50 Jahre Abtreibungsurteil „Roe vs. Wade“: War's das schon mit der Freiheit?

In den USA wurde das Recht auf Abtreibung eingeschränkt. Nicht nur dort sind wir frauenrechtlich auf dem Weg zurück in die Steinzeit. Es reicht.

Demonstrant:innen mit Schildern

Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen vor dem Supreme Court in Washington im Sommer 2022 Foto: Steve Helber/ap

Dieses Wochenende hätten wir eine fette Party feiern können. Wir hätten Madonna gehört und Lizzo, wir hätten Heliumballons mit dem Symbol der Frauenrechtsbewegung steigen lassen, um ein epochales Urteil in Sachen Frauenrechte zu würdigen. Anlass der Party wäre das 50-jährige Jubiläum einer Grundsatzentscheidung des Supreme Court der USA gewesen. Am 22. Januar 1973 hatte sich im Fall „Roe v. Wade“ eine 22-jährige Texanerin erfolgreich gegen das Abtreibungsverbot in ihrem Bundesstaat zur Wehr gesetzt. Das Gericht verfügte damals, dass Frauen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus selbst darüber entscheiden dürfen, ob sie die Schwangerschaft fortführen möchten oder nicht.

Das ist seit letztem Sommer Geschichte. Während sich das hiesige Parlament nach langem Hin und Her wenigstens zur Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen durchringen konnte, entschied eine durch Donald Trump reaktionär gewordene Richter*innen-Riege, das alte Urteil aufzuheben, mit der dramatischen Folge, dass Abtreibungen in zahlreichen Bundesstaaten der USA seitdem sehr eingeschränkt oder ganz verboten sind.

Doch man muss gar nicht so weit gucken, um das kalte Grausen zu kriegen: Polen – Bayern. Moment, Bayern?!, werden Sie sich jetzt fragen. Sie haben richtig gehört. Denn die Straffreiheit, die Paragraf 218a bis zur 12. Woche nach Empfängnis gewährt, garantiert noch lange nicht, dass man unter menschenwürdigen Bedingungen abtreiben darf. In Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen etwa gibt es aktuell viel zu wenig Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Das bedeutet lange Wartezeiten, in denen der Zellhaufen wächst und wächst. Weite Wege, ja vielleicht sogar die Reise in eine niederländische Abtreibungsklinik. Und egal, wohin man fährt, immer wieder stehen vor den Türen schon sogenannte Lebensschützer*innen, die die notleidenden Frauen mit irgendeinem Schmarrn von Recht und Moral und Religion vollquatschen.

Auch ich war mal in der Situation und ich kann Ihnen sagen, wer kein Kind will, will kein Kind! Da ist es nachrangig, ob die Schwangerschaft durch eine Panne bei der Verhütung oder durch Vergewaltigung entstanden ist. Ich weiß noch, wie überrascht ich damals war. Der Gynäkologe sagte: „Glückwunsch“, mir war zum Heulen zumute. Er sagte, wenn das so ist, könne ich es auch wegmachen lassen, aber nur, wenn ich zuvor eine Beratungsstelle aufsuchte. Bei Pro Familia gab es keinen Termin, also musste ich ausgerechnet zu den Katholiken. Als die Beraterin mir den Wisch ausstellte, war ich erleichtert. Dass ich ihn dann doch nicht gebraucht habe, weil sich der Gynäkologe geirrt hatte, war Glück.

Manchmal habe ich Angst, dass dies die freieste Zeit gewesen ist, die wir als Frauen erlebt haben. Denn wer das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihre – wohlgemerkt – eigenen Körper nicht akzeptiert oder gar wieder zurücknimmt, dem ist alles zuzutrauen. Gerade wird wieder mehr als deutlich, dass wir Frauen politischen Stimmungen viel stärker ausgesetzt sind als die, die immer noch über uns herrschen: heteronormative Cis-Männer und ihre widerlichen Steigbügelhalter*innen. Ist eine progressive Kraft an der Macht, kriegen wir ein bisschen Luft zum Atmen. Haben rechtskonservative Arschlöcher den Hut auf, kassieren sie den mühsam erkämpften Fortschritt wieder ein.

Das fängt in den USA an und hört im Iran oder in Afghanistan auf, wo Frauen nur noch als Schatten ihrer selbst existieren können, wenn sie nicht vom Regime gefoltert und ermordet werden wollen. Es ist zum Heulen oder Ausrasten oder beides gleichzeitig.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Doch statt gemeinsam gegen diese zunehmend düster werdenden Zeiten anzukämpfen, stellen mehr und mehr Frauen ihr Kleinfamilien-Mutterglück bei Instagram zur Schau – was zusammen mit dem Hype um die natürliche (würg!) Geburt den Eindruck entstehen lässt, dass wir uns rasant in Richtung Steinzeit bewegen.

Bleibt die Erkenntnis, dass Frauenrechte jeden Tag aufs Neue ausgefochten werden müssen. Notfalls auch mit härteren Maßnahmen. Also nehmt eure Griffel von unseren Körpern, oder wir vergessen später im Altenheim, eure Windeln zu wechseln.

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Hat mal Jura studiert und danach Kreatives Schreiben am Literaturinstitut Hildesheim. Hat ein Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung gemacht und Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Schreibt über feministische Themen, Alltagsphänomene, Theater, Literatur und Film.

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