20 Jahre Übernahme durch China: Peking droht, Hongkong demonstriert
Zum Jahrestag der Übernahme Hongkongs durch China demonstriert die Zentralregierung ihre Macht. Zehntausende Bewohner gehen auf die Straße.
Nun, zwanzig Jahre später, besetzten am Samstag bei den Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestags Dutzende Generäle der Volksbefreiungsarmee in grüner Uniform die meisten Plätze in den vorderen Reihen und beklatschten ihren Staatspräsidenten Xi Jinping. Unverkennbar demonstrierten sie damit, wer in der ehemaligen britischen Kronkolonie das Sagen hat.
Entsprechend unmissverständlich fiel auch Xis Rede aus: „Wer es wagt, die Autorität Pekings infrage zu stellen, überschreitet eine rote Linie“, sagte er an die Hongkonger Bürger gerichtet. Er warnte davor, Hongkong als Ausgangspunkt für „Sabotageakte“ gegen China zu nutzen.
Zudem forderte er die Hongkonger Führung auf, die Sicherheitsgesetze der Stadt dringend zu stärken. Damit mischte er sich einmal mehr unverhohlen in die inneren Angelegenheiten Hongkongs ein, die nach dem vereinbarten Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“, eigentlich für fünfzig Jahre einen weitreichenden Autonomie-Status genießt.
Tatsächlich entwickelte sich am Wochenende anlässlich des 20. Jahrestags der Rückgabe Hongkongs an China ein handfestes Kräftemessen zwischen der chinesischen Führung in Peking und den prodemokratischen Kräften. Während der chinesische Staats- und Parteichef Xi weitestgehend abgeschirmt von der Öffentlichkeit vor einem ausgewählten Publikum redete und es als „absolut unzulässig“ bezeichnete, die Macht der Zentralregierung in Peking anzuzweifeln, zeigten sich auf Hongkongs Straßen wenige Stunden später Zehntausende entsetzt über Xis scharfe Rede.
Auf Plakaten forderten sie mehr Demokratie und die Freilassung des krebskranken Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Er war zu Beginn der Woche nach fast acht Jahren überraschend aus der Haft entlassen worden und steht nun quasi unter Hausarrest. Laut Veranstaltern zogen etwa 60.000 Demonstranten gegen sie und Peking durch die Stadt.
Rangeleien und Festnahmen
Ihr Protest richtete sich aber auch gegen die neue Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam, die am Samstag in Anwesenheit von Xi ihren Amtseid ablegte. Sie steht aus Sicht der Demokratie-Aktivisten sinnbildlich für die mangelnde Unabhängigkeit Hongkongs. Ihre Wahl Anfang April kam nur zustande, weil ein Komitee, das mehrheitlich von Peking bestimmt wurde, sie in das Amt gehievt hatte. Eine Mehrheit der Hongkonger lehnt sie laut Umfragen ab.
Den Demonstranten gegenüber standen einige Hundert prochinesische Aktivisten, die chinesische Flaggen schwenkten und versuchten, sich den Demonstranten in den Weg zu stellen. Es kam zu Rangeleien und mehreren Festnahmen.
Xi gab sich während seines dreitägigen Besuchs in der Hafen- und Finanzmetropole nicht im Geringsten die Mühe, die Ängste der Hongkonger Bürger vor Pekings langem Arm zu zerstreuen. Er stattete Polizeieinheiten und Garnisonen der Volksbefreiungsarmee Besuche ab und ließ sich ausführlich Pläne von Großprojekten zeigen, die Hongkong noch stärker an das chinesische Festland binden sollen.
Schon jetzt fürchten viele Hongkonger, von den Volksrepublik-Chinesen überrannt zu werden. 10-Millionen-Städte wie Shenzhen direkt auf der anderen Seite der Grenze und Guangzhou, rund 100 Kilometer weiter, sind jetzt schon dabei, Hongkong als führende Wirtschaftsmetropole den Rang abzulaufen. Zudem hat die chinesische Führung angekündigt, ihren bislang einzigen Flugzeugträger, „Liaoning“, in den nächsten Tagen erstmals in Hongkongs Hafen einlaufen zu lassen – eine weitere Machtdemonstration.
Immer stärkere Einmischung
Die ehemalige britische Kronkolonie gehört seit dem 1. Juli 1997 wieder zu China. Nach dem Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ hatten die Briten damals mit der Führung in Peking allerdings vereinbart, dass die sieben Millionen Hongkonger für weitere fünfzig Jahre, also bis 2047, ein „hohes Maß an Autonomie“ genießen und, anders als in der Volksrepublik, Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit geschützt bleiben.
Doch seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass sich Peking entgegen der Vereinbarung immer häufiger einmischt. Journalisten berichten von Zensur, Akademiker beklagen den Verlust ihrer wissenschaftlichen Freiheit. Für besonders große Angst sorgte vor anderthalb Jahren der Fall mehrerer Buchhändler, die für ihre Peking-kritischen Werke bekannt waren. Sie wurden von chinesischen Agenten auf Hongkonger Boden entführt und tauchten einige Wochen später im chinesischen Staatsfernsehen auf – mit öffentlichen Schuldgeständnissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr