40 Jahre „Traumschiff“: Zwischen Herz- und Bauchschmerz
Anspruchsloses Fernsehen, das immer dem gleichen Muster folgt. So spottet die Allgemeinheit. Doch nach vier Jahrzehnten wird es Zeit zu gratulieren.
Seit 1981 schippert das „Traumschiff“ durch das Programm des ZDF. In jeder Folge fährt die Crew des bekanntesten KreuzfahrtschiffsDeutschlands ein neues Ziel an und versucht dabei, alle an Bord glücklich zu machen. Fünf Schiffe und fünf Kapitäne (aktuell Florian Silbereisen) haben so schon vom Sofa in die weite Welt geführt. Zu Beginn mit Zuschauer:innenzahlen von 20 bis 25 Millionen, mittlerweile liegen sie im einstelligen Millionenbereich.
2011 erklärte Wolfgang Rademann, Erfinder und damaliger Produzent der Sendung, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung das Prinzip der Serie: eine lustige Geschichte, eine spannende und eine Liebesgeschichte.
Am 22. November feiert die Sendung ihren vierzigsten Geburtstag. Die nächste Folge erscheint aber erst am 26. Dezember. Denn seit 2017 hat „Das Traumschiff“ einen neuen Rhythmus gefunden und wird an drei festen Tagen im Jahr auf ZDF ausgestrahlt: an Neujahr, am Ostersonntag und am zweiten Weihnachtsfeiertag.
Eine beruhigende Ablenkung
Das „Traumschiff“ war bei uns ein Pflichttermin. Mein Vater guckte eher widerwillig mit, aber als jemand, der jahrzehntelang zur See fuhr, sah er es als seinen Job an, korrigierend einzugreifen. Prüfender Blick auf die Farbe des Meeres, wenn das „Traumschiff“ angeblich in der Karibik unterwegs war: „Das ist doch in der Nordsee gedreht.“ Das Schiff soll im Hafen von Nassau auf den Bahamas liegen? „Der Hafen sieht anders aus.“ Gelächter bei allen, wenn der von Sascha Hehn gespielte Chefsteward von „hinten am Schiff“ redete. Es heißt Achtern! Noch größeres Gelächter, wenn Hehn „Aye, aye, Käpt’n“ sagte – so redet man nur in Piratenfilmen.
„Das Traumschiff“ war der Gegenpol zu Wolfgang Petersens düsterem Film „Das Boot“, der interessanterweise im selben Jahr wie die erste Folge der ZDF-Seifenoper erschien. „Das Boot“ zeigt die Enge, den Maschinenlärm, die Gefahren und die Spannungen innerhalb einer zusammengewürfelten Schiffsbesatzung ziemlich realistisch. Das gab es alles nicht nur auf U-Booten in Zeiten, als ein Maschinenraum nicht aussah wie ein OP-Saal heutzutage. „Das Traumschiff“ spielte fast nur auf dem lichten Oberdeck, die Crew in den unteren Etagen blieb nahezu unsichtbar.
Klar, das „Traumschiff“ war spießig mit dem üblichen Galadinner mit Wunderkerzen und der zuckrigen Streicherorgie von James Last als Titelmelodie, aber gerade deswegen, wenn man es nicht zu ernst nahm, ein großer Spaß. Angesichts von Tschernobyl, Wettrüsten und Waldsterben hatten die Folgen in den achtziger Jahren etwas Beruhigendes. Morgens lernte man schon als Grundschüler das Wort „Massenarbeitslosigkeit“, abends kam das Traumschiff gerade recht.
Guckt man sich die alten Folgen heute noch mal in der ZDF-Mediathek an – fast entschuldigend als „Retro-Folgen“ gelabelt – fällt auf, dass in ihnen noch ein Hauch der 70er Jahre steckt, nämlich der Realismus der 70er-Jahre-Fernsehfilme. Unterschiedliche soziale Klassen werden gezeigt, die Passagiere aus dem Ruhrgebiet, Bayern und Hamburg sprechen ihren Dialekt. Sex und Liebe spielen eine große Rolle, was ich als 13- oder 14-Jähriger natürlich interessiert verfolgte: Regelmäßig verschwinden Paare in Kabinen, die Kamera bleibt diskret außen vor. Es wird angebaggert, was das Zeug hält – wie es sich damals für das ZDF gehörte, baggerte natürlich immer nur ein Mann eine Frau an. Anzüglichkeiten werden schon am Dinnertisch ausgetauscht: „Die zarte Knospe hat sich entfaltet zur prächtigen Blüte“, sagt der Ex-Liebhaber zur Ex-Geliebten, die sich auf dem Schiff zufällig wiedersehen. So ein Satz würde heute nur als ironisches Zitat durchgehen oder aus dem Drehbuch gestrichen werden.
„Das Traumschiff“ war ein Straßenfeger, wie man damals sagte, und zog richtige Stars an: Brigitte Horney, Wolfgang Kieling, Jürgen von Manger, Manfred Krug und andere spielten mit. Das hat sich heute geändert: Heute spielt Florian Silbereisen den Kapitän. Gunnar Hinck
So geht die konservative Art
Natürlich war, damals wie heute, das „Traumschiff“ des ZDF spießig. Das abträgliche Wort soll eigentlich durch die Sprechenden sagen: „Ich bin nicht so. Ich bin progressiv.“ Das war diese TV-Serie, die zu besten Zeiten so viele Menschen sahen wie nicht einmal ein WM-Finale im Fußball der Männer, eben nicht – sondern eher konservativ, bewahrend, Traditionen vor allem, und seien sie noch so ranzig und überkommen.
Ein Kapitän kann nur ein Mann sein, soigniert und mit diesem gewissen Patriarchenschmelz, der weibliche Chef war indes, verkörpert durch die über alle Jahrzehnte ewig unteenagerhaft wirkende Heide Keller, die Chefhostess Beatrice, die Allzuständige für alle Kümmernisse an Bord, patent und elegant in einem, was darzustellen eine selten gewordene Kunst ist. In späteren Folgen hatte diese Rolle auch noch einen Familiennamen: „von Lebedur“, also Beatrice von Lebedur, was an die tragischen und manchmal mit Happy End belohnten Frauen in Arztgroschenromanen erinnert. Eine solche Frau lud zum Träumen ein: Ach, kein Punk, kein Schmutz, keine Rohheit, Beatrice war immer, umrüscht von einem nie eingefroren wirkenden Lächeln, die Überblickende, die Problemlöserin, die Ermöglicherin – das war als Identifikationsangebot für das Gros der Frauen in der Bundesrepublik einleuchtender als die üblichen Krawallschachteln. Die Hälfte des Himmels, mit der chinesischen Kulturrevolution gesprochen, wollten sie auch – aber mit Bedacht, ohne Ärger und dem Hoffen auf Zugeständnisse.
Heide Keller war in ihre Rolle wie eingeschmolzen – und deshalb ließen sich die Folgen mit all ihren Gila von Weitershausens, Heinz Königs und Barbara Wussows auch nur mit hohem Schamfaktor sehen. Schippern in „exotischen“ Gefilde, umsorgt und der Alltagsentlasten enthoben. Und wir als Linke konnten lernen: So geht die konservative Art, damaliger Kanzler Helmut Kohl, dessen Frau an einer Lichtallergie (!) litt, gesellschaftliches Rütteln unter den Füßen zu moderieren – Fortschritt ja, aber nur in Geishaschrittchen dem nur sogenannten starken Geschlecht abgerungen. Keller, das One-Role-Wunder, durfte für das „Traumschiff“ am Ende ihres Lebens sogar an den Drehbüchern mit(!)schreiben. Die bessere Welt, sie erreicht man im Tempo von Schnecken, das macht auch bei Traumschiffen den Unterschied zur Formel 1. Jan Feddersen
Ein erstes und letztes Mal seekrank
Ich habe „Das Traumschiff“ nie gesehen, aber ich weiß, wie es von innen aussieht. Ich erinnere mich nicht mehr an viel, ich war erst 10. Aber die Erinnerung an ein einschneidendes Ereignis drängt seither in mein Bewusstsein, wenn ich an dieses riesige Schiff mit dem fantasielosen Namen „MS Deutschland“ denke. Aber von Anfang an.
Meine Mutter heuerte 1999 als Requisiteurin beim „Traumschiff“ an. Fünf Monate bestückte sie die Sets an Deck und an Land. Auf sie wirkte das Boot wie ein „fahrendes Altersheim“. In den Winterferien durfte ich drei Wochen mitreisen – Australien, Papua Neuguinea, Bali. Als „Titanic“ in die Kinos kam, durfte ich den Film nicht sehen. Zu groß war die Sorge, ich würde danach Angst haben, das Schiff zu betreten.
Ich fand das nicht okay, aber es muss eine Art elterliches Hellseher:innen-Gen gewesen sein. Denn kaum war ich an Bord, fegte Zyklon „Frank“ über die australische Küste hinweg. Das Schiff, das auf den Bildern so robust und unerschütterlich gewirkt hatte, schaukelte nun wie eine Nussschale auf riesigen Wellen. Aber ich, die ich mich in das opulente Frühstücksbuffet verliebt hatte, ließ mich nicht davon abhalten, mir Pfannkuchen in rauen Mengen einzuverleiben. Ich hatte mich auf dem – meinem ersten – Langstreckenflug nach Sydney schon dreimal übergeben, ich hatte Hunger. Rund und voll wie eine Kugel verließ ich also das Restaurant. Doch weil ein Mensch nicht herumkugeln kann – was mein Verdauungsapparat sicher besser vertragen hätte –, schwankte ich von rechts nach links. Und langsam, aber sicher trotzten die Pfannkuchen der Schwerkraft und bahnten sich ihren Weg in die falsche Richtung, also nach oben.
Hinter der nächsten Ecke geschah es – das schöne Frühstück, es landete in einem großen Schwall auf dem bis dahin makellosen roten Flurteppich. Spätestens als die Servicekraft in Schürze herbeigeeilt kam, um hektisch das Produkt meiner Völlerei aufzuwischen, dürfte mein Gesicht ungefähr den gleichen Farbton gehabt haben, red-carpet-farbene Schamesröte. Aber immerhin – seekrank werde ich seitdem nicht mehr. Danke „Traumschiff“. Nora Belghaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert