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70. Jahrestag Auschwitz-Befreiung im TVDie Bilder wirken lassen

Die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau wird auch im Fernsehen gewürdigt. Die ARD bietet ein betont didaktisches Programm.

Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau: Szene aus der „ARD“-Dokumentation „Ich fahre nach Auschwitz“. Bild: NDR

Ist der Holocaust im Fernsehen „auserzählt“? Es gibt TV-Redakteure, die argumentieren so, wenn Autoren mit Vorschlägen aus diesem Themenfeld aufwarten. Dass sie damit falsch liegen, zeigt der Programm-Schwerpunkt, den die ARD anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zusammengestellt hat. „Auschwitz ist ein Ort zum Lernen beziehungsweise ein Ort, an dem man etwas lernen muss“, sagt NDR-Redakteur Jürgen Meier-Beer. Das ist gewissermaßen das Leitmotto des Schwerpunkts.

Meier-Beer, der diese „halbe Themenwoche“ koordiniert hat, war zur Vorbereitung selbst in Auschwitz, gemeinsam mit der Dokumentarfilmerin Gesine Enwaldt. Dass man sich, wenn man dort ist, mit der historischen Realität auseinandersetzen muss, habe auch damit zu tun, dass von diesem Vernichtungslager mehr erhalten geblieben ist als von anderen, sagt Meier-Beer. Der betont didaktische Aspekt steht dann auch im Zentrum von Enwaldts Dokumentation „Ich fahre nach Auschwitz“, die die ARD am Montag (22.45 Uhr) ausstrahlt. Der Film zeigt, wie junge Reisegruppen aus Deutschland einen Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erleben.

Formal der ungewöhnlichste Beitrag des ARD-Schwerpunkts ist der Film „7 Tage … Auschwitz – ein musikalisches Experiment“. Es handelt sich dabei um eine neue Fassung einer Reportage, die Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch für die NDR-Reihe „7 Tage …“ gedreht haben. Für diese Version hat der polnische Musiker Vladyslav Sendecki, Mitglied der NDR-Bigband, einen knapp 30-minütigen Soundtrack geschaffen, der die Off-Kommentare des Ursprungsfilms ersetzt.

Weitere Sendungen

„Mit dem Mut der Verzweiflung. 70 Jahre nach Auschwitz“, ZDF, 27.1, 22.15 Uhr

„Die lange Nacht der Erinnerung“, 27.1., 23.15 Uhr, WDR

„Der Osten – Entdecke, wo Du lebst: Topf & Söhne. Erfurt“, 20.45 Uhr, MDR

Live-Berichterstattung von verschiedenen Gedenkveranstaltungen, 27.1., ZDF und Phoenix

„Das Auschwitz-Album“, multimediales Webspecial zur Geschichte der Auschwitz-Überlebenden Lili Jacob, zdf.de

Die Idee resultierte auch aus der Unzufriedenheit der Autoren mit der ersten Fassung, mit dem Problem, das Erlebte in Worte zu fassen. „Das Verstörende“ des Aufenthalts werde in der neuen Fassung deutlicher, sagt Christian von Brockhausen. Dabei ist die Musik gar nicht einmal durchgehend bedrückend, sondern manchmal auch melancholisch jazzig.

Violinen von Holocaust-Opfern

Es wäre durchaus erfreulich, wenn diese unkonventionelle Idee den einen oder anderen TV-Redakteur inspirieren würde. Denn Zuschauer, die sich häufig darüber ärgern, dass sie von Reportageautoren zugetextet werden, weil diese meinen, ihre Bilder nicht wirken lassen zu können und alles mindestens zweimal sagen zu müssen, werden an diesem Experiment jedenfalls Gefallen finden. Wie wenig man allerdings in der Schaltzentrale der ARD von Experimenten hält, zeigt die Tatsache, dass die Erstausstrahlung von „7 Tage … Auschwitz – ein musikalisches Experiment“ für 0.45 Uhr in der Nacht von Montag auf Dienstag vorgesehen ist.

Musik spielt auch eine Rolle in dem Themenschwerpunkt, den der RBB am Dienstag setzt. In seinem Dritten Programm zeigt er die Dokumentation „Geigen gegen das Vergessen“, die die Geschichte des israelischen Geigenbauers Amnon Weinstein erzählt, der die Instrumente von Juden gesammelt hat, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind. Zum Einsatz kommen die Violinen am selben Abend bei einem Gedenkonzert in der Berliner Philharmonie, das das Kulturradio des RBB live überträgt.

Andere Sender greifen anlässlich des Gedenktages auf Filme aus ihrem Archiv zurück. Je älter sie sind, desto reizvoller kann das sein, weil diese Wiederholungen auch Aufschluss geben über die Entwicklung des Geschichtsfernsehens im Laufe der Jahrzehnte. ZDFkultur zeigt am Mittwoch zum Beispiel drei Filme des Langzeitdokumentationsspezialisten Hans-Dieter Grabe aus den Jahren 1972, 1989 und 1999. Es sind sehr bedächtige Filme, wie sie im heutigen Geschichtsfernsehen kaum noch vorstellbar sind.

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5 Kommentare

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  • @REINERBEWERSDORFF

    Was man positiv "bewahren" möchte darin, das sollte man womöglich nicht hinein prügeln in die Köpfe.

     

    Kein Mensch muss müssen, sagt man. Diejenigen, die Auschwitz betrieben haben, haben jedenfalls erkennbar nicht gemusst. Sie waren dort, als das Grauen noch Realität gewesen ist, nicht trockene Geschichte. Sie haben trotzdem nichts gelernt daraus. Sie haben weiter gequält und gemordet, je länger, desto schlimmer. Sie waren nur mit viel zu viel Gewalt zu stoppen. Wenn man heute noch etwas lernen kann aus einem Besuch im Lager, dann ist es ja wohl das: Zu fragen, warum das so war und was das noch mit uns zu schaffen hat. Zum Beispiel mit den Reaktionen von Jugendlichen, die man zum Besuch der Gedenkstätte "verdonnern" muss, undsich damit revangieren, dass sie saublöde "Witze“ reißen vor Ort. Nein, "auserzählt" ist der Holocaust noch lange nicht. Aber wie bereits gesagt: Müssen muss man gar nichts. Wer nicht lernen will, der weiß wohl schon genug. Vielleicht sogar, warum "woanders […] heute noch ähnliches [geschah und geschieht]".

  • Es geht nicht um Vorfürfe gegen unsere Generation. Nicht um Schuldzuweisung. Wir haben es nicht verursacht, aber wir haben dieses schwere Erbe zu verwalten und dazu gehört die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Geschichte. Verstören, in diesem Zusammenhang, tut mich immer wieder der Umstand, dass man es zu relativieren versucht."Woanders geschah und geschieht heute noch ähnliches...."! Als ob dies, dass Grauen schmälern würde. Vielmehr zeigt es, das die Menschheit eben nicht lernt aus den Fehlern der Vergangeheit. Umso mehr muss man es in den Köpfen der folgenden Generationen bewahren.

    • @ReinerBewersdorff:

      Diesen Kommentar kann ich so, wie er da steht, unterschreiben.

      • @anteater:

        Das Wichtigste ist doch Empathie... mit dem Leid anderer Menschen. Und nicht das Leid zu verdrängen. Natürlich ist es schmerzhaft, alle diese Geschichte zu hören und zu sehen, wie Menschen leiden. Aber zuzulassen, dem zu begegnen, um dann in der Lage zu sein, aktiv dagegen zu werden oder wenigstens das Leid anzuerkennen, das zu lernen halte ich für das Allerwichtigste. Und das dann Weiterzugeben an die nächste Generation. Das Tragische ist doch immer das Leugnen und Wegschauen und der damit verbundene Glaube, das Leid würde damit weggeschoben werden können, nicht-existent gemacht werden können. Das aber ist eine Illusion und führt höchsten zu Verhärtung. Und damit zu weiterem Leid.

        Hier ein Interview mit Hans-Dieter Grabe, in dem auch Ausschnitte aus den Interviews mit Mendel Scheinfeld zu sehen sind. Sehenswert!