175 Jahre Zoo Berlin: „Zoogeschichte ist Stadtgeschichte“

Der Zoo Berlin hat lange gebraucht, um sich seiner Vergangenheit zu stellen. Spät, aber nicht zu spät, sagt NS-Historiker Clemens Maier-Wolthausen.

Der NS-Historiker Clemens Maier-Wolthausen vor den Giraffen im Zoo

Clemens Maier-Wolthausen hat die Geschichte des Berliner Zoos aufgearbeitet Foto: Christian Mang

taz: Herr Maier-Wolthausen, was treibt einen NS-Historiker dazu, ein Buch zu schreiben, das „Hauptstadt der Tiere“ heißt?

Clemens Maier-Wolthausen: Ich habe viel über die Geschichte der deutschen Juden geforscht. Über Antisemitismus und auch über Erinnerungspolitik. Dazu habe ich auch promoviert. Es ist eine reizvolle Aufgabe, ein Buch darüber zu schreiben, wenn sich der Zoo Berlin – die älteste preußische Aktiengesellschaft und eines der größten Erholungsunternehmen der Bundesrepublik – seiner Geschichte stellt.

Der Pandabär auf dem Umschlag suggeriert, dass es sich um ein normales Buch über den Zoo handelt. Ist das nicht irreführend?

Nein. Die Aufmachung und der Titel sind in Abstimmung mit dem Zoovorstand, dem Links Verlag und mir erfolgt. Uns war bewusst, wenn wir die Menschen mit unserer Botschaft erreichen wollen, müssen wir das Buch auch so gestalten, dass sich ein breites Publikum angesprochen fühlt.

Wie lautet die Botschaft?

Zoogeschichte ist Stadtgeschichte. Seit der Eröffnung des Zoos 1844 war seine Geschichte immer eng mit der Berliner Geschichte verbunden. Der Zoo war Bühne der Politik und wurde beeinflusst durch die Politik.

Der Mensch

Clemens Maier-Wolthausen wird 1973 in Berlin geboren. Die Mutter ist Erzieherin. Der Vater ist ein Sozialarbeiter und eröffnet das erste betreute Jugendwohnprojekt in Kreuzberg.

Der Werdegang

Nach dem Abitur studiert er in Berlin und Norwegen Geschichte. Am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz promoviert er zum Thema: „Erinnerung an den Krieg und die deutsche Besatzung in Dänemark und Norwegen“.

Die Tätigkeiten

Er ist unter anderem beschäftigt am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg und dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Für den Zoo Berlin kuratierte er eine Dauerstellung mit dem Schwerpunkt Nationalsozialismus, die seit 2016 im Antilopenhaus zu sehen ist. Aktuell forscht er über die gemeinsame Geschichte von Zoo und Naturkundemuseum.

Das Buch

Der Titel „Hauptstadt der Tiere“ ist beim Christoph Links Verlag erschienen. Herausgeber ist Zoodirektor Andreas Knieriem. Am 7. August um 19 Uhr stellt Maier-Wolthausen sein Buch im Zoo-Aquarium vor. (plu)

Bevor Sie das Buch geschrieben haben, haben Sie für den Zoo eine Dauerausstellung zum Thema Nationalsozialismus kuratiert, die seit Ende 2016 im Antilopenhaus zu sehen ist. Der Zoo hat lange gebraucht, um sich seiner Vergangenheit zu stellen, oder?

Das hat auch Wolfgang Benz, der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, bei der Ausstellungseröffnung festgestellt: Das kommt spät, aber nicht zu spät. Dem kann ich nur zustimmen.

Auch vor den Nationalsozialisten ist Menschenverachtendes im Berliner Zoo geschehen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dort nicht nur Tiere, sondern auch Menschen „ausgestellt“. Was hatte es damit auf sich?

Die erste sogenannte Völkerschaugruppe kam 1878 in den Zoo Berlin. Es handelte sich um eine kleine Gruppe Inuit, damals „Eskimos“ genannt, aus Grönland. Private kommerzielle Veranstalter organisierten die Schauen, die wie ein Wanderzirkus durch Europa zogen. Danach wurden als „Nubier“ bezeichnete Menschen aus Nordafrika im Zoo gezeigt. Sie brachten sogar Elefanten und Nashörner mit. Später folgten Samen, sogenannte „Lappen“ aus Nordskandinavien und „Feuerländer“ von der Südspitze Südamerikas. Die Zoos sahen sich als Gastgeber, die keine Verantwortung für das Wohlergehen der Menschen tragen wollten.

„1937 war der Aufsichtsrat „judenfrei“ und im großen Maße nazifiziert“

Sie schreiben, dass die Menschen zum Teil nach Europa verschleppt worden waren. Immer wieder seien einige dabei krank geworden und gestorben. Wie war so etwas möglich?

Das war nur denkbar in dem Kontext der europäischen Praxis von Rassismus, Dominanz und Kolonialismus. Anfängliche Bedenken wurden dadurch zerstört, dass der damals bedeutendste deutsche Mediziner, Rudolf Virchow, und die von ihm mitbegründete Berliner Anthropologische Gesellschaft den Schauen die wissenschaftlichen Weihen verlieh.

Das heißt, die Menschen dienten Forschungszwecken?

Die Anthropologen haben die Menschen vermessen. Anhand der physischen Merkmale versuchten sie Rückschlüsse auf einen vermeintlichen Entwicklungsstand der jeweiligen „Rasse“ zu ziehen.

Der „Menschenzoo“ befand sich auf einem Sonderschaugelände des Zoos. Wie passt das damit zusammen, dass die „Völkerschauen“ 1931 abgeschafft worden sind, obwohl es nicht mehr lange hin war bis zu Hitlers Machtergreifung?

Das Interesse der Öffentlichkeit war erlahmt. Für die meisten Nationalsozialisten waren afrikanische Menschen in ihrer Denke weniger wichtig als die Abgrenzung und Definition von sogenannten „minderwertigen Rassen“ in Osteuropa. Wenn die Nationalsozialisten über Kolonien geredet haben, haben sie das vor allem getan, um konservative, monarchistische Kreise für sich einzunehmen. Hitler und den Nazis waren die Kolonien schnuppe. Ihnen ging es um eine Dominanz in Europa, um die Unterwerfung der Völker Osteuropas.

Sie schreiben, der Zoo war an den „Völkerschauen“ allein unter finanziellen Aspekten interessiert. Sind Sie sich da sicher?

Ja, aber Vorstand, Aufsichtsrat und Belegschaft lebten natürlich genau in diesen Denkmustern des Rassismus. Nach der Machtergreifung ist bei vielen die Maske gefallen. Beim ersten Aufmarsch des von den Nazis inszenierten Maifestes …

… am 1. Mai 1933 auf dem Tempelhofer Feld …

… marschierte ein großer Teil der Zoobelegschaft in der Uniform der Nationalsozialisten mit. Was mich bei meiner Recherche erschreckt hat, ist, wie schnell sich die Sprache innerhalb des Aufsichtsrats brutalisiert hat. Wie schnell in einer Institution wie dem Zoo, einer sogenannten guten Gesellschaft, der Dialog eskaliert ist. Bereits die erste Sitzung nach der Machtübernahme ist von diesem Gefühl geprägt: Jetzt wird alles anders.

„Der Zoo ist kein Einzelfall. In vielen Institutionen hat die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit erst in den 1990er Jahren oder um die Jahrtausend­wende begonnen. Außerdem wurde dem Zoo immer zugute gehalten, dass er kein politischer Akteur war“

Warum verwundert Sie das?

Adolf Hitler war da noch nicht fest im Sattel. Es bedurfte des Reichstagsbrandes, der Notstandsgesetze, es bedurfte der Kommunisten- und Sozialdemokraten-Verfolgung und dem Schließen der Gewerkschaftshäuser, um die Opposition mundtot zu machen. Es bedurfte vieler Maßnahmen, um die Zivilgesellschaft auf Linie zu bringen. Sie können aber im damaligen Zoo-Aufsichtsrat sehen, dass alle diese Maßnahmen genauso schnell wie in vielen anderen Betrieben von statten gingen.

Auf welche Quellen stützen Sie das?

Die Protokolle der Aufsichtsratssitzungen sind nahezu vollständig erhalten. Im Geschäftsbericht für das Jahr 1933 ist lapidar vermerkt, dass die zwei Aufsichtsratsmitglieder Georg Siegmann und Walter Simon ihre Ämter aus eigenem Entschluss niedergelegt hätten. Tatsächlich war es so, dass Siegmann und Simon bereits im Frühjahr 1933 in einer Aufsichtsratssitzung klargemacht worden war, dass für sie als Juden kein Platz mehr ist.

Siegmann habe sich nicht kampflos gebeugt, schreiben Sie.

Er hat unglaublichen Mut aufgebracht. Politik habe in einem Zoo keine Rolle zu spielen, hat er argumentiert. Und dass man die vielen jüdischen Aktionäre, die dem Zoo eng verbunden seien, nicht vor den Kopf stoßen könne. Die Zooaktie war ja nicht börsennotiert und demzufolge kein Spekulationsobjekt. Dokumentiert wurde mit dem Besitz vielmehr die Zugehörigkeit zur Berliner Mittelschicht und Bildungselite. 1937 war der Aufsichtsrat dann nicht nur vollständig „judenfrei“, sondern auch im großen Maße nazifiziert.

Siegmann und Simon waren Juristen. Was ist aus ihnen geworden?

Beide wurden später deportiert und ermordet.

Der Zoo hat 2014 eine Studie über den Umgang mit den Aktien erstellen lassen. Schätzungen zufolge gehörte etwa ein Drittel der 4.000 Zooaktien jüdischen Aktionären. Nach 1933 seien sie dann genötigt worden, die Aktien zu verkaufen. Was wissen Sie darüber?

Wir gehen von etwa 1.000 jüdischen Aktionären aus. Angesichts des wachsenden Verfolgungsdrucks nach 1933 haben viele ihre Aktien verkauft, um bei der Flucht aus Deutschland liquide zu sein. Das Überangebot auf dem Markt führte zu einem Preisverfall. Der Zooaufsichtsrat begrüßte diese Entwicklung. Vorstand und Aufsichtsrat haben dann beraten, wie der Zoo eine Kontrolle über die Verkäufe der Wertpapiere jüdischer Aktionäre bekommen kann. Das Vorhaben wurde aber verworfen, weil sich die Kontrolle auf alle Aktionäre, also auch auf die nicht jüdischen, erstreckt hätte. Aber den Aufsichtsrat hat das gewurmt.

Der Zoo hat keinen eigenen Profit aus diesen Arisierungen geschlagen?

Doch, als Historiker gehe ich fest davon aus, dass der Zoo in einzelnen Fällen profitiert hat. Wenn ein verzweifelter jüdischer Aktionär in die Verwaltung gekommen ist und gesagt hat: „Ich will die Aktie loswerden, ich will das Land verlassen, können Sie einen Käufer vermitteln?“ – dann hat der Zoo diesen Leuten mit Sicherheit einen schlechteren Preis bezahlt als er üblich war.

Sie behandeln in Ihrem Buch nicht nur die 13-jährige NS-Zeit, sondern die gesamte 175-jährige Geschichte des Berliner Zoos. Wie ging die los?

König Friedrich Wilhelm III. hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf der Pfaueninsel einen privaten Zoo. Neben einheimischen Tieren wurden in der Menagerie auch Kängurus, Affen und ein Löwe gehalten. Diese Tiere bildeten den Grundstock des Zoo Berlin, der 1844 im Tiergarten auf dem Gelände der königlichen Fasanerie gegründet wurde. Hinrich Lichtenstein, Direktor des Zoologischen Museums …

… dem Vorläufer des Naturkundemuseums …

…und der Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt hatten sich beim König viele Jahre für das Projekt eingesetzt. Sie wollten einen Zoo als Bildungsinstitut haben. Vorbild war der 1828 im Londoner Regents Park eröffnete Zoo.

Haben Sie auch einen persönlichen Bezug zum Berliner Zoo?

Als Westberliner, der 1973 geboren worden ist, habe ich den Zoo in meiner Kindheit und Schulzeit geliebt. Zwischenzeitlich war ich einige Zeit nicht dort. Heute, wo ich selbst Vater bin, bin ich mit meinen Kindern wieder oft da. Der Siebenjährige interessiert sich gerade für die Nashörner, der Vierjährige möchte immer in den Streichelzoo. Meine Lieblingstiere sind Seelöwen und Flusspferde. Als Umwelt- und Naturschützer bin ich aber allen Tieren sehr verbunden.

Was hat Sie motiviert, Geschichte zu studieren?

Ich komme aus einem linksliberalen Haushalt. Meine Eltern haben mich frühzeitig politisch sensibilisiert. Die Geschichte des Nationalsozialismus war am Frühstückstisch und beim Abendbrot oft Thema. Ich habe auch versucht, die sogenannten Täter-Biografien meiner Großväter zu recherchieren, aber ich habe nichts inkriminierendes gefunden.

Haben Sie eigentlich immer die Geschichtsbrille auf, wenn Sie durch den Zoo laufen?

Geht mir das als Historiker nicht überall in Berlin so? Wenn ich vor dem ehemaligen Haus der Luftfahrt und dem späteren Haus der Ministerien der DDR stehe, heute das Bundesfinanzministerium, weiß ich, dass da am 17. Juni 1953 Arbeiterinnen und Arbeiter protestiert haben. Wenn man ein beruflich bedingtes höheres Geschichtsbewusstsein hat, sieht man die Kontinuitäten und Brüche.

Bei welchem Gebäude im Zoo ist der Eindruck am stärksten?

Beim Antilopenhaus. Es wurde 1872 eröffnet und ist das älteste erhaltene Gebäude im Zoo. Der maurische Baustil, die gläserne Kuppel und die minarettartigen Türmchen – das ist gelungene Architektur. Heute wie damals kann ich nachvollziehen, dass das Haus Besucher anzieht.

Woher kamen damals die Tiere?

Die meisten Tiere waren seinerzeit private Handelsobjekte. Dass dabei der „Selbstbedienungsladen“ Afrika und Asien ausgebeutet wurde, ist natürlich nur im Rahmen eines kolonialistischen europäischen Prinzips denkbar. Später gab es dann auch aus den deutschen Kolonien vermehrt Geschenke.

Wenn man über die Nazivergangenheit des Zoos spricht, muss man auch über Lutz Heck sprechen. Der war bis 1945 Zoodirektor. Das Amt hatte er 1932 von seinem Vater, Ludwig Heck, übernommen. War Lutz Heck ein überzeugter Nazi?

Er war mit Sicherheit einer biologistisch-rassistischen Sichtweise verschrieben. Wir können das an vielen Stationen seiner Karriere während des NS deutlich nachvollziehen: Frühes Fördermitglied der SS. Am 1. Mai 1937 Eintritt in die NSDAP. Das können zu diesem Zeitpunkt nur Leute, die sich verdient gemacht haben, – die die letzten vier Jahre für NS-Organisationen gearbeitet oder dem Regime treu gedient haben. Diese Konditionen erfüllte Heck bedingungslos. Mit Hermann Göring teilte er eine Jagdfreundschaft. Er züchtete für Göring Wisente.

Auch Löwenbabys hat er Göring als Haustiere überlassen.

Göring und Heck wollten ein großes Naturschutzreservat wie in den Rocky Mountains in den USA schaffen. Göring hat Heck auch zum Leiter der obersten Naturschutzbehörde im Reichsforstamt berufen.

Heck hat im Zoo auch Zwangsarbeiter beschäftigt.

Wie das in allen Betrieben üblich war, ja. Man kann diese Schritte in Hecks Biografie lesen als blanken Opportunismus, weil es ihm und seinem Zoo geholfen hat. Man kann sie aber auch lesen als eine logische Folge von einer zutiefst autoritär geprägten Familie.

Was sagen Sie?

Es war beides. Noch in seinen Büchern, die er 1960 geschrieben hat, spricht er von Deutsch-Südwest, wenn er Angola oder Namibia meint .

Lutz Heck ist 1983 gestorben. Nach seinem Tod wurde im Zoo eine Büste von ihm aufgestellt, aber seine Nazivergangenheit bei der Feierstunde mit keinem Wort erwähnt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Da ist der Zoo kein Einzelfall. In vielen Institutionen hat die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit erst in den 1990er Jahren oder um die Jahrtausendwende begonnen. Außerdem wurde dem Zoo immer zugute gehalten, dass er kein politischer Akteur war. Inzwischen erkennen wir, dass der Nationalsozialismus in allen Teilen der Zivilgesellschaft vertreten war.

Heinrich Dathe, langjähriger Direktor des zu DDR-Zeiten in Ostberlin gegründeten Tierparks, hatte auch eine Nazivergangenheit.

Als er Anfang der 1930er Jahre in die NSDAP eintrat war Dathe noch sehr jung. In seinen Memoiren hat er Rechenschaft über sich abgelegt und offen gesagt, dass er damals aus Überzeugung beigetreten ist.

Aus Ihrem Buch geht hervor, dass es bereits Anfang des 20.Jahrhunderts Bestrebungen gab, einen Volkstierpark zu gründen. Auch der Schriftsteller Alfred Döblin und die Künstlerin Käthe Kollwitz hätten diese Initiative unterstützt. Die Eintrittspreise sollten halb so hoch sein wie im Zoo, den sich nur reiche Bürger leisten konnten.

Nicht nur 1911 und 1913 gab es diese Überlegung, sondern auch in den 1920er Jahren und Ende der 1920er Jahre erneut. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Stadtgeschichte. Das zu erwähnen, war mir wichtig. Dass es erst unter den Bedingungen der deutschen Teilung 1955 dazu kommt, dass der Tierpark entsteht – das ist ausgesprochen spannend.

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