+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Nowaja Gaseta Europe unerwünscht

Russland erklärt die Onlinezeitung „Nowaja Gaseta Europe“ zur unerwünschten Organisation. Aktuell ist unklar, wo Wagner-Chef Prigoschin sich aufhält.

Dmitri Muratow

Dmitri Muratow, Friedensnobelpreisträger und Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“, am 8. Juni 2023 Foto: Alexander Zemlianichenko/ap/dpa

Russland untersagt kremlkritischem Medium Tätigkeit

Die russischen Behörden haben die Onlinezeitung Nowaja Gaseta Europe zur „unerwünschten“ Organisation erklärt. Damit wird dem kremlkritischen Medium die Tätigkeit in Russland untersagt. Der jüngste Akt der fortgesetzten Unterdrückung von unabhängigen Medien wurde von der Generalstaatsanwaltschaft damit begründet, dass das Medium „Material zum Nachteil der Interessen Russlands“ erstelle und verbreite.

Die Rede war von „falschen Informationen über angeblich weit verbreitete Verstöße gegen die Rechte und Freiheiten von Bürgern in Russland, Anschuldigungen gegen unser Land, einen Aggressionskrieg gegen die Ukraine entfesselt zu haben, Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung verübt und Repressionen vorgenommen zu haben“.

Die Nowaja Gaseta Europe wurde von früheren Journalisten der bekannten und unabhängigen russischen Zeitung Nowaja Gaseta ins Leben gerufen, der im vergangenen Jahr die Lizenz entzogen wurde. Sie operiert von außerhalb Russlands. Die Einstufung als „unerwünscht“ macht die Arbeit der Onlinezeitung innerhalb des Landes illegal und setzt ihre Journalisten und Geldgeber der Gefahr der Strafverfolgung aus.

Die Novaya Gazeta ist Russlands älteste unabhängige Publikation. Nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde sie verboten. Das Team der Novaya Gazeta Europe hat das Land verlassen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können und denjenigen eine Stimme zu geben, die die Invasion niemals akzeptieren werden. In diesem Dossier veröffentlicht die taz Texte russischer Jour­na­lis­t:in­nen über das erste Kriegsjahr und seine Folgen für die Welt und für Russland, über die Veränderungen in der russischen Bevölkerung, wofür das Adjektiv „russisch“ heute und in Zukunft steht, und berichten über Menschen, die Widerstand leisten. Die Texte sind auf Initiative der taz Panter Stiftung entstanden und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Es ist bereits das zweite Dossier mit Texten der Novaya Gazeta Europe in der taz. Das erste ist im Mai 2022 erschienen. Die Texte des ersten Dossiers finden sich hier.

Die taz hat mehrfach mit der Nowaja Gaseta Europe kooperiert. 2022 erschienen in der taz Sonderseiten der Nowaja Gaseta Europe, deren Druck die taz panter Stiftung finanzierte. Im Januar 2023 lagen der taz erneut 16 Sonderseiten der „Nowaja Gaseta Europe“ bei.

In den vergangenen Jahren hat Russland kremlkritische Organisationen und Einzelpersonen systematisch mundtot gemacht, sie etwa als „ausländische Agenten“ oder als „unerwünscht“ eingestuft – im Rahmen eines Gesetzes von 2015, das die Mitgliedschaft in einer „unerwünschten“ Organisation zu einer Straftat macht. (ap/taz)

US-Institut erwartet Gespräche über Wagner

Nach dem Ende des kurzen bewaffneten Aufstandes der Söldnergruppe Wagner gegen die russische Militärführung erwarten westliche Experten weiter Verhandlungen um die Zukunft der Kämpfer. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin könne nach Russland zurückgekehrt sein, um die Details einer Vereinbarung mit den Behörden auszuhandeln, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) am Mittwoch (Ortszeit) in Washington. Die russischen Behörden hatten das Strafverfahren gegen Prigoschin und die Wagner-Armee zuvor eingestellt. Prigoschin ist in Russland Chef des Firmenimperiums Concord, dessen Zukunft auch geregelt werden soll.

Der frühere russische Geheimdienstoffizier und prominente Militärblogger Igor Girkin, genannt Strelkow, schrieb am Donnerstag, dass Prigoschin sich „allem Anschein nach“ in seiner Heimatstadt St. Petersburg aufhalte. Dort ist auch der Sitz des Firmenimperiums. Von dort steuerte der 62-Jährige auch seine prorussischen und antiwestlichen Desinformationskampagnen im Internet.

Die ISW-Experten betonten, es gebe keine gesicherten Belege dafür, dass Prigoschin Belarus wieder verlassen habe, um weiter zu verhandeln, aber dies sei möglich. Zugleich wiesen sie auf zahlreiche Berichte von Bloggern hin, nach denen Prigoschin für seine Truppen in Belarus neue Feldlager einrichten lasse.

Machthaber Alexander Lukaschenko in Minsk hatte in dem am Samstag beendeten Aufstand vermittelt und dann am Montag bestätigt, dass der Wagner-Chef in Belarus sei. Kremlchef Wladimir Putin hatte die Wagner-Aufständischen als „Verräter“ bezeichnet, ihnen dann aber angeboten, nach Belarus zu gehen. Zugleich bot er kremltreuen Kämpfern an, einen Vertrag mit dem Militär zu unterzeichnen.

Putin teilte auch mit, dass die Wagner-Armee komplett vom russischen Staat finanziert gewesen sei. Dabei hatte er noch im Februar 2022 erklärt, der russische Staat habe nichts mit der Truppe zu tun. Prigoschins Konzern Concord verdiente nach Darstellung Putins Milliarden etwa mit der Essensversorgung der russischen Streitkräfte. Der Kreml will Prigoschins Geschäfte nun prüfen lassen. (dpa)

Ukraine verkündet langsamen Vormarsch

Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben den russischen Gegner an mehreren Frontabschnitten um über einen Kilometer zurückgedrängt. Insbesondere im Umland der russisch kontrollierten Stadt Bachmut im ostukrainischen Gebiet Donezk liege die Initiative derzeit auf ukrainischer Seite, teilte Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar am Donnerstag bei Telegram mit. Namentlich erwähnte sie Vorstöße in Richtung der Dörfer Klischtschijiwka und Kurdjumiwka südwestlich der zerstörten Stadt.

Die Ukrainer setzen sich demnach derzeit auf neu erreichten Positionen fest. „Der Feind zieht seine Reserven heran und klammert sich an Bachmut mit allen seinen Kräften“, unterstrich sie. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich nicht unmittelbar unabhängig überprüfen. Bachmut war von den Russen im Mai unter hohen Verlusten nach monatelangen schweren Kämpfen erobert worden.

Bei den Kämpfen an der Südfront an der Grenze zwischen den Gebieten Saporischschja und Donezk haben sich die ukrainischen Truppen Maljar zufolge in den eroberten Stellungen festgesetzt. „Sie lassen das gegnerische Offensivpotenzial ausbluten, zerstören Ausrüstung, Lager, Kommando- und Kontrollpunkte und Personal“, schrieb sie. Die russische Seite ziehe in diesen Bereichen ebenso Reserven heran. (dpa)

Polen plant wegen Wagner Verstärkung der Ostgrenze

Wegen der geplanten Verlegung russischer Wagner-Söldner ins Nachbarland Belarus will Polen seine Ostgrenze noch stärker sichern. Geplant sei sowohl eine Aufstockung der dort stationierten uniformierten Kräfte als auch eine Erhöhung der Anzahl „verschiedener Arten von Hindernissen und Befestigungen zum Schutz unserer Grenze im Falle eines Angriffs“, sagte Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski am Mittwochabend nach einer Sondersitzung eines Komitees der Regierung für Sicherheits- und Verteidigungsfragen. Nach Angaben Kaczynskis hat Polen Erkenntnisse, wonach bis zu 8.000 Wagner-Kämpfer in Belarus unterkommen könnten.

Das EU- und Nato-Mitglied Polen hat eine 418 Kilometer lange Grenze zu Belarus. Im Spätsommer und Herbst 2021 war die Situation dort eskaliert: Tausende Menschen versuchten, illegal in die EU zu gelangen. Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze gebracht zu haben, um Druck auf den Westen auszuüben. Polen hat die Landabschnitte der Grenze seitdem mit einem 5,5 Meter hohen Zaun gesichert. (dpa)

Selenskyj bestätigt Festnahme

Nach dem russischen Angriff auf die ostukrainische Stadt Kramatorsk mit mindestens zwölf Toten ist nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj ein mutmaßlicher Hintermann festgenommen worden. „Heute hat der ukrainische Geheimdienst zusammen mit Spezialeinheiten der Polizei die Person festgenommen, die den Terrorakt koordiniert hat“, sagte Selenskyj am Mittwoch in seiner abendlichen Videoansprache. Zugleich sprach er den Angehörigen aller Opfer sein Beileid aus. (dpa)

Zahl der Opfer in Kramatorsk weiter gestiegen

In Kramatorsk im Donezker Gebiet war am Dienstag bei einem Raketenangriff eine Pizzeria getroffen worden. Jüngsten Angaben zufolge wurden mindestens zwölf Menschen getötet und mehr als 60 verletzt. Unter den Toten sind ukrainischen Angaben zufolge auch drei Kinder. Die Bergungsarbeiten seien nun beendet, teilte der Zivilschutz am Donnerstagmorgen mit. Die Behörde veröffentlichte auch ein Video, auf dem die Arbeiten sowie Drohnenaufnahmen vom Ausmaß der Zerstörung zu sehen waren. (dpa)

Scholz: Putin nach Wagner-Aufstand geschwächt

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht davon aus, dass der abgebrochene Aufstand der Söldnergruppe Wagner den russischen Präsidenten Wladimir Putin geschwächt hat. „Auf alle Fälle wird das sicherlich langfristig auch Auswirkungen haben in Russland“, sagte Scholz in der ARD-Sendung „maischberger“. „Ich glaube schon, dass er (Putin) geschwächt ist.“ Der Aufstand zeige, „dass die autokratischen Strukturen, die Machtstrukturen Risse haben“ und Putin keineswegs so fest im Sattel sitze, wie er immer wieder behaupte.

Scholz räumte ein, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) von dem Aufstand in Russland überrascht wurde. Die Dienste in Deutschland „haben das natürlich nicht vorher gewusst“, sagte Scholz. „Aber sie haben uns dann auch immer weiter berichtet, was zu beobachten ist.“ Scholz kündigte auch an, den Informationsfluss mit den Verbündeten besprechen zu wollen. Zu Berichten, dass die US-Geheimdienste angeblich früher Bescheid gewusst hätten, sagte er: „Das werden wir alle gemeinsam zu besprechen haben – auch, was der Fall ist von den Dingen, die jetzt spekuliert werden.“ (dpa)

Pistorius: Entwicklungen in Russland legen Risse offen

Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht in dem bewaffneten Aufstand der Söldner ein Zeichen für Risse in Putins Machtapparat. „Ich glaube, da muss man kein Russlandexperte sein, um zu erkennen, dass eine Situation, die so weit gedeihen kann in so kurzer Zeit, dass die ein eindeutiges Signal dafür ist, (…) dass dort einiges in Schieflage geraten ist und dass es Risse gibt“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch (Ortszeit) in Washington. Er antwortete auf die Frage einer Journalistin, wie angeschlagen Putin seiner Ansicht nach sei. Pistorius fügte hinzu, wie tief diese Risse seien und welche Folgen sie für Russland, für die innere Stabilität des Landes und für Putin hätten, ließe sich noch nicht abschätzen. Es gebe auch „kein klares gefestigtes Lagebild“, sagte er. (dpa)

Kyjiw: Bislang 24.000 Soldaten in der EU ausgebildet

In den Staaten der Europäischen Union haben Angaben aus Kyjiw zufolge bereits Tausende ukrainische Soldaten eine westliche Kampfausbildung erhalten. „Insgesamt sind bereits 24.000 ukrainische Soldaten in der EU ausgebildet worden“, sagte Generalleutnant Serhij Najew laut einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums. (dpa)

Tichanowskaja: Prigoschin in Belarus nicht sicher

Die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja glaubt nicht, dass Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin nach seinem gescheiterten Aufstand in Russland nun eine sichere Zuflucht in ihrer Heimat gefunden hat. Prigoschin habe Kremlchef Putin „gedemütigt“ und dieser habe anschließend klargestellt, dass er Verrätern nicht vergebe, sagte sie der Deutschen Welle. Wenn Putin dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko die Order gebe, Prigoschin loszuwerden, dann werde er dies tun, sagte sie. (dpa)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.