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3-D-Videoinstallationen in Berlin„Küsten machen uns symbiotisch“

Feuchtgebiete sind ökologisch wichtig. Davon erzählen Sonia Mehra Chawla und Miriam Walsh in 3-D-Videoinstallationen, vorgestellt in Berlin.

Ausschnitt der Videoinstallation „The Rooted Sea: Halophytic Futures“ Foto: Sonia Chawla
Astrid Kaminski
Interview von Astrid Kaminski

Ab Freitag lädt das Radialsystem zu dem Festival „Driving the Human“ ein, auf dem sich Initiativen an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft vorstellen. Mit dabei sind Sonia Mehra Chawla, Künstlerin aus Indien, und Miriam Walsh vom ASCUS Art & Science in Edinburgh. Sie stellen ihr Projekt „The Rooted Sea: Halophytic Futures“ vor, das in beeindruckenden Bildern von den miteinander verflochtenen Ökologien menschlichen und nichtmenschlichen Lebens erzählt, am Beispiel der Küstenfeuchtgebiete und Salzwiesen in Schottland und Indien.

taz: Sonia und Miriam, ihr wohnt in Schottland und Indien, habt beide einen intensiven Bezug zu Wattlandschaften und Feuchtgebieten. Wie kommt das?

Sonia Mehra Chawla: Ich bin in Westbengalen aufgewachsen. Es gibt dort verschiedene Feuchtgebiete, ein Teil davon sind Mangrovenwälder. Diese majestätischen Bäume mit ihren beeindruckenden Wurzelgeflechten haben sich dauerhaft in mein Lebensgefühl eingegraben. Sobald ich an sie denke, sind sie um mich. Wenn ich nun mit ihrer massiven Zerstörung konfrontiert werde, erfahre ich das als einen moralischen Imperativ. Wetlands (Feuchtgebiete) werden bei uns oft als wastelands (Brachen) wahrgenommen, als unproduktiv. So entsteht nicht das geringste Verständnis für dieses Ökosystem.

Im Interview: Miriam Walsh

Miriam Walsh hat als interdisziplinäre kreative Moderatorin und Produzentin mit einem Hintergrund in ortsspezifischen bildenden Kunstprojekten ein besonderes Interesse an neuen Vermittlungsformen von Künsten.

Miriam Walsh: Ich bin in Zentralirland an einem Moor aufgewachsen, wo wir zum Heizen Torf gestochen haben. Jetzt lebe ich in Edinburgh, fast direkt am Fluss, zwanzig Gehminuten vom Meer entfernt. Das Ansteigen und Verebben des Wassers ist hier das bestimmende Lebensgefühl.

Was verbindet das Mündungsdelta von Ganges-Brahmaputra mit der schottischen Wattlandschaft?

Sonia: Es gibt viele Zusammenhänge. Indien ist an der Frontlinie des Klimawandels. Es gibt bei uns ein großes Ausmaß der Extreme Fluten und Dürren und bereits unzählige Klimaflüchtlinge. Diese Entwicklung hat auch mit der enormen Erosion des Küstenabschnitts zu tun.

Bild: Privat
Im Interview: Sonia Mehra Chawla

Sonia Mehra Chawla ist Künstlerin und Forscherin. Ihre Arbeit entsteht u. a. in Kooperation mit Forschungseinrichtungen, Non-Profit-Organisationen, mit Fischer- und Land­wirt­schaftsorganisationen sowie indigenen Völkern Indiens.

Miriam: In Schottland gibt es die „weiche“ und die „harte“ Küste, letztere besteht aus Felsen und Kliffs. An der weichen Küste erleben wir wegen des steigenden Meeresspiegels dasselbe. Unser gemeinsames Projekt „The Rooted Sea“ hat zum Ziel, die Ökosysteme von Feuchtgebieten zu erhalten. Wir wollen der diversen kulturellen und historischen Bedeutung dieser Landschaften zu einer Plattform verhelfen.

Feuchtgebiete wie das Wattenmeer sind weder Land noch Wasser, sie werden sowohl von Meeres- wie von Landwesen bewohnt. Hat diese Umgebung auch darum einen hohen Symbolwert für euch, wenn es darum geht, transdisziplinäre, interspezifische Wechselwirkungen zu studieren?

Sonia: Definitiv. Umso mehr, wenn wir über die spezifische Form der Mangrovenwälder sprechen. Mangroven wachsen in Gezeitenzonen zwischen Land und Meer. Sie sind ganz besondere Ökosysteme, die eine Vielfalt des Lebens sowohl an Land als auch im Wasser unterstützen. Sie symbolisieren die Idee der „Verstrickung“ und eines gemeinsamen Raumes. Ähnliches machen Miriam und ich in Bezug auf die Kunst und Wissenschaft.

Miriam: Oft gehe ich an die Küste aus dem bloßen Bedürfnis heraus zu existieren. Ich denke, diese Art von Begegnungsraum schafft eine erhöhte Präsenz. Küsten sind keine Grenzen, sie sind Zwischenräume. Sie machen uns symbiotisch.

Wattenmeere sind keine Konstante. Sie verdanken ihre Existenz unter anderem einer Balance aus Meeresspiegelanstieg und ungefähr gleich hoher Sedimentanlagerung. Den Status Quo auf ewig zu erhalten wäre auch ohne Klimawandel schwierig.

Miriam: Schützen darf nicht „Festhalten“ heißen. Es ist ebenso wichtig, dass wir empathisch mit Transformationen umgehen. Von Küsten als statisch auszugehen wäre widersinnig. Schottland ist zum Beispiel ein kleines Land. Wenn die Küste zu unserer Frontlinie wird und es nur darum geht, gegen die Erosion anzukämpfen, haben wir keine Chance. Wir müssen beweglicher denken.

Sonia, Sie haben einmal in einem Essay die Frage gestellt, wie aus Kontaminierung Konspiration wird. Haben Sie eine Antwort?

Sonia: Es ist offensichtlich, dass wir überall von Toxizität umgeben sind. Ob es sich um Luft, Wasser, Nahrungsmittel, Atmosphäre, Erde handelt. Wir müssen uns also fragen: Wie können wir einen positiven Umgang mit Toxischem finden? Ich denke, an dieser Stelle kommt die Kunst ins Spiel. Um nicht vergiftet zu werden, brauchen wir nicht nur Negativvisionen, sondern auch positive, kreative Handlungsstrategien.

Was genau ist die Aufgabe der Kunst in dieser Beziehung? Ist sie ein Übersetzer der Wissenschaften in eine sinnlichere Sprache?

Sonia: Ich würde zunächst sagen: Ja. Es geht dabei jedoch um die Methoden. Auch wenn sich Kunst und Wissenschaften ein ähnliches Ziel stecken, sind die Fragen, die sie stellen, und die Strategien, die sie nutzen, unterschiedlich. Im Austausch kann eine Art Vermittlungsenergie entstehen, die sich später auch auf das Publikum überträgt. Viele Menschen fühlen sich vom Wissenschaftsdiskurs ausgeschlossen, sie können nicht mit den dazu verwendeten Daten umgehen. Klimawissenschaften zum Beispiel wirken oft wie der Elefant im Raum – ein riesiges, zu schwieriges Problem. Man denkt, es handle sich um etwas Gigantisches, ohne Bezug zur Realität. Kunst kann in diese Lücke des Wirklichkeitsbezugs einfallen und Auseinandersetzung ermöglichen.

Miriam: Ein Übersetzer ist die Kunst nicht. Sie steht auch nicht im Dienst der Wissenschaften. Interessant wird es für mich, wenn beide Disziplinen in eine wirklich tiefe Auseinandersetzung miteinander gehen, sodass für beide Seiten neue Möglichkeiten des Fragens und Interpretierens entstehen.

Sonia hat zuletzt mit mikrobiell induzierten Landschaften in vitra gearbeitet, in eurem gemeinsamen Projekt geht es um salztolerante Pflanzen außerhalb des Labors. Wie ist der Zusammenhang?

Sonia: Es gibt in allen Landschaften Prozesse, die wir nicht mit dem bloßen Auge sehen. In diesem Fall versuchen wir eine Faszination für das Ökosystem der Salzpflanzen zu wecken, wozu wiederum auch mikrobielle Prozesse nötig sind. Für Menschen ist Salzwasser kein Nahrungsmittel, daraus wird leicht geschlossen, dass Salz­wiesen gar keine richtigen Lebensräume sind. Dabei sind sie riesige Kohlenstoffsenken, sie fragmentieren CO2, sind Wasserfilter, Flutschutz, unglaublich artenreicher Lebensraum. Je mehr wir von solchen Ökosystemen verstehen, desto mehr verstehen wir von unserem eigenen Körper.

Zum Beispiel unseren eigenen mikrobiellen Anteil?

Sonia: Tatsächlich, wir haben mehr mikrobielle Gene als menschliche, sind also mehr Mikrobe als Mensch. Unsere Körper sind Gefäße für die Außenwelt. Aus dieser Perspektive ist der Mensch ein Wir und nicht ein Ich.

Wie entsteht aus Ihren Feld­recherchen ein Kunstwerk?

Sonia: Erst mal geht es viel ums Datenerfassen. Dann ums stundenlange Beobachten, um herauszufinden, mit welchem Material ich mich als Künstlerin und Mensch verbinden kann. „The Rooted Sea“ ist eine 3-Kanal- und 3-D-Videoinstallation, die die Be­trach­te­r:in­nen sowohl in den Mikro- wie Makrokosmos der Salzwiesen und Feuchtgebiete von Indien und Schottland immersiert. Wir haben vor allem Boden- und Wasserproben entnommen und darin das Zusammenspiel von Bakterien, Schimmel, anderen Pilzen und Mikroben untersucht.

Miriam: Gerade der 3-D-Aspekt und die Zusammenarbeit mit unseren technologischen Partnern sind sehr interessant, weil dadurch Modelle der Veränderungen, in denen wir uns befinden, entstehen können.

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