70 Jahre Pippi Langstrumpf: Ist sie das wirklich?

Anfang der 70er zog Pippi Langstrumpf einen Zug aus dem Watt. Augenzeugen fragten sich, wie das eine Figur tun konnte, die gar nicht echt war.

Pippi Langstrumpf mit ihrem Affen

Ist das jetzt Inger Nilsson, die Schauspielerin? Oder doch die echte Pippi? Foto: dpa

BERLIN taz | Wenn es darum geht, sich des Gefühls zu versichern, wie das war: Kindheit, dann spielt eine Begegnung, die sich in den Kurlichtspielen in Westerland auf Sylt zugetragen hat, bei mir eine besondere Rolle. Es müssen die frühen siebziger Jahre gewesen sein. Also vielleicht schon 1971, denn die letzten der klassischen „Pippi Langstrumpf“-Filme kamen kurz vorher in die Kinos. Oder vielleicht auch 1972, denn im Internet finden sich Fotos, die Pippi Langstrumpf in ihrem klassischen Outfit mit Zöpfen und Sommersprossen auf ihrem Pferd Kleiner Onkel zeigen, wie sie entlang der Nordseeküste auf Promotour ist.

Jedenfalls saßen wir, viele Mütter, viele Kinder, aufgeregt an einem schönen Sommertag im abgedunkelten Saal dieses Kinos und warteten. Pippi verspätete sich. Aber dann war sie da und stand auf der kleinen Bühne vor der Leinwand, die die Kurlichtspiele hatte, und winkte.

Ein Mann entschuldigte sich für die Verspätung. Er erklärte, Pippis Zug sei leider entgleist und habe deshalb erst einmal aus dem Watt wieder auf die Schienen gezogen werden müssen. Selbstverständlich von niemand anderem als von Pippi selbst, der Stärksten von allen. Noch ein Lächeln von Pippi. Dann begann der Film.

Nach Kindheit fühlen sich im Nachhinein vor allem die Diskussionen an, die sich hinterher unter uns Acht- oder Neunjährigen abspielten. Das ist gar nicht die echte Pippi! So viel war klar, es glaubte, außer der kleinen Schwester, auch niemand mehr an den Weihnachtsmann.

Die heimliche Hoffnung

Aber es gab auch ein Staunen darüber, wie eine Figur, die gar nicht echt war, so selbstverständlich und so vorhanden sein konnte. Vielleicht gab es auch eine heimliche Hoffnung, dass sie doch echt sein könnte. Schließlich war sie für viele Menschen, die mit ihr aufgewachsen sind, echter als die Nachbarn oder die eigenen Geschwister.

Und die Wirklichkeit passte sich allmählich sowieso an diese Figur an. Kitas wurden programmatisch „Villa Kunterbunt“ genannt. Punk-Musikerinnen kleideten sich wie Pippi Langstrumpf. Antiautoritär wurden auch die Autoritäten (viele jedenfalls). Und die grün-alternativen Bewegungen mühten sich nach Kräften, die Lebenswelt der Bundesrepublik so bunt und wild zu gestalten wie die namenlose Stadt, in der Pippi und ihre braveren Freunde Tommy und Annika lebten.

Ein Mann entschuldigte sich für die Verspätung. Pippis Zug sei leider entgleist und sie habe ihn erst einmal wieder aus dem Watt ziehen müssen.

Schöne Fotos sind das übrigens, die sich zu dieser Promotour finden lassen. Die Mütter trugen hochtoupierte Haare, und in ihren Augen, mit denen sie auf Pippi blickten, zeigte sich mindestens so viel Glanz wie in den Augen der Kinder.

Kollektive Fantasie

Väter sind auf den Fotos nur wenige zu sehen, Kinderbetreuung war Frauensache. Was die Erinnerungen und die Fotos verbindet, ist die Stärke der kollektiven Fantasie, die Pippi verkörperte.

Inzwischen behaupte ich, wenn ich gefragt werde, steif und fest: Ich habe Pippi getroffen. Kurzes Stutzen beim Gegenüber. Dann die Rückfrage: Du meinst Inger Nilsson, die Schauspielerin? Nein, sage ich, Pippi. Sie war real. Sie ist es noch.

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