76. Filmfestspiele in Venedig: Überall Spione
Von der Dreyfusaffäre bis zu den Panama Papers: In Venedig dominiert die Zeitgeschichte. Auch Netflix ist mit drei Produktionen am Start.
Ob die Ereignisse drinnen eine Rolle spielen werden, bleibt ebenfalls abzuwarten. Die 76. Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica, wie die Filmfestspiele von Venedig auf Italienisch heißen, hält ihrerseits jedenfalls mit nicht minder bewegenden Themen dagegen. Von Mittwoch an präsentiert sich am Lido wieder erfahrenes und junges Autorenkino, Ersteres im Wettbewerb, Letzteres stärker in den Nebenreihen.
Mit der argentinischen Regisseurin Lucrecia Martel hat die Wettbewerbsjury dabei eine Präsidentin, deren ausgeprägter Stil sie zur wichtigsten Regisseurin Lateinamerikas macht. So sind durch den Kolumbianer Ciro Guerra und den Chilenen Pablo Larraín denn auch zwei sehr starke Filmemacher vom lateinamerikanischen Kontinent im Wettbewerb vertreten.
Guerra, der zuletzt in „Der Schamane und die Schlange“ und „Birds of Passage“ Regie führte, steuert mit der italienisch-US-amerikanischen Produktion „Waiting For the Barbarians“ eine Adaption von J. M. Coetzees gleichnamigem Roman bei. Larraín, dessen Film „Jackie“ über Jacqueline Kennedy vor drei Jahren am Lido um den Goldenen Löwen konkurrierte, begibt sich mit „Ema“, einem Drama um eine junge Tänzerin, nach einigen Produktionen im Ausland wieder in sein Herkunftsland.
Von einem Filmfestival zu erwarten, dass es „ein“ Thema hat, ist immer ein wenig viel verlangt, da bei der Auswahl der Beiträge ja zunächst einmal das Angebot zu gegebener Zeit entscheidend ist. In diesem Jahrgang der Mostra gibt es aber durchaus eine beachtliche Liste an Filmen, die sich der jüngeren bis jüngsten Zeitgeschichte widmen. Darunter viele vertraute Namen. Der französische Regisseur Olivier Assays etwa, er erzählt in „Wasp Network“ die Geschichte der „Miami Five“, von fünf kubanischen Geheimagenten, die in den USA operierten und dort Ende der neunziger Jahre ins Gefängnis kamen.
Mit kleinem Unterthema
Spionage bildet in diesem Jahrgang zugleich ein kleines Unterthema. So spielt Ye Lous in Schwarz-Weiß gedrehter chinesischer Wettbewerbsfilm „Lan xin da ju yuan“ (Saturday Fiction) im japanisch besetzten China des Jahrs 1941, mit einer Geheimagentin als Hauptfigur, die für die Alliierten arbeiten soll. Und Roman Polanski hat sich mit seinem Historienfilm „J’accuse“ die Dreyfusaffäre vorgenommen, in der der französische Hauptmann Alfred Dreyfus unter dem Vorwurf, Spionage für Deutschland zu betreiben, ins Gefängnis geworfen wurde. Bis seine Unschuld feststand.
Eine Geschichte aus dem Nationalsozialismus erzählt der tschechische Filmemacher Václav Marhoul in „The Painted Bird“, einer Literaturverfilmung nach Jerzy Kosińskis Roman „Der bemalte Vogel“, in dem ein Junge quer durch Polen vor den Nazis und antisemitischen Bauern fliehen muss. In derselben Zeit setzt gleichfalls Tiago Guedes’ „A Herdade“ an, ein Porträt Portugals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Beispiel einer Großgrundbesitzerfamilie.
Und auch die Gegenwart rückt in diesem Jahr prominent ins Bild. Der US-Amerikaner Steven Soderbergh hat für „The Laundromat“, in dem unter anderem Meryl Streep, Gary Oldman, Antonio Banderas und Sharon Stone mitwirken, die Panama Papers als Stoff gewählt. Der Film ist übrigens eine von drei Netflix-Produktionen, die dieses Jahr in Venedig Premiere feiern. Außer Konkurrenz schließlich zeigt der inzwischen 86-jährige griechisch-französische Regisseur Costa-Gavras „Adults in the Room“ über die Finanzkrise Griechenlands von 2015. Unter den Darstellern ist Ulrich Tukur. Über dem Angebot könnte man die aktuelle Politik fast aus dem Auge verlieren.
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