piwik no script img

2 Jahre LADG BerlinDer Tiger braucht noch Zähne

Nach zwei Jahren Antidiskriminierungsgesetzes gibt es viele Beschwerden, aber kaum Klagen. Beratungsstellen fordern mehr Geld für Rechtshilfsfonds.

Sicherheitdienst und Polizei bei einer Kontrolle in der Berliner U-Bahn Foto: Emmanuele Contini/imago

Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) in Berlin ziehen Beratungsstellen eine gemischte Bilanz. Einerseits sei es gut, dass mit dem Gesetz die vielen Fälle von „diskriminierender Praxis durch staatliches Handeln immer sichtbarer werden“ und Betroffene nun die Möglichkeit hätten, sich dagegen zu wehren, erklärte Alaleh Shafie-Sabet, Projektleiterin beim Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (ADNB-TBB).

Andererseits zeigten sich betroffene Behörden oft uneinsichtig und würden diskriminierendes Verhalten ihrer Mitarbeitenden nicht zugeben, ergänzt ihre Kollegin Charlotte Heyer. „Die meisten reagieren ähnlich, wenn wir uns mit einer Beschwerde an sie wenden. Man erklärt sein Bedauern, sagt aber zugleich, dass die fragliche Handlung nicht diskriminierend gemeint gewesen sei.“

Bei der Polizei und dem Berliner Verkehrsunternehmen BVG sei dies oft verbunden mit dem Zusatz, man achte sehr auf Diversität im eigenen Haus. Nach dem Motto: Wir sind die Guten, da kann es nicht sein, dass wir diskriminieren. „Damit wird den Betroffenen die Erfahrung von Diskriminierung abgesprochen“, kritisiert Heyer.

Das bundesweit einmalige LADG trat am 21. Juni 2020 in Kraft. Seither ist Berliner Landesbehörden und landeseigenen Unternehmen wie der BVG die Diskriminierung von Menschen aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religion, rassistischer Zuschreibungen und weiterer Merkmale verboten. Damit wurde eine wichtige Schutzlücke geschlossen, denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt nur für Dienstleistungen und im Arbeitsrecht.

In Berlin können sich Betroffene seitdem wegen Benachteiligungen durch Landesbedienstete beschweren – die meisten machen dies über eine Beratungsstelle wie die beim ADNB oder über die eigens eingerichtete Ombudsstelle in der Justizverwaltung. Zudem steht ihnen der Klageweg offen, dabei können sie auch von anerkannten Verbänden unterstützt werden. „Die meisten Betroffenen wollen aber vor allem eine außergerichtliche Entschuldigung und Anerkennung der Diskriminierung“, so die Erfahrung von Heyer.

Seit ihrer Einrichtung gingen über 1.000 Beschwerden bei der Ombudsstelle ein, rund 700 davon fallen laut Justizverwaltung in den Anwendungsbereich des LADG. Die meisten Beschwerden betreffen demnach Bezirksämter, Schulen, die Polizei und die Berliner Verkehrsbetriebe.

Doris Liebscher, die Leiterin der Ombudsstelle, sagt dazu: „Diskriminierung kommt überall in unserer Gesellschaft vor – auch bei staatlichen Stellen. Wichtig ist es, damit professionell umzugehen. Hier muss mehr geschult werden und wir müssen stärker Regeln und Abläufe in den Blick nehmen, die diskriminierungsanfällig sind. Dazu zählt zum Beispiel das Outsourcing staatlicher Aufgaben an private Sicherheitsfirmen wie bei der BVG.“

Verzögerte Bearbeitung

Beim ADNB kamen bislang 145 Fälle zusammen, die das Netzwerk als „LADG-relevant“ einstuft. Die meisten, erklärt Heyer, beträfen BVG, Bürgerämter und Polizei. „BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color, Anm.d.Red.) beschweren sich zum Beispiel über Racial profiling oder darüber, dass sich die Polizei weigert, eine Anzeige aufzunehmen – etwa nach einer BVG-Kontrolle, die rassistisch ausgeartet ist.“ Auch auf Bürgerämtern komme es immer wieder zu rassistischen Stigmatisierungen. So beschwerten sich BIPoCs über die verzögerte Bearbeitung ihrer Anträge, indem sie immer neue Unterlagen beibringen sollten, die „normalerweise“ nicht verlangt würden.

Auch die Beratungsstelle von Eoto, dem communitybasierten Empowermentprojekt für Schwarze Menschen, meldet eine „Vielzahl von Fällen“, bei denen es um staatliche Diskriminierung geht. Laut der Leiterin der Beratung, Joanna Jones, sind die Institutionen, die am häufigsten Probleme machen, Jugendämter, Schulen, Universitäten, Ausländerbehörde und Polizei. „Auch im Rahmen des Ukrainekrieges ist es mehrfach zu Meldungen von Diskriminierung gekommen, in denen wir Beschwerdeverfahren initiierenm zum Beispiel beim Landesamt für Einwanderung.“

Und was passiert nach Bekanntwerden einer Diskriminierung? Wenn die Be­schwer­de­füh­re­r*in­nen das wollten, erklärt Heyer, schreibe der ADNB nach der Erstberatung einen Beschwerdebrief an die betreffende Institution mit der Bitte um Stellungnahme. Viel erreiche man damit bislang nicht, zumeist fehle wie gesagt die Einsicht. „Die Diskriminierungen bleiben also bisher sanktionslos. Die Frage ist, ob eine gerichtliche Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen zu einem Umdenken führt.“

Bislang gibt es allerdings nur wenige Diskriminierungsbetroffene, die den Klageweg zu gehen bereit sind. Dem ADNB sind aktuell vier Klagen von Einzelpersonen und eine Verbandsklage bekannt.

Die „Klageflut“, vor der Gegner des Gesetzes wie die Polizeigewerkschaft vor dessen Inkrafttreten gewarnt hatten, ist also ausgeblieben. Grund dafür ist nach Ansicht der Ex­per­t*in­nen zum einen die fehlende Information einer breiten Öffentlichkeit. „Bisher ist die LADG-Ombudsstelle kaum proaktiv und öffentlichkeitswirksam nach außen getreten“, kritisiert Edwin Greve vom Migrationsrat Berlin, einem Zusammenschluss zahlreicher Organisationen, die teilweise Antidiskriminierungsberatung anbieten. „Weder gab es eine größer angelegte Öffentlichkeitskampagne, noch ist die Ombudsstelle beispielsweise über die von der Landesantidiskriminierungsstelle veröffentlichte Antidiskriminierungs-App, die AnDi-App, zu finden.“

Vor allem aber, sagen Migrationsrat und ADNB, fehlten potenziellen Klä­ge­r*in­nen oft die Mittel für eine Klage

Vor allem aber, sagen Migrationsrat und ADNB, fehlten potenziellen Klä­ge­r*in­nen oft die Mittel für eine Klage. „Wir vermissen weiterhin Lösungsvorschläge durch den Senat bezüglich der Finanzierung von Verbandsklagen“, sagt Greve daher. Heyer ergänzt: „Viele Menschen, die wir beraten, sind von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Menschen, die Rassismuserfahrungen machen, sind zum Beispiel viel häufiger auch von Klassismus betroffen. Deshalb fehlt es nicht selten an den zeitlichen und finanziellen Ressourcen für eine Klage.“ Derzeit gebe es jedoch für LADG-Klagen nur einen Rechtshilfefonds für Anwalts- und Prozesskosten, den die Gesellschaft für Freiheitsrecht (GFF) gemeinsam mit dem ADNB eingerichtet hat.

Zudem bemerken die Be­ra­te­r*in­nen schmerzlich das Fehlen einer bundesweiten Regelung. Ihre Beratungsstelle bekomme viele Anrufe von Betroffenen, die außerhalb Berlins behördlich diskriminiert wurden, so Heyer. „Dass wir in solchen Fällen nicht weiterhelfen können, ist schwierig zu vermitteln und für die Menschen oft sehr frustrierend.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "So beschwerten sich BIPoCs über die verzögerte Bearbeitung ihrer Anträge, indem sie immer neue Unterlagen beibringen sollten, die „normalerweise“ nicht verlangt würden."

    Hier kann man die BIPoCs beruhigen: Es ist jahrhundertealte Praxis Berliner Bürgerämter, immer neue Unterlagen zu fordern, statt den Antrag zu bearbeiten.