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1.246 Tage Krieg in der UkraineDie Liebe in Zeiten des Krieges

Manche Männer sind seit Jahren an der Front. Andere tun alles, um nicht kämpfen zu müssen. Was bedeutet das für ukrainische Paare und Familien?

Ein ukrainischer Soldat in der Region Denetzk Foto: Iryna Rybakova/ap

D ie Männer in der Ukraine lassen sich meiner Meinung nach aktuell grob in zwei Kategorien einteilen: diejenigen, die sich zur Armee gemeldet haben und die anderen, die versuchen, sich vor dem Militärdienst zu drücken. Das ist keine soziologische Studie, sondern meine persönliche Beobachtung.

Während der ersten zwei Kriegsjahre habe ich im Ausland gelebt. Vor anderthalb Jahren bin ich in die Ukraine zurückgekommen – und habe gesehen, wie sich die männliche Gesellschaft vor meinen Augen gespalten hat. Bewusst kann ich mich selbst auf keine der beiden Seiten stellen. Den meisten meiner Freunden geht es ähnlich wie mir.

Die erste Kategorie ist die der Soldaten. Was soll schwierig sein an einer Beziehung zu einem Mann, der das Land verteidigt? Aber in der Ukraine herrscht seit über drei Jahren Krieg, und eine Front von mehr als 970 Kilometern Länge ist keine abstrakte Größe. Wenn dein Partner in der Armee ist, bist du in Gedanken täglich bei ihm. Du fragst dich ständig: Wo ist er? Geht es ihm gut? Wann seht ihr euch wieder? Kommt er irgendwann ins zivile Leben zurück? Und möchte er das überhaupt?

Bild: privat
Yuliia Shchetyna

Ukrainische Journalistin und Produzentin aus der Region Cherson, 28 Jahre, lebt in Kyjiw. Master in Kulturwissenschaften. Seit 2022 arbeitet sie an einem Nachrichten- und Analyseprojekt über das Leben der Menschen im Süden der Ukraine während des Krieges. Als Produzentin erstellt sie das Geschichts-Projekt „Deokupowana istoriia“ (Befreite Geschichte) über russische Mythen im Süden der Ukraine.

Angst vorm Tod des Partners

Meine Klassenkameradin Yuliia hat vor sieben Jahren geheiratet, sie hat zwei Kinder. Gleich nach dem 24. Februar ist ihr Mann zur Armee gegangen. Fast die ganze Zeit war er an der Front. Als die Verbindung zu ihm abbrach, rief Yuliia mich an. Wir sprachen über Alltägliches, aber ich spürte die ganze Zeit, wie besorgt sie war. Um ihn, die Kinder und ihre gemeinsame Zukunft.

über leben

Für die Menschen in der Ukraine ist der Krieg ein Teil ihres Alltags geworden. Trotz der Todesangst vor Luftangriffen und Kämpfen geht das Leben weiter: Die Menschen gehen zur Arbeit, zur Schule und zur Uni. Sie lieben, lachen, heiraten, bekommen Kinder, machen Urlaub. Sie trauern, sorgen sich – und hoffen auf Frieden.

Einmal hat sie ihn mit den Kindern besucht, in einem kleinen Ort im Donbass. Sie wollten drei Tage zusammen verbringen. In der ersten Nacht wurde der Ort beschossen. Sie verbrachten diese Nacht im Korridor, am Morgen fuhr sie zurück. Yuliia hat davon erzählt und ich war empört: Wie konnte sie mit den Kindern so nah an die Front fahren?

Aber ich habe mich nicht getraut, das laut zu sagen. Es ist nicht mein Leben, ich habe kein Recht darüber zu urteilen. Soldatenfrauen sind diejenigen, die in ständiger Angst leben. Was hält sie aufrecht? Wahrscheinlich die Liebe. Liebe ist ihre einzige zuverlässige Waffe.

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Angst vor der Einberufung

Zur zweiten Kategorie gehören diejenigen, die sich drücken. Die, die jahrelang ihren Wohnbezirk nicht mehr verlassen. Oder ein irres Geld dafür bezahlen, um ins Ausland zu kommen. Ich verurteile sie nicht. Nicht jeder ist bereit, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Aber könnte ich mit so einem Mann zusammen sein? Wahrscheinlich nicht. Ich kann mir kein Leben als junger, aktiver Mensch vorstellen, das sich auf die eigenen vier Wände beschränkt.

Meine Freundin Mascha hat sechs Monate vor Kriegsbeginn geheiratet. Jetzt haben sie und ihr Mann ein sechs Monate altes Baby, sie wohnen in der Nähe von Kyjiw. Sie möchte gerne reisen, ihre Freunde treffen, ihre Eltern besuchen. Aber ihr Leben beschränkt sich auf ihr direktes Umfeld, weil sie nicht möchte, dass ihr Mann zum Militär muss. Ich verstehe sie. Und gleichzeitig kann ich mir nicht vorstellen, wie man so leben kann.

Ja, ich habe zwei Extreme beschrieben. Als ich gerade in die Ukraine zurückgekommen war, schien es mir, dass ich nur zwischen diesen beiden Polen wählen konnte. Und das machte mir Angst. Sich verlieben – und ständig Angst haben. Sich verlieben – und jedes Mal verlegen werden, wenn jemand fragt: „Und wo ist dein Mann?“ Jetzt sehe ich, dass es auch andere Geschichten gibt. Es gibt Männer, die einen Aufschub bekommen haben, in systemrelevanten Betrieben arbeiten, ehrenamtlich tätig sind und die Gesellschaft auf andere Weise unterstützen.

Weichen stellen für die nächste Generation

All das sind nur meine persönlichen Überlegungen, die nicht repräsentativ für das Leben sämtlicher Ukrainerinnen und Ukrainer sind. Nur meine Erfahrungen und die meiner Freunde. Aber ich denke, es ist gerade jetzt sehr wichtig darüber zu sprechen, wie der Krieg Beziehungen und Vorstellungen von Partnerschaft und Liebe verändert. Weil auch das die Dinge sind, die eine neue Generation von Ukrainern prägen werden. Daher ist es heute wohl das Wichtigste, echte, aufrichtige Liebe zu erkennen. Denn das ist es, was uns uns in diesen schwierigen Zeiten zusammen hält.

Aus dem Ukrainischen Gaby Coldewey

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2 Kommentare

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  • Schwierig, sehr krass.



    Wenn ich in einem Grenzland ,[ daher der Name Ukraine ] geboren worden wäre, würde ich mir wohl dreimal überlegen, ob ich in einem Land, was immer Grenzland war und wohl auch immer Grenzland bleiben wird, beiben möchte. Zudem würde ich mir noch dreimal mehr die Frage stellen, ob ich die Verantwortung tragen könnte, in so ein Grenzland, meine Kinder hinein zu gebären. Gut dass ich mir diese Fragen in meinem Leben nicht stellen musste.

  • Wer schon von "drücken" spricht, hat sich doch bereits auf die Seite der vorgeblich starken Männer gestellt, die das Land verteidigen. Es gibt genug Gründe nicht zu kämpfen, die man respektieren muss. Daran anknüpfend dann Liebe steuern zu wollen, scheint mir vorsichtig gesagt irre.