1. Mai in Hamburg: Spannung vor dem Tag der Arbeit
Innensenator Ahlhaus warnt vor Gewalt im Schanzenviertel. Derweil besinnt sich die "revolutionäre" Linke rechtzeitig auf eine große Tradition - und zerfleischt sich.
CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus, so scheint es, lässt zurzeit kaum eine Möglichkeit ungenutzt, das Thema "Gewalt am 1. Mai" medienwirksam in den Fokus zu rücken. Zuletzt forderte er nun einen "Aufstand der Anständigen" wider die "Krawallmacher". Was immer dazu beitrage, dass das Wochenende des 1. Mai "möglichst ruhig verläuft", so Ahlhaus, "begrüße ich ausdrücklich".
Ob in diesem Jahr mit politisch motivierter Gewalt zu rechnen ist, darüber ist sich der Staatsschutz derzeit nicht klar. "Es ist noch kein Lagebild erstellt worden", sagt Polizeisprecher Holger Vehren auf taz-Anfrage. In den vergangenen Jahren waren die revolutionären 1. Mai-Demos ohne Zwischenfälle verlaufen.
2009 kam es allerdings am Abend des 1. Mai entlang der "Piazza" am Schulterblatt zu Krawallen. Dafür machte Ahlhaus zunächst die autonome Szene verantwortlich, die unter dem "Deckmantel" traditioneller 1. Mai-Kundgebungen durch Gewaltexzesse rechtsfreie Räume erkämpfen wolle. Bei vielen Beobachtern setzte sich damals allerdings eher der Eindruck durch, dass die Randale auf dem Ausgehboulevard von erlebnisorientiertem Partypublikum ausgegangen ist. Für die Frage, ob ein solches auch diesmal unterwegs sein wird oder nicht, dürfte dem Wetter am 1. Mai entscheidende Bedeutung zukommen: "Wenn es Cats und Dogs regnet", sagt Polizeisprecher Vehren, "werden die Straßen leer sein."
Am 1. Mai werden Tausende auf Hamburgs Straßen erwartet
Die DGB-Demonstration beginnt um 11 Uhr am Gewerkschaftshaus Besenbinderhof. Parallel startet um 10 Uhr am Lohbrügger Markt in Bergedorf eine Demonstration sowie eine weitere in Harburg (9.45 Uhr, Am Sand)
Die Euromayday-Parade bricht diesmal um 14 Uhr vom "Park Fiction" an der Hafenstraße aus auf
Die Revolutionäre 1. Mai-Demo beginnt um 18 Uhr am Altonaer Bahnhof und zieht ins Schanzenviertel
Schon am Morgen des 1. Mai startet die traditionelle Demonstration des DGB vor dem Gewerkschaftshaus. Sie zieht zum Museum der Arbeit nach Barmbek, wo unter anderem DGB-Landeschef Uwe Grund und die Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Asklepios-Kliniken, Katharina Ries-Heidtke, sprechen werden.
Für den frühen Nachmittag ist die "Prekären-Parade" im Rahmen des "Euromayday" angekündigt, die vier Schwerpunkte haben wird. "Level eins - Mayday Mayday" stellt die Fragen: Welche Jobs gehen ohne Pass? Wo bleibt der Scheck für mein Grund einkommen? Wie streike ich als Arbeitsloser? Komplex zwei nennt sich dann "Stadt neustarten - vom Recht auf Stadt für alle" und will vor allem Gentrifizierungsprojekte aufs Korn nehmen. "Alice im Wunderland" setzt sich dann mit der Hartz-IV-Problematik auseinander. Und im Komplex "Nächster Level - Betriebsversammlung im Unternehmen Stadt" schließlich sollen Utopien und Visionen artikuliert werden. "Eine Betriebsversammlung ohne Stellvertreter", heißt es im Mayday-Aufruf, "ohne Maßhalteappelle und vor allem ohne Zwang, sich auf einheitliche Forderungen zu einigen."
Um die ungleich traditionellere "revolutionäre" Demonstration am Abend - Motto: "Kapitalismus bedeutet Krieg und Krise" - ist im Vorfeld eine heftige politische Kontroverse innerhalb des dahinter stehenden Bündnisses entbrannt: Da auch die Gruppe Sozialistische Linke (Sol) an Vorbereitung und Durchführung der Demo beteiligt ist, hat das Umfeld der Roten Flora erklärt, sich an dem Umzug nicht zu beteiligen.
Die Sol zählt zum Spektrum des "Internationalen Zentrums B5" und erlangte zuletzt zweifelhafte Prominenz, indem sie sich bei der gewaltsamen Verhinderung einer Vorführung von Claude Lanzmanns Film "Warum Israel" im B-Movie besonders hervorgetan haben soll. "Vor dem Hintergrund der Ereignisse vom letzten Herbst und dem Fehlen jeglicher Selbstkritik gibt es für uns keine Zusammenarbeit mehr", teilt nun die Rote Flora mit. "Die Sol ist für uns weder bündnisfähig noch sonstwie politisch akzeptabel."
Die geplanten Soli-Veranstaltungen des Bündnisses fänden allerdings statt: Die Flora habe die Sol-Dominanz zu spät als "Problem" wahrgenommen.
taz.de berichtet Freitag ab 17 Uhr und Samstag den ganzen Tag im LIVETICKER von den Demos in Berlin, Hamburg und Rostock.
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