1. Mai in Berlin-Grunewald: „Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“
Gegen Kreuzberger Protestfolklore: Die Hedonistische Linke mobilisiert zu einer 1.-Mai-Demo in den wohlhabenden Berliner Stadtteil Grunewald.
Am 1. Mai wollen Rating und seine MitstreiterInnen das Zielgebiet begehen. Dafür haben sie bei der Polizei für 14 Uhr mit Startpunkt S-Bahnhof Grunewald eine Demo durch das Viertel angemeldet („Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“). Seit dem Wochenende hängen die Mobilisierungsplakate beim Zielpublikum in Berlin-Kreuzberg und -Neukölln.
Auch eine Website ist online – als Unterseite des Internetauftritts der Hedonistischen Internationalen. Das selbst ernannte „Quartiersmanagement Grunewald“ versteht sich als Teil dieses Netzwerks aktionistischer linker Gruppen und Einzelpersonen, so Rating. Er selbst ist Kontrabassist und Sänger der Chanson-Punk-Band The Incredible Herrengedeck.
Musik und Politik, meist mit satirischem Unterton – dafür stehen sowohl die Band als auch die Hedonisten. In den Aufrufen zur Demo wird das offensichtlich: „Mai-Randale in Grunewald“ ist eines der Plakate in Aufmachung eines Boulevardblatts überschrieben; vorbei an „eleganten Immobilien“, möchte man „besonders dekadent raven“.
Empfohlener externer Inhalt
Angekündigt sind neben Ratings Herrengedeck auch die in Szenekreisen bekannten Musiker Paul Geigenzähler und Punkrock MC. Unterstützung kommt zudem von einem Urgestein der anarchistischen Kulturszene, Jan Theiler, bekannt als Pastor Leumund, Mitbegründer der Bergpartei. „Wir wollen die Protestfolklore durchbrechen“, antwortet er auf die Frage, warum die Linken ihr angestammtes Kreuzberger Habitat dieses Jahr verlassen. Sie seien die „Vorhut“, langfristig könnten die „Randalierer, Protest- und Sauftouristen“ aus SO36 folgen.
Pastor Leumund
Dass es den VeranstalterInnen nicht nur um ihren Spaß geht, liegt auf der Hand. Als politische Demonstration werden sie auf zwei Lautsprecherwagen die Bedingung von einem Redeanteil von mindestens 50 Prozent erfüllen; und, so Rating: „Unsere musikalischen Beiträge sind auch Ausdruck einer politischen Meinungsäußerung“.
Schon oft hat Ratings Band bei politischen Veranstaltungen gespielt, er selbst arbeitet in der Nachbarschaftsinitiative „Dragopolis“, für ein soziales Dragoner-Areal. Mit dem Umzug durch den reichen Westen fordern die Veranstalter laut Rating, „eine neue Immobilienpolitik, die auch die Eigentumsfrage thematisiert“. Das passt ins Bild einer stadtpolitischen Szene, die sich demnächst der Enteignung des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen widmen will.
Lange linke Tradition
Abkoppeln von der Szene will man sich dabei nicht: Anvisiert ist ein Ende um 17 Uhr, damit die TeilnehmerInnen es rechtzeitig zur Revolutionären 1. Mai-Demo schaffen. Der Gang nach Grunewald steht aber, unabhängig vom 1. Mai, in einer langen linken Tradition.
1981 und 1989, zum Höhepunkt der Hausbesetzerbewegung, gab es zwei große Demos, jeweils von Zusammenstößen mit der Polizei begleitet. Ende der 1990er zog das gentrifizierungskritische Netzwerk InnenStadtAktion, nach Grunewald („Sprengt doch den Rasen“), später protestierte die „Initiative Bankenskandal“ um FU-Professor Peter Grottian. Letztes Jahr besuchte das Bündnis „Zwangsräumung Verhindern“ renitente Vermieter.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen