100 Jahre Bauhaus in Dessau: Im besten Sinne modern
Das Bauhaus in Dessau wird von rechts angefeindet. Umso wichtiger ist es, die Orte progressiver Erinnerung zu schützen.
Schon wieder wird das Bauhaus 100 Jahre alt. Während 2019 der Jahrestag der Bauhausgründung begangen wurde, ist es nun – eine globale Pandemie, eine zweite Trump-Regierung, einen weltweiten Handelskrieg, mehrere verheerende Kriege und Hungersnöte, einen länderübergreifenden Anstieg rechtsextremer Kräfte sowie die allesüberschwappende künstliche Intelligenz später – das Jubiläum der Dessauer Schule, welches ab September gefeiert wird. Genau der richtige Zeitpunkt also, mal wieder über das Bauhaus zu sprechen.
1919, quasi parallel zur Weimarer Republik, wurde die Kunstschule in Weimar von Walter Gropius gegründet. Unter dem Gesamtkunstwerk der Architektur sollten alle Künste vereint werden, ob Malerei, Skulptur, Musik oder Fotografie, ob Industrie-, Produkt-, Textil- oder Grafikdesign. Der Schwerpunkt der Fachbereiche lag in den Werkstätten, geschlechtliche Gleichberechtigung wurde (im Rahmen der Zeit) gefördert, allerlei alternative Unterrichts- und Lebensformen ausprobiert – das Ganze unter der Lehre legendärer Künstler:innen wie etwa László Moholy-Nagy, Paul Klee, Marianne Brandt, Wassily Kandinsky oder Lyonel Feininger.
Es waren Etatkürzungen der Thüringer Regierung, die das Bauhaus zum Umzug zwangen. Die Wahl fiel auf Dessau im heutigen Sachsen-Anhalt, in ein von Walter Gropius geplantes neues Schulgebäude. Es steht trotz Umnutzung, Brand, Umbauten und Rückbauten bis heute mittlerweile auch unter Unesco-Weltkulturerbe-Schutz.
Zu Recht und Gott sei dank, möchte man meinen, gilt das Bauhaus schließlich bis heute als Wiege der gestalterischen deutschen Moderne. Was genau das heißt, lässt sich dieser Tage sicherlich am besten vor Ort erkunden: „An die Substanz“ heißt die Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe, die dort anlässlich des Jubiläums stattfindet und die Schule, ihre Lehrer, Schüler, Dinge, Materialien und ihr Erbe in den Mittelpunkt rückt.
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Angriff der AfD
Ein passender Titel, will doch plötzlich, so viele Jahre später, die AfD – diese Partei für das Ewiggestrige – der Institution an ebenjene Substanz. Erst im Oktober 2024 bezeichnete die sachsen-anhaltinische Landtagsfraktion das Bauhaus als einen „Irrweg der Moderne“, das Gebäude als eine „historische Bausünde“, die schlichte Formensprache der dort hervorgebrachten Gestaltung als „Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt“ und forderte eine „kritische Auseinandersetzung“ mit der Geschichte des Bauhauses, welches es prompt in die Nähe des Kommunismus rückte.
Ludwig Mies van der Rohe, der letzte und berühmteste Direktor der Schule, kann damit nicht gemeint sein. Nach der Schließung der Schule 1933 versuchte er noch einige Jahre, sich dem NS-Regime anzubiedern, und emigrierte erst 1938 in die USA, nachdem der Erfolg in Deutschland unter den Nationalsozialisten ausblieb. Dort freundete er sich unter anderem mit dem Architekten Philip Johnson an, der zeitweise glühender Anhänger des deutschen Faschismus und seiner Ästhetik war.
Wäre die Kenntnis über seine Person nicht so unwahrscheinlich, ließe sich der Angriff der AfD viel eher auf das Wirken des zeitweiligen Direktors Hannes Meyer beziehen, der von 1928 bis 1930 zwischen Gropius und Mies van der Rohe die Leitung der Kunstschule in Dessau übernahm. Wegen seiner kurzen Wirkzeit und seiner politischen Überzeugung verschwindet er in der Rezeptionsgeschichte häufig im Schatten der bekannten Vor- und Nachfolger.
Der Schweizer Architekt war ein überzeugter Sozialist, ein Praktiker, Analytiker und Rationalist. Und doch bestechen seine Entwürfe durch Details, die so liebevoll, durchdacht und schlicht schön sind, dass auch das Irrationale einen Platz in seinem Herzen gehabt haben muss. Meyer musste 1930 aus politischen Gründen zurücktreten. Der Rest seines Lebens ist Tragödie.
Faschistische Vernichtungsideologie
„Volksbedarf statt Luxusbedarf“ war sein Leitgedanke. Blickt man auf die nach innen gewölbte Decke der Klassenräume der von ihm gebauten Gewerkschaftsschule bei Bernau, die verhindert, dass es zum Schattenwurf der Hand auf dem Papier bei Tageslicht kommt, versteht man, dass auch im Volksbedarf ein wenig Luxus für alle wohnen kann. Blickt man hingegen auf die Parolen der AfD und ihr Brüllen nach Zerstörung eines gesamtdeutschen identitätsstiftenden Kulturguts unter dem Deckmantel der Elitenkritik, versteht man, dass es sich um nichts als faschistische Vernichtungsideologie handelt. Und blickt man zurück auf hundert Jahre Bauhaus Dessau, versteht man, wie wichtig es ist, die Orte progressiver Erinnerung, Ästhetik, Bildung und echter kultureller Identität zu schützen.
Das wäre dann auch im besten Sinne modern – denn das bedeutet laut Duden unter anderem: „an der Gegenwart, ihren Problemen und Auffassungen orientiert, dafür aufgeschlossen; in die jetzige Zeit passend“.
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