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4. Staffel von „Orange Is the New Black“„Nicht Rassismus, sondern Realität“

Die vierte Staffel der Gefängnisserie bei Netflix geht an den Start. Uzo Aduba alias „Crazy Eyes“ über weibliche Perspektive und den Rassismusvorwurf gegen OITNB.

„Diversity muss weiter gedacht werden, als wir es im Moment tun: Es geht nicht nur um Schwarz und Weiß“, sagt Uzo Aduba Foto: imago/ZUMA press
Anne Fromm
Interview von Anne Fromm und Jens Mayer

taz: Uzo Aduba, „Orange Is the New Black“ geht in die vierte Staffel. Verdient die von Ihnen verkörperte Suzanne ihren Spitznamen „Crazy Eyes“ noch?

Uzo Aduba: Auf jeden Fall, aber auf eine liebevolle Art und Weise. Jeder von uns hat doch ab und zu verrückte Momente. Suzanne hat eben ein paar mehr davon und ist, nennen wir es mal, einzigartig.

Was fasziniert so viele Menschen an der Serie?

Die Vielfalt. Die Show zeigt Weiße, Schwarze, Latinas, Homo-, Hetero- und Transsexuelle, Alte, Junge, Dicke, Dünne, Frauen und Männer. Das nimmt jeden Zuschauer mit, jede*r kann sich angesprochen fühlen. Und dazu kommt: Es hat noch nie eine Serie gegeben, die so konsequent aus Frauenper­spektive erzählt wird.

Sex and the City“, „Grey’s Anatomy“, „The L-World“ – starke Frauenfiguren sind doch nichts Neues in Serien.

Das stimmt, aber sie werden selten mit einem wirklich weiblichen Blick erzählt. Hinter vielen starken Frauenfiguren stecken männliche Autoren, Produzenten oder Regisseure. Hinter „Orange Is the New Black“ standen von Anfang an fast nur Frauen – von der ersten Idee bis zur Umsetzung.

Liegt Vielfalt weiblichen Fernsehmacherinnen mehr am Herzen als männlichen?

Männer könnten das auch erzählen, haben aber weniger Grund dazu. Wir leben in einer neofeministischen Zeit, in der Frauen aufgestanden sind und gesagt haben: Wir haben genug davon, dass unsere Perspektiven nicht erzählt, gesehen oder gehört werden. Dann machen wir das jetzt eben selbst. Jenji Kohan, die Erfinderin der Serie, ist eine von ihnen, eine sehr toughe Frau. So kam „Orange“ zu Stande.

Es gibt über die Serie aber auch die gegenteilige Meinung. Einige Kritiker halten sie für rassistisch, weil sie Vorurteile reproduziere: die ungebildeten Latinas, die im Gefängnis Banden bilden, die aggressiven Schwarzen, die Probleme mit Gewalt lösen. Was halten Sie von diesen Vorwürfen?

Ich finde sie falsch. Die Serie basiert auf dem autobiografischen Roman einer Frau, die selbst im Gefängnis war. Piper Kerman heißt sie und war die Vorlage für unsere Hauptfigur Piper Chapman. Und diese Piper Kerman beschreibt ihre Zeit im Gefängnis so, wie man sie jetzt in der Serie sieht. Sie beschreibt sogar Charaktere, die in der Serie vorkommen – „Crazy Eyes“ ist eine davon. Das hat nichts mit Rassismus zu tun, das ist Realität.

Ende 2013 waren 60 Prozent der Insassen in US-Gefängnissen afroamerikanisch oder lateinamerikanisch, obwohl diese Gruppen nur 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Genau, dort liegt der Rassismus. Wir haben in den USA ein großes Problem mit unserem Gefängnissystem, das weit über den Knast hinausgeht. Dahinter stehen sozioökonomische Fragen, Missstände im Bildungs- und Gesundheitssystem, die Schwarze und Latinos benachteiligen. Wenn ein schwarzes Kind, so wie es auch in der Serie vorkommt, in Armut aufwächst und in die Obhut einer Drogendealerin gegeben wird, dann ist doch klar, dass das Kind später selbst dealen wird. Nein, die Serie ist nicht rassistisch, sie hält der Gesellschaft den Spiegel vor.

Im Interview: Uzoamaka Nwanneka Aduba

Geboren 1981 als Tochter nigerianischer Einwanderer in Boston, Massachusetts, wo sie klassischen Gesang studierte.

Als Schauspielerin wirkte sie ab 2003 in verschiedenen Theater- und Broadway-Produktionen mit, ehe sie 2012 in der Krimiserie „Blue Bloods“ ihre erste Fernsehrolle annahm.

Für ihre Darstellung der Suzanne „Crazy Eyes“ Warren erhielt sie 2014 und 2015 den US-Fernsehpreis Emmy als beste Nebendarstellerin.

Erreicht sie damit etwas?

Ja, sie hat Diskussionen angestoßen. Barack Obama ist als erster US-Präsident überhaupt im letzten Jahr ins Gefängnis gegangen und hat dort mit Insassen gesprochen. Er hat eine Gefängnisreform angestoßen, Strafen gemildert und dazu beigetragen, dass das Leben im Gefängnis ein bisschen humaner wird. Dass diese Diskussion überhaupt aufkam, ist auch der Verdienst von „Orange Is the New Black“.

Im vergangenen Jahr wurde Viola Davis aus der Serie „How to Get Away with Murder?“ als erste afroamerikanische Schauspielerin mit einen Emmy als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. In ihrer Dankesrede sagte sie, das Einzige, was Frauen of color von anderen unterscheide, seien Chancen und Gelegenheiten. Haben Sie das auch so erlebt?

Ja, meine Chancen waren begrenzt. Ich bekam welche, weil ein Regisseur, ein Caster oder Autor es mit mir gewagt hat, nicht weil ich womöglich die Beste war oder viel Erfahrung hatte. Leute, und dazu gehört auch Jenji Kohane, sind ein Risiko eingegangen, in dem sie mir eine Rolle gegeben haben. Das fand ich nie fair. Ich habe mich immer gefragt: Warum muss meine Karriere auf dem Risiko anderer basieren? Das gilt für mich als Frau, aber genauso für mich als Schwarze oder als in Nigeria Geborene. Das alles – genauso wie Behinderung oder sexuelle Orientierung – sind Faktoren, die dich aus der üblichen Schublade rausschubsen. Und wenn du aus der raus bist, dann bis du eben abhängig von der Risikofreude anderer.

Wie wichtig war dieser Emmy für afroamerikanische Schauspieler?

Sehr wichtig, weil er Vorbilder schafft. Als ich ein kleines Mädchen war, gab es im Fernsehen zwei Frauen, die ich angehimmelt habe: Oprah (Winfrey, schwarze Talkmasterin, Anm. d. Red) und Claire Huxtable (Ehefrau von Bill Cosby in der Bill Cosby Show, Anm. d. Red) – und Letztere war noch nicht einmal eine real existierende Person. Trotzdem haben mich die beiden motiviert, Schauspielerin zu werden. Natürlich kann man vieles auch ohne Vorbilder schaffen, aber mit ihnen ist es tausendmal einfacher.

Halle Berry hat 2002 als erste schwarze Hauptdarstellerin den Oscar gewonnen, bei den Männern wurde im selben Jahr Denzel Washington ausgezeichnet. Das wurde damals sehr gefeiert. In diesem Jahr gab es keine einzige Nominierung für eine oder einen Schwarzen. Was sagt das aus?

Ich freue mich auf den Tag, an dem wir diese Diskussion nicht mehr führen müssen, weil Diversity Realität geworden ist. Ich vergleiche das Thema immer mit Style und Trend. Birkenstocks sind Trend, sie gehen vorbei, in zwei Jahren werden wir sie nicht mehr tragen. Aber das kleine Schwarze oder der perfekte rote Lippenstift, das ist Style. Das haben deine Mutter oder deine Oma schon getragen, weil es zeitlos schick ist. Diversity und Inklusion sind noch immer Trends: Sie werden gefeiert und für wichtig erklärt, wie 2002. Aber wirklich wichtig scheinen sie vielen Filmemachern nicht zu sein, sonst hätte es die Diskussion über die weißen Oscars in diesem Jahr nicht gegeben. Es wird noch lange dauern, bis sie wirklich Style werden.

„Orange Is the New Black“

basiert auf den gleichnamigen Memoiren von Piper Kerman, einer US-Amerikanerin aus der weißen Mittelschicht, die ihre Erfahrungen in einem US-Frauengefängnis schildert.

Die von Autorin und Produzentin Jenji Kohan („Weeds“) adaptierte Serie ist die erfolgreichste Eigenproduktion des Video-Streamingportals Netflix und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Bereits vor dem Start der vierten Staffel am 17. Juni hat der Sender drei weitere Fortsetzungen angekündigt.

Was muss sich ändern, damit sie zum Style werden?

Wir müssen den Leuten, die die Macht haben, Filmemachern, Politikern und Chefs, immer wieder diese Fragen stellen: Warum besetzt du keine weibliche Protagonistin? Warum keinen Behinderten? Warum keine Schwarze? Diversity muss weiter gedacht werden, als wir es im Moment tun: Es geht nicht nur um Schwarz und Weiß, es gibt auch braune Menschen, gelbe, rote. Jeder einzelne von ihnen lebt seine sexuelle Orientierung, seine Geschlechtsidentität anders aus. Dazu brauchen wir eine ehrliche Debatte darüber, warum manche Leute diskriminiert werden und andere nicht. Woher kommt das? Wann hat es angefangen? Und wer diskriminiert hier wen? Nur wenn uns das alles bewusst ist, kann sich wirklich etwas ändern.

Wie optimistisch sind Sie, dass Diversity bald trendy wird?

Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Immerhin startet unsere Serie jetzt in die vierte Staffel, und die Leute gucken immer noch zu. Das zumindest stimmt mich optimistisch.

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