65. Geburtstag von Oprah Winfrey: Der American Dream in Person
Die Talkshowmoderatorin Oprah Winfrey gilt für viele als ideale Präsidentschaftskandidatin. Das liegt auch an ihrer neoliberalen Philosophie.
Und Oprah Winfrey spricht über ihre Kindheit. „1964 war ich ein kleines Mädchen“, beginnt Winfrey, die Talkshowkönigin. „Ich saß auf dem Linoleumboden im Haus meiner Mutter in Milwaukee und sah, wie Anne Bancroft bei der 36. Oscar-Verleihung den Oscar für den besten Schauspieler überreichte. Sie öffnete den Umschlag und sagte fünf Wörter, die Geschichte machten: ,Der Gewinner ist Sidney Poitier.'“
Winfrey erzählt die Geschichte vom ersten schwarzen Schauspieler, der einen Oscar für die beste Hauptrolle bekam, weil sie einen Punkt zum Thema Repräsentation machen will. Dass nämlich dieses Ereignis die kleine Oprah verändert hat, auch wenn sie selbst keinen Preis gewonnen hat. Es ist das Versprechen, dass es allen Mitgliedern einer marginalisierten Gruppe besser geht, sobald es einigen von ihnen sichtbar besser geht.
Es ist das Versprechen „Fortschritt durch Sichtbarkeit“ – Oprah Winfrey selbst verkörpert es wie kaum eine andere im US-Showbiz. Am Dienstag wird Winfrey 65, sie ist die erste schwarze Milliardärin in der US-Fernsehbranche und medialer Mythos mit nicht zu unterschätzendem politischen Einfluss. Viele halten sie für die ideale Herausfordererin bei den Präsidentschaftswahlen 2020. Sie ist der Anti-Trump und ihm doch in der ein oder anderen Weise ähnlich.
Eine Stimme geben
Winfrey wird am 29. Januar 1954 im US-Bundesstaat Mississippi geboren, zu einer Zeit, als dort rassistische Segregation, etwa in Schulen, noch Alltag ist. Winfreys Mutter ist minderjährig, die Familie lebt in Armut. Winfrey berichtet von Missbrauchserfahrungen als Kind. In den Achtzigern übernimmt sie eine Morningshow im Lokalfernsehen in Chicago.
Das erfolgreiche Talkformat wird bald von anderen Sendern übernommen und in „The Oprah Winfrey Show“ umbenannt. Winfrey lädt darin Menschen mit Schicksalen ein, Identifikationsfiguren, denen sie zuhört, eine Stimme gibt und Trost spendet – bisweilen einen Ausweg zeigt. Jahre später, als die Sendung längst ein zweistelliges Millionenpublikum erreicht, beginnt Winfrey, hin und wieder sogar ihr Studiopublikum zu beschenken, mit Traumreisen oder Autos. Winfreys Ausruf „You get a car! And you get a car! And you get a car!“ ist längst in den Kanon der popkulturellen Referenzen übergegangen.
Aber auch Prominente und sogar Politiker lassen sich von Winfrey ausfragen und sorgen für Sensationen. Der medienscheue Michael Jackson berichtete bei Winfrey von seiner Hautkrankheit. Tom Cruise gesteht dort seiner Jetzt-Ex Katie Holmes seine Liebe. Und Rennfahrer Lance Armstrong, dass er gedopt hat.
Selbstverständlich keineswegs spontan, sondern genauestens abgesprochen, inszeniert und vertraglich geregelt. Winfrey überlässt nichts dem Zufall, was ihr bei Kritiker*innen inzwischen den Ruf der Manipulatorin eingebracht hat. So kann man Oprah Winfrey sehen – oder als Profi, die verstanden hat, wie Unterhaltungsmedien funktionieren.
Weiße Mittelschicht
Und welche Geschichte sie erzählen will. Es ist die Geschichte der Hoffnung und des „positiven Denkens“. Schaut her, ich hab’s auch geschafft! American Dream auf Raten. Für die Show im Jahr 2004, in der die berühmten Autos an das Publikum verschenkt werden, betreiben Winfrey und ihr Team intensives Casting, damit sich im Publikum auch wirklich diejenigen befinden, die ein Geschenk verdient haben. Allerdings wird die Aktion zum Skandal, weil alle Beschenkten eine Steuer von mehreren tausend Dollar für das Fahrzeug zahlen müssen.
Aber das Showbiz misst nicht reale Auswirkungen, sondern ob die Geschichte stimmt. Und Winfrey bleibt bei ihrer. Aus Charity für arme Menschen wird Gleichstellungspolitik. 2008 hilft Winfrey dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama beim Wahlkampf. Es gilt, die Idee vom ersten schwarzen Präsidenten auch in mehrheitlich weißen Bundesstaaten attraktiv zu machen. Und auch wenn Winfrey eine schwarze TV-Ikone ist: Ihr Publikum war stets überwiegend die weiße Mittelschicht.
Und an die richten sich auch „Oprah“ und ihre Erzählung. Die Kommunikationswissenschaftlerin Janice Peck schreibt über Winfrey, dass diese sich der neoliberalen Philosophie des „Positive Thinking“ bediene. Einem Mantra, das besonders bei denen Widerhall finde, die materielle Not hinter sich gelassen hätten. „Viele in Winfreys Kreis von Expert*innen predigen eine Variante von ,Positive Thinking‘“, schreibt Peck im Essay „The Secret of Her Success: Oprah Winfrey and the Seductions of Self-Transformation“. Winfrey bewerbe die Vorstellung, dass Kontrolle über das Denken gleich Kontrolle über die Realität sei. „Negatives Denken“ dagegen die größte Hürde. Und präsentiere sich selbst und ihre Aufstiegsbiografie als Beleg dafür.
Na und? Winfrey verkauft eine Erzählung von Fortschritt, ganz genau wie Donald Trump, und deswegen ist sie für so viele im linksliberalen Spektrum als Gegenkandidatin vorstellbar (Winfrey selbst bestreitet, 2020 als Präsidentin kandidieren zu wollen). „Make America Great Again“ und die Oprah-Philosophie versprechen beide auf kämpferische Art eine bessere, wenngleich unkonkrete Zukunft.
Der wichtigste Trickbetrug
Wobei Trumps Versprechen sich an die weiße Arbeiterklasse richtet und Winfreys an alle Individuen: Nimm dein Leben selbst in die Hand! Du hast die Macht, es zu verändern! Leider kommt es auf die Lebensumstände an, ob „Positive Thinking“ tatsächlich reicht, um das eigene Leben umzudrehen. Es kann auch eine gefährliche Philosophie sein, die Privilegien zu persönlichen Leistungen umdeutet. „Die Mitglieder der Mittelschicht, die sich bereits schön der Realität materieller Not entzogen haben“, schreibt Janice Peck, „sind gerne bereit zu glauben, dass ihr Komfort das natürliche Resultat korrekten Denkens sein muss.“
Und so trägt auch Oprah Winfrey dazu bei, dass der wichtigste Trickbetrug in der Geschichte der US-Gesellschaft weiter funktioniert: Zu behaupten, dass es jede*r schaffen kann, und dabei zu verschweigen, dass es immer nur einige sein werden, die es schaffen. Korrekterweise müsste man Winfreys Aussage so ergänzen: „You don’t get a car! You don’t get a car! And all of you don’t get a car either!“
Aber in den USA, viel mehr als in den meisten europäischen Demokratien, gewinnt man Ämter mit Geschichten. Die letzte Wahl hat Donald Trump mit einer protofaschistischen Geschichte gewonnen. Die linke Erzählung hatte es nicht mal zur Startposition geschafft. Was bleibt, als Gegengewicht, ist eine starke neoliberale Story wie die von Oprah Winfrey, in der immerhin erwähnt wird, dass eben noch nicht alle gleich sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann