200 Unterschriften für die Liebe: „Unsere Eltern sollen heiraten“

Zwei Mädchen im Grundschulalter wollten meine Unterschrift dafür, dass ihre Eltern heiraten. Erst fühlte ich ein Unbehagen. Dann verstand ich.

Zwei Männer schneiden nach ihrer Eheschliessung im Rathaus von Hamm eine Hochzeitstorte an.

Immer noch keine Selbstverständlichkeit: gleichgeschlechtliche Hochzeit im konventionellen Stil Foto: dpa / Ina Fassbender

Mut. Mut, das eigene Leben zu führen. Das Leben, wie wir es wollen, wünschen und träumen. Inwiefern brauchen wir dafür die anderen? Oder im Gegenteil, nur uns selbst?

Ein Café auf dem Marktplatz. Es ist kalt, die Sonne scheint. Die Menschen recken ihre Gesichter dem Licht entgegen. Zwei Mädchen kommen an unseren Tisch. Sie drucksen herum.

Sie sind ungefähr gleich groß, etwa acht oder neun Jahre alt, in bunten Anoraks, am Ende des Grundschulalters. Sie sehen aus wie Freundinnen. Die eine hat sehr große, strahlend blaue Augen und dunkles glattes Haar. Die andere ist blond. Eine von ihnen hält ein Schulheft in der Hand. „Wir sammeln Unterschriften.“ Auf der Rückseite, die uns zugewandt ist, steht in krakeliger Kinderschrift geschrieben: „200 Unterschriften, damit unsere Eltern heiraten.“

Die Augen der Mädchen leuchten, während sie uns anschauen und sich erklären: „Also“, die eine holt Luft: „Unsere Eltern sollen heiraten. Und haben gesagt, wenn wir es schaffen, 200 Unterschriften dafür zu sammeln, dann machen sie es.“ Ich schaue sie an. „Ihr sollt etwas dafür tun, damit eure Eltern heiraten“, frage ich sie. „Warum wollen eure Eltern denn, dass ihr das macht?“ Ich fühle ein Unbehagen, dass die Kinder etwas für den Beziehungsstand ihrer Eltern tun sollen.

Die Mädchen strahlen. Sie wirken nicht verlegen, nur voller Freude und Optimismus: „Also mein Papa hat einen Freund. Und er hat gesagt. Wenn ihr euch traut, trauen wir uns auch.“ Wir verstehen es immer noch nicht. Sie erklären weiter. „Also Papa und Mama haben uns bekommen. Jetzt hat Papa den Daniel kennengelernt. Und sie haben gesagt, wenn ihr euch traut, 200 Leute zu fragen, dann trauen wir uns auch zu heiraten.“

Es geht den Mädchen darum, dass ihr Vater seinen Freund heiratet. Die beiden Menschen, die sie als Eltern bezeichnen

Sie lächeln. Sie haben erzählt, dass ihr Vater schwul ist, dass er jetzt einen Freund hat. Dieser Aspekt scheint für sie keine Rolle zu spielen. Es geht ihnen vor allem darum, dass ihr Vater seinen Freund heiratet. Die beiden Menschen, die sie als Eltern bezeichnen.

„Ach, ihr seid Schwestern“. Die Mädchen nicken: „Und eure Mutter?“ „Die hat auch einen anderen Mann kennengelernt.“ Jetzt verstehen wir die ganze Geschichte. Es wirkt rührend, wie sie dastehen mit ihrem Schulheft, wie sie die Beziehungsbiografie ihrer Eltern so selbstverständlich vortragen. „Okay. Wir unterschreiben“, sagen wir.

Auf dem Blatt haben schon einige andere mit ihren Vornamen unterschrieben. Wir setzen unsere Namen dazu. Die Mädchen bedanken sich. Sie gehen einen Schritt zur Seite. „Jetzt machen wir erst mal eine Pause“, sagt die eine zur anderen, als wüssten sie, dass nach jeder Arbeit Belohnung folgen muss.

Etwas später sehen wir die Mädchen wieder, wie sie vor einem anderen Tisch stehen und ihre Geschichte erzählen. Sie strahlen, die Menschen fragen, die Mädchen antworten. Überall kommen so andere mit ihrer Geschichte in Kontakt. Wie nebenbei und vielleicht auch ohne es zu wissen, geben sie so etwas über das Selbstverständnis von homosexueller Liebe und Elternschaft weiter. Die Kinder scheinen zu respektieren, dass Eltern auch Menschen sind, dass sie ein privates Liebesleben haben, dass sich etwas in ihrem Leben wandeln kann.

Dann sehen wir eine Frau, die die Mädchen umarmt. Sie ist die Mutter der beiden und scheint ihre Töchter darin zu bestärken, Unterschriften für den Vater zu sammeln.

Später wirkt die Begegnung noch in mir nach. Wie die Mädchen da in der Sonne standen, wie viele Menschen mit ihrer Geschichte berührt wurden, ihr privates Familienleben öffentlich wurde und damit vielleicht auch etwas bewirkte.

Wenn ihr euch traut, trauen wir uns auch. Macht uns der Mut der anderen mutiger? Ich erinnere mich an das Strahlen der Kinder, wie sie vom Vater erzählt haben und von Daniel. Vielleicht ging es dem Vater ja nicht um seine Ermutigung, sondern um seine Kinder. Um die Gewissheit, dass seine Töchter hinter seiner Beziehung stehen und sich in seiner Entscheidung zu Hause fühlen.

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Christa Pfafferott schreibt die Kolumne "Zwischen Menschen" für die taz. Sie wurde zum Dr. phil. in art. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg promoviert. Sie hat zuvor Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert. Sie lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.

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