Neues Album von Soul-Sängerin Lizzo: Ready 2 Be Loved

Lizzo sieht: Es geht vielen nicht gut. Auf ihrem neuen Album „Special“ setzt die Soul-Queen auf Ablenkung und Heilung. Es handelt von Liebe.

Porträt von Lizzo in einem Netzkostüm

Ihr Album will von der Stärke erzählen, die entsteht, wenn die Arbeit der Selbstliebe geschafft ist Foto: Warner Brothers

Mit „Hi motherfucker, did you miss me?“, begrüßt uns Lizzo auf ihrem neuen Album „Special“ und gibt sofort die Richtung vor, in die ihre vierte Platte gehen soll: „I’ve been home since 2020 / I’ve been twerkin’ and makin’ smoothies / It’s called healing“, singt sie im Opener „Sign“. Lizzo wird gleich zu Beginn eine von uns: Auch sie, der womöglich wichtigste Popstar unserer Zeit, saß zwei Jahre nur zu Hause rum, hat Obst püriert und versucht in Form zu bleiben. Aber jetzt geht es ans Heilen.

Ob mit ihrer Flöte im Big-Band-Style oder als Soul-Queen mit Vokalakrobatik, spätestens seit „Cuz I Love You“ von 2019 dominiert Melissa Jefferson alias Lizzo nicht nur die Playlisten, sondern mit ihren selbstironischen Videos auch alle Social-Media-Plattformen.

Die Musikerin, die vor gut zehn Jahren in Minneapolis ihre ersten Songs aufnahm, ist jetzt auf dem (bisherigen) Höhepunkt ihrer Karriere. Als sie im April ihre neue Solo-Single „About Damn Time“ veröffentlichte, wurde dazu weltweit getanzt. Es war höchste Zeit und doch war die 34-Jährige nie wirklich weg. Eine eigene Mode-Linie, eine Emmy-nominierte Reality-Show und Auftritte überall auf der Welt haben ihre Songs und Botschaften auf die Titelseiten katapultiert. Und das zu Recht. Lizzo ist eine Ikone.

Und: Lizzo ist eine Schwarze, dicke Frau in einer Welt voller Rassismus, fatphobia und Misogynie. Auch die popkulturelle Öffentlichkeit hat sich noch nicht an dicke Frauenkörper gewöhnt, das zeigt nicht zuletzt die Steifheit (oder erzwungene Lockerheit), mit der über Lizzo berichtet wird.

Eine Botschaft, perfekt um zitiert zu werden

Mut machen, das möchte Lizzo, so wie ihr vor fünfzehn Jahren die Songs von Beyoncé Hoffnung gegeben hat: „In case nobody told you today / You’re special“, singt sie in „Special“ auf einen HipHop-Beat und ein souliges Bett aus Bläsern, Keys und Streichern. Sloganhaft und perfekt, um im Internet zitiert zu werden, klingt diese Botschaft. Doch Lizzo deutet an, wohin es gehen kann, wenn einen Hater vom Gegenteil überzeugen wollen: „I’m so glad you’re still with us / Broken, but damn, you’re still perfect.“ In den Strophen resümiert sie dann, welcher Gegenwind auch ihr nach wie vor entgegen weht: „If it wasn’t me, then would you even get offended or / Is it just because I’m black and heavy? Y’all don’t hear me though.“

Lizzo: „Special“ (Nice Life/Atlantic)

Solche sozialkritischen Reflexionen bleiben allerdings die Ausnahme auf „Special“. Lizzos vierte Platte, drei Jahre nach ihrem Debüt auf einem Major-Label, ist ein Album über die Liebe. „Bisher ging es in meiner Musik immer um den Versuch, sich selbst zu lieben. Dieses Album drückt nun die Sicherheit aus, die daraus resultiert. Die Stärke. Ich habe dafür gearbeitet, und nun seht alle, was ich dafür bekomme“, definiert Lizzo ihr Album. Die lästige Selbstliebe-Arbeit, die wir uns so lange beigebracht haben, soll sich also endlich auszahlen. „I did the work“, singt sie so auch in „Am I Ready (2 Be Loved)“.

Liebe bedeutet bei Lizzo allerdings nicht nur romantische Zweierbeziehungen, sondern auch Freun­d:in­nen­schaft und die Wertschätzung für ihre Community. „Where my girls at?“, singt sie und lädt zu einer großen Party ein. Der Song „Grrrls“ kam schon vor einem Monat heraus. Weil sie darin ein ableistisches Wort benutzte, gab es Kritik von ihren Fans. Lizzo reagierte prompt, entschuldigte sich, löschte den Song von allen Plattformen und brachte ihn in einer neuen Version heraus. Würden alle Menschen, die sich öffentlich äußern, diese Art, mit Kritik umzugehen, besitzen – die Welt wäre ein besserer Ort.

Jeden Tag ein Grund zu feiern

Auch in „Birthday Girl“ arbeitet Lizzo ihre Community ein, mit Sprachmemos ihrer Fans, die erzählen, wann sie Geburtstag haben. So gibt es jeden Tag Grund zu feiern. Musikalisch wird das von Bläsern, Claps, Effekten und einem Beat vorangetrieben, der sich zum Refrain immer schneller steigert. Und dann ist da Lizzos Stimme, die eigentlich so glamourös und kraftvoll ist, auf „Special“ aber immer wieder süßlich im Hintergrund versinkt oder fast bis zur Unkenntlichkeit geputzt wird.

Denn – so schade das ist – musikalisch reiht Lizzo mit ihrem Produzententeam auf „Special“ zwölf generische Pop-Knaller aneinander. Die Songs klingen schablonenhaft und glatt, Lizzos mitreißender Empowerment-Sound wird zum handzahmen Feel-Good-Pop. Nur ganz selten blitzen kleinere Winks an Funk und Soul durch. Die Gitarre aus „Break Up Twice“ etwa könnte von Shuggie Otis stammen, während Lizzo mit den Worten „Boy, you better watch out“ einen Gruß an Lauryn Hill sendet. Eine Orgel bestimmt für wenige Sekunden das Intro von „Am I Ready (2 Be Loved)“, bevor der nächste austauschbare Pop-Beat das Tempo für den Mitsing-Refrain einloggt.

Lizzos mitreißender Empowerment-Sound wird zum handzahmen Feel-Good-Pop

Das ist bedauerlich, denn wenn die unverkennbare Lizzo-Power dann doch mal durchscheint, wirken ihre Botschaften genauso überzeugend wie zuvor auf Hits wie „Good As Hell“ oder „Truth Hurts“, wo ihre Energie manchmal ihre Stimme überschlagen ließ und sie in Sekunden Gänsehaut erzeugte.

Lediglich der letzte Song mit dem Titel „Coldplay“ sorgt für eine kleinere Überraschung. Er beginnt mit verzerrten Vokal-Sample von – ausgerechnet – Coldplay. Musikalisch grenzwertig, aber wenigstens geht Lizzo hier dank des Stimmeffekts einmal über den Wohlfühlpunkt hinaus, lässt kurz aufhorchen, bevor der Song zu einer ziemlich ereignisarmen Liebesnummer wird. Sogar die Bekundungen der Romantik scheinen dabei zigfach gehört: „Goin’ to sleep, holdin’ hands at the sunrise / Wakin’ up, holdin’ hands in the rain“, croont sie.

Herzblut und Trauma

Angeblich hat Lizzo über 170 Songs für dieses Album geschrieben, drei Jahre lang daran gearbeitet, jede Menge Herzblut reingesteckt. „Es war mir klar, in welcher Zeit ich dieses Album veröffentlichen würde“, so die 34-Jährige. „Wir haben gerade ein großes Trauma hinter uns. Wahrscheinlich müssen wir uns für das nächste Trauma wappnen. Aber wenn meine Musik nicht auf irgendeine Weise Leuten helfen würde, ihr Trauma zu verarbeiten oder ihrem Trauma zu entkommen – dann müsste ich mich fragen: Warum bin ich überhaupt Künstlerin, wenn ich nicht unsere Zeit reflektiere?“

Diese künstlerische Pflicht, das Zeitgeschehen zu kommentieren, formulierte vor über 50 Jahren schon Nina Simone ähnlich: „An artist duty is to reflect the times. How can you be an artist and not reflect the times?“

Welches Trauma Lizzo genau meint, verrät sie dabei nicht. Die Pandemie mit ihren Auswirkungen auf die mentale Gesundheit, Polizeigewalt und Rassismus oder das Urteil des Supreme Court im US-amerikanischen Abtreibungsrecht – Lizzo sieht: Es geht vielen nicht gut. Aber anstatt in expliziten Worten zu kommentieren, was schiefläuft, versucht sich Lizzo auf „Special“ an einem Ausweg oder gar einer Ablenkung von dem, was uns belastet.

Zeit zum Heilen also. „We can take our masks off“, singt sie erleichtert – und mehrdeutig – in „Everybody’s Gay“, noch eine Disko-Nummer, die vom entspannten Feiern an einem safe space erzählt. Von Bläsern angestachelt singt sie da „Let’s dance the night away“. Lizzo will uns helfen, unsere Schultern, die wir zwei Jahre lang bis zu unseren Ohren hinaufgezogen haben, endlich wieder locker zu lassen. Und zu feiern, wer wir sind, hinter all den Masken. Das ist nicht nur ein legitimer Wunsch, das sollte uns alle dankbar machen. Warum sie dabei auf so spannungslose, generische Arrangements setzt, muss allerdings ein Rätsel bleiben. Ob wir sie trotzdem lieben? Aber selbstverständlich.

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