100 Jahre Schwarzwälder Kirschtorte: Sie hat einen Schuss
Vor 100 Jahren schuf ein Schwabe, der im Rheinland Konditor war, die berühmteste Schwarzwälderin der Welt: Happy Birthday, Torte!
„Das Backen von Schwarzwälder Kirschtorte ist mein Tagesgeschäft.“ Freddy Boch, Chef vom Hotel Engel in Todtnauberg im Südschwarzwald bei Freiburg, braucht kein Rezeptbuch, wenn er Torte macht. Mehrere Exemplare entstehen jeden Tag allein in seiner Küche. Der Griff zur Schnapsflasche schon am frühen Morgen ist fester Bestandteil. Denn in jede Torte gehört ein kräftiger Schuss Kirschwasser. Das Hochprozentige gibt der Torte ihren unverwechselbaren Geschmack.
Und das was man nicht nur im Südwesten: „Die Schwarzwälder Kirschtorte ist die bekannteste Botschafterin unserer Region“, erklärt Christopher Krull, Geschäftsführer der Schwarzwald-Tourismus-Gesellschaft in Freiburg: „Und sie ist die bekannteste und beliebteste Torte Deutschlands.“ Ob in Cafés, Restaurants oder auch in Wanderhütten: Die kalorienreiche Spezialität gehört zu den am häufigsten bestellten Süßspeisen. Und ist, nicht nur wegen des Namens, untrennbar mit dem Schwarzwald verbunden. Auch in Australien, Asien und Südafrika kennt man sie. Nur die Sachertorte aus Wien hat einen ähnlichen Bekanntheitsgrad.
Vor 100 Jahren wurde sie erfunden. Der gängigen Geschichte nach schuf der aus dem schwäbischen Riedlingen an der Donau stammende Konditor Josef Keller (1887-1981) die Sahne-Kirchen-Kirschwasser-Kombination erstmals in Form einer Torte. Keller arbeitete damals im Café Ahrend in Bad Godesberg, dort wurde die Spezialität von ihm im Jahre 1915 geschaffen und erstmals serviert. Das Café gilt als die Geburtsstätte der Schwarzwälder Kirschtorte. Es besteht noch heute. Es heißt inzwischen Café Agner – und Bad Godesberg ist ein Stadtteil von Bonn.
Das Originalrezept liegt in Triberg
Keller zog später nach Radolfzell am Bodensee und eröffnete sein eigenes Café. Die Tortenspezialität wurde auch dort zum Renner. Die Torte traf den Geschmack, machte ihre Runde und sich weltweit einen Namen. Einer von Kellers Lehrlingen nahm das Originalrezept mit. Heute liegt es in Triberg im Schwarzwald in einer Konditorei.
Im Schwarzwald lässt man sich von dem schwäbischen Konditor, der im Rheinland die Schwarzwälder Spezialität schuf, nicht den Appetit verderben. Denn eindeutig sei die Sache nicht, heißt es. So erhebt das schwäbische Tübingen ebenfalls den Anspruch, den Tortenklassiker erfunden zu haben – allerdings erst 1930, und damit 15 Jahre nach Bad Godesberg. Das Grundrezept war schon früher im Schwarzwald bekannt. Eingekochte Kirschen wurden mit Milchrahm und manchmal auch mit etwas Schnaps serviert – jedoch als einfaches Dessert, nicht als Torte.
Von gestern ist die Torte auf jeden Fall nicht, wie Boch sagt. Im Gegenteil. Es werde mehr gegessen als früher, das Angebot ist reichhaltig: „Wir profitieren vom Trend hin zu regionalen und unverwechselbaren Lebensmitteln“, so der 46 Jahre alte Gastronom und Hotelier, der in Todtnauberg die Torte zum Markenzeichen gemacht hat, unter anderem mit der größten Kirschtorte der Welt: „Wichtig ist, dass sie handwerklich korrekt hergestellt und gut gemacht wird.“ Am Rezept hat sich in 100 Jahren nichts geändert.
Ernährungsexperten stören sich zwar an der Kalorienlast. Doch die Torte enthalte regionale und natürliche Inhaltsstoffe, sagt der Konditormeister Franz-Josef Koszinowsky. Die Kirschen stammen von hier. Und das Kirchwasser wird aus Schwarzwälder Obst gebrannt.
„Wir haben die Kirschtorte lange als selbstverständlich angesehen, heute rücken wir sie in den Mittelpunkt“, sagt Boch. So gibt es ein Kirschtortenfestival, das alle zwei Jahre in Todtnauberg organisiert wird – das nächste im April 2016. Es läuft unter Bochs Regie. Zudem erklären Boch und andere Konditoren Touristen und Einheimischen in regelmäßigen Kursen und Seminaren, wie aus dem Trio Kirschen, Sahne und Kirschwasser eine runde Sache wird. Dieses Angebot ist gefragt.
Markenrechtlich geschützt ist die Torte nicht, produziert werden darf sie überall auf der Welt – auch mit Veränderungen. Ein Schwarzwälder Bäckermeister etwa hat aus den Originalrezepten der Torte vor fünf Jahren einen Kuchen in der Dose entwickelt.
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