegt hatte, bewegten sich alle Kurse wieder Richtung Vortagsniveau. Davor hatte der Crash Experten zufolge global 5 Billionen US-Dollar an Börsenwert vernichtet, etwa das Doppelte der Wirtschaftsleistung Großbritanniens.

Doch die Zentralbanken weltweit griffen ein, um ein Fiasko zu verhindern: Der britische Notenbankchef Mark Carney stellte 250 Milliarden Pfund zur Stützung der Märkte in Aussicht. Die Europäische Zentralbank betonte, es gebe ausreichend Liquidität für alle Geldhäuser des Kontinents. Und selbst im fernen Südkorea verkaufte die Zentralbank noch Dollar, um den Fall des Won zu begrenzen.

Der Austritt Großbritanniens aus der EU dürfte auch direkte Folgen für die Realwirtschaft haben. Erst mal leidet Großbritannien selbst. Das größte Problem: die Unsicherheit. Wer investiert jetzt noch in Großbritannien? Finanzminister George Osbourne fürchtet bereits eine „hausgemachte Rezession“: In den kommenden zwei Jahren erwarten Ökonomen eine um bis zu 6 Prozent niedrigere Wirtschaftsleistung, mehr Arbeitslose, geringere Lohnanstiege. Die Bank of England prognostiziert einen „merklichen Abschwung“ bis hin zu einer Rezession.

Auch für den Rest Europas heißt es wenig Gutes, wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft des Kontinents schwächelt. Großbritannien ist der weltweit drittwichtigste Absatzmarkt für deutsche Exporteure – nach den USA und Frankreich, aber noch deutlich vor China. Waren im Wert von fast 90 Milliarden Euro verkauften die Deutschen 2015 auf die Insel. Allein die Töchter hiesiger Unternehmen beschäftigen hier über 400.000 Mitarbeiter. Die größten: Deutsche Bahn (33.000 Mitarbeiter beim Nahverkehrsbetreiber Arriva), Deutsche Post mit 10.500 Beschäftigten beim Logistiker Exel), Deutsche Bank (8.000) oder RWE (9.000 mit der Tochter nPower).

Besonders betroffen sein dürfte die deutsche Autobranche: Großbritannien ist mit 820.000 Auslieferungen jährlich ihr größter Exportmarkt. Angst vor neuen „Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland“ hat deshalb auch der Präsident des Verbands der Automobilindustrie, Matthias Wissmann. Analysten erwarten, dass die Verkäufe – der britische Markt ist der zweitgrößte in Europa – um 10 Prozent sinken. Das wäre schlecht für BMW (7.400 Mitarbeiter) und den weltweit größten Zulieferer Bosch (5.300 Mitarbeiter). Über seine Schwestermarke Vauxhall (3.000 Mitarbeiter) verkauft auch Opel in Großbritannien so viele Autos wie nirgendwo sonst in Europa: 2015 waren es 311.000, ein Drittel der Gesamtproduktion.

Die größten unmittelbaren Folgen dürfte der EU-Ausstieg der Briten auf die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der London Stock Exchange (LSE) haben. Der Plan, das fusio­nierte Unternehmen in London anzusiedeln, wird von der hessischen Börsenaufsicht und den nicht unmächtigen Gewerkschaftern nach dem Brexit-Votum abgelehnt. Die Behörde kann die Fusion blockieren.

Alle jammern, aber Frankfurt könnte zum Brexit-Krisengewinner werden. Da London die Erlaubnis verliert, Finanzprodukte in allen EU-Ländern zu vertreiben, dürften ausländische Banken nun in Scharen Richtung Frankfurt, aber auch nach Dublin oder Paris ziehen. Die Standortlobby „Frankfurt Main Finance“ erwartet in den fünf Jahren nach dem Brexit 10.000 neue Jobs.

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