Unterwegs im Regionalzug: Manufactum auf Schienen für Sparfüchse
Wer mit dem Deutschlandticket durch das Land reist, wird jede Menge Jägerzäune sehen. Es lebe der Nahverkehr und seine abseitigen Bahnhöfe!
Nur Nahverkehr“. Das ist das Zauberwort. Nahverkehr. Nicht „alle Verkehrsmittel“, nur Nahverkehr, kein „Fernverkehr“. Gehe ich im Netz auf „Verbindungssuche“, will ich aus freien Stücken die langsamere Schiene, und nicht, weil die oft verkorkste Bahn es mir verordnet. Ich liebe haltestellenintensive Verbindungen – so viele Finger hat kein Mensch zum Stationenabzählen. 17, 19, ja gar 27 Aus- und Einsteigepunkte sind keine Seltenheit, ist man auf Nahverkehr im RE oder RB drauf. Deutschlandticket, mon amour!
Ja, es gibt sie noch, die guten Routen, die funktionuckelnden Verbindungen. Deutschlandticket fahren, das hat was von Manufactum auf Schienen für Sparfüchse. Ich bin ein Fan der zeitgenössischen Schwäb’sche Eisebahne. Klar „fällt“ auch mal ein „Zug aus“, aber seltener als im Fernverkehr und immer noch besser als „120 Minuten Verspätung in umgekehrter Wagenreihung wegen verspäteter Bereitstellung des ICE und mehrfachen Gleiswechsels“.
Also zuckle ich eben noch mit dem RE 9 von Kassel-Wilhelmshöhe in Hessen nach Sangerhausen in Sachsen-Anhalt, streife dabei Hannoversch Münden, kurz Hann. Münden in Niedersachsen und passiere insgesamt vier Bundesländer in 126 Minuten. Ich komme durch Witzenhausen Nord und Heilbad Heiligenstadt, Gernrode-Niederorschel in Thüringen sowie Bleicherode Ost und Wolkramshausen. Und kurz vor dem Zwischenziel Sangerhausen – von da geht’s noch nach Berlin über Magdeburg (wo man „Bockwürste 2. Wahl“ feilbietet) –, kurz davor kommt Berga-Kelbra.
Alles läuft, es steigt kein „mobiler ICE-Brezelverkäufer“ zu, Stullen sind an Bord und Chips. Ein jungscher Typ kriegt sein Handy nicht leise, alle lauschen der schimpfenden Mutter, doch definitiv gibt es viel, viel mehr zu sehen als im Fernverkehr. Denn drinnen wie draußen erscheint mir alles näher, greifbarer und umso unbegreiflicher. Das wohl ist Deutschland, denke ich im Vorbeifahren, und die Orte und die Weiler ziehen an mir vorbei, und irgendwann denke ich: Warum stehen eigentlich so viele Jägerzäune im Land? Erst via Deutschlandticket ist mir das aufgefallen. Fast alle Unterwegshalte bieten in Bahnhofsnähe oder gleich auf dem Bahnhof ein Modell Jägerzaun. Ost wie West.
Ach und ja, wissen Sie eigentlich, dass der Bahnhof Berga-Kelbra, gelegen kurz vor der Berg-, Kreis- und Rosenstadt Sangerhausen, ein Keilbahnhof im Landkreis Mansfeld-Südharz ist? Und dass der Bahnhof von Sangerhausen 1963 der erste DDR-Bahnhofsneubau war und heute samt realsozialistischem Wandmosaik unter Denkmalschutz steht? Solche Infos erarbeitet sich nur, wer das Deutschlandticket liebt und erfährt. Also ich. Ende der Durchsage.
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