+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++: Chaos bei Verteilung der Hilfslieferungen in Gaza
Eine US-Stiftung hat ihr Verteilzentrum für Hilfsgüter in Gaza eröffnet. Dort brach Chaos aus. Laut Rettungskräften wurden drei Menschen getötet.

Chaos bei der Eröffnung des Verteilungszentrums
Die Verteilung von Hilfsgütern im umkämpften Gazastreifen durch eine neue Stiftung soll trotz anfänglicher Tumulte weitergehen. Das teilte die Gaza Humanitarian Foundation (GHF) nach Berichten über die Stürmung eines neuen Verteilungszentrums im Süden des Küstenstreifens und Plünderungen mit – dabei soll es laut palästinensischen Angaben mehrere Tote und Dutzende Verletzte gegeben haben. Lastwagen mit weiteren Hilfsgütern sollen der Stiftung zufolge heute in den Gazastreifen einfahren, die Liefermengen sollen täglich größer werden.
Nach der Eröffnung des von unzähligen hungrigen Menschen belagerten GHF-Zentrums im Süden des dicht besiedelten Gebiets – insgesamt sind vier Zentren geplant – war es laut israelischen Medienberichten und Augenzeugen zu chaotischen Szenen gekommen. US-Wachleute gaben demnach Warnschüsse ab, Menschen seien in Panik geraten. Später berichteten palästinensische Rettungskräfte, drei Menschen seien durch Schüsse der israelischen Armee getötet und dutzende weitere verletzt worden. Die Armee äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorfall.
Die Stiftung teilte dazu mit, angesichts des großen Andrangs am Verteilungszentrum in Rafah habe das GHF-Team sich punktuell zurückgezogen, „um es einer kleinen Anzahl von Gaza-Einwohnern zu erlauben, Hilfsgüter auf sichere Weise zu nehmen und sich wieder zu zerstreuen“. Das Team habe sich dabei an das Sicherheitsprotokoll gehalten, um Opfer zu verhindern. Die normale Arbeit sei danach wieder aufgenommen worden. (dpa)
Stiftung beklagt Behinderungen durch Hamas
Angesichts einer monatelangen Blockade von Hilfsgütern durch Israel, die zuletzt etwas gelockert worden war, hat sich die verzweifelte Lage vieler Menschen in dem umkämpften Küstenstreifen nochmals verschlimmert. In dem von rund zwei Millionen Palästinensern besiedelten Gebiet, das zu weiten Teilen zerstört ist, fehlt es an Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Medikamenten und nahezu allen Dingen des täglichen Bedarfs.
Die GHF soll nach dem Willen der israelischen Regierung künftig für die Verteilung der Hilfsgüter zuständig sein. Bisher seien rund 8.000 Lebensmittelpakete verteilt worden, teilte die Stiftung mit. Jedes Paket könne etwa fünf bis sechs Menschen für dreieinhalb Tage ernähren. Insgesamt seien es 462.000 Mahlzeiten. Allerdings sei es wegen Behinderungen durch die islamistische Hamas zu mehreren Stunden Verzögerung bei der Auslieferung gekommen. (dpa)
Hamas nennt neue Verteilungsmethode „totalen Misserfolg“
Das Hamas-Medienbüro teilte nach dem Vorfall mit, der von Israel initiierte Mechanismus zur Verteilung von Hilfsgütern sei ein „totaler Misserfolg“. Das von der Terrororganisation kontrollierte Innenministerium hatte die Einwohner des Gazastreifens zuvor dazu aufgerufen, den neuen Verteilmechanismus zu boykottieren.
Mit der von den USA unterstützten Verteilstrategie will die israelische Regierung nach eigenen Angaben verhindern, dass die Hamas Lieferungen für ihre eigenen Zwecke abzweigt und weiterverkauft, um damit dann Kämpfer und Waffen zu bezahlen. UN-Vertreter sagen, Israel habe keine Beweise dafür vorgelegt.
Die vier GHF-Verteilungszentren im Süden und im Zentrum des Gazastreifens sollen von US-Sicherheitsfirmen betrieben werden. Israel will so Hilfsorganisationen der UN und anderer internationaler Helfer umgehen. (dpa)
Netanjahu spricht von „momentanem Kontrollverlust“
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach am Dienstagabend von einem „momentanen Kontrollverlust“ bei der Verteilung der Hilfsgüter. „Wir haben es wieder unter Kontrolle gebracht“, sagte er bei einer Ansprache. Man werde weitere Zentren eröffnen.
„Die Idee ist grundsätzlich, der Hamas die Plünderungen humanitärer Hilfsgüter als ein Kriegsinstrument wegzunehmen und sie der Bevölkerung zu geben“, so Netanjahu. Ziel sei es, „eine sterile Zone im Süden Gazas zu haben, in der die gesamte Bevölkerung sich zu ihrem eigenen Schutz bewegen kann“.
Viele Palästinenser befürchten eine neue Welle der Flucht und Vertreibung aus dem Gazastreifen, ähnlich wie während des Kriegs im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 und während des Sechstagekriegs 1967. An Israels Vorgehen in dem Küstengebiet, wo täglich Dutzende Tote infolge israelischer Angriffe gemeldet werden, gibt es international massive Kritik. (dpa)
Chef der Stiftung kurz vor Anlaufen der Hilfe zurückgetreten
Die US-Regierung begrüßte die neu angelaufene Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen – und ging zugleich auf Abstand zur dahinterstehenden Stiftung. Man spreche nicht für die GHF, betonte die Sprecherin des Außenministeriums, Tammy Bruce. Kritik vonseiten der Vereinten Nationen und internationaler Hilfsorganisationen, die Stiftung sei nicht unabhängig und agiere im Interesse Israels, nannte Bruce „bedauerlich“. Es sei „die Höhe der Heuchelei“, sich darüber zu beklagen, wer die Hilfe bringe oder wie sie organisiert sei.
Kurz vor dem Anlaufen der Hilfe war der GHF-Vorsitzende Jake Woods – ein US-Militärveteran – zurückgetreten. Berichten zufolge hielt er es nicht für möglich, den unter seiner Führung entwickelten Plan umzusetzen und gleichzeitig „die humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“ zu wahren. (dpa)
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