Kriminalautor über NSU-Komplex: „Die offizielle Story stimmt nicht“
Im ZDF läuft am Montag die 3. Verfilmung von Wolfgang Schorlaus Dengler-Krimis. Thema: NSU-Komplex. An der Version der Bundesanwaltschaft hegt er große Zweifel.
taz am wochenende: Herr Schorlau, die dritte Verfilmung Ihrer Krimireihe rund um den Privatermittler Georg Dengler heißt „Die schützende Hand“ und handelt vom NSU-Komplex, insbesondere von dem mutmaßlichen Suizid von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 in einem Wohnmobil im Eisenacher Stadtteil Stregda. Wie gefällt Ihnen der Film?
Wolfgang Schorlau: Sehr gut. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie man mein Buch in bewegte Bilder umsetzen kann, denn ich lasse die Leser gewissermaßen die Akten mitlesen, die mein Held, der Dengler, gerade studiert. Lars Kraume, der Regisseur, kam auf die Idee, das Wohnmobil, in dem die Leichen der beiden Neonazis gefunden wurden, nachbauen zu lassen, sodass er die Aktenbefunde kammerspielartig inszenieren konnte. So kann man nun sehen und räumlich einordnen, was über den Tatort Eisenach-Stregda dokumentiert ist.
Wie viel Einfluss haben Sie auf die Drehbücher? Und wie viel Einfluss möchten Sie überhaupt nehmen?
Am Anfang warnten mich viele Kollegen, die schlechte Erfahrungen mit der Verfilmung ihrer Bücher gemacht haben. Deswegen hatte ich viele Gespräche mit Regisseur und Produzent, bis ich das sichere Gefühl hatte, dass meine Figuren bei ihnen in guten Händen sind. Jetzt lese ich die Drehbuchfassungen, kommentiere sie und gebe Hinweise. Doch entscheidend ist: Der Film ist nicht mehr mein Werk. Es ist das Werk von Lars Kraume.
Haben Sie Bedenken dagegen gehabt, dass die sehr komplexe Geschichte des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, die sich über zwei Jahrzehnte erstreckt und einer der großen Skandale der Bundesrepublik ist, in der Verfilmung zwangsläufig vereinfacht würde?
Das ist für mich nicht so die Frage. Über den NSU-Komplex gibt es unterschiedliche Geschichten. In München erzählt uns die Bundesanwaltschaft: Der NSU ist eine Terrororganisation aus drei Einzeltätern. Diese Zelle war isoliert vom Rest der rechten Szene, weil sie konspirativ agierte – und erst recht war sie isoliert von den Inlandsgeheimdiensten. Die Idee ist: Zwei Mitglieder der Terrorzelle sind tot, wir verknacken die dritte, und damit ist die Sache erledigt. Das ist, in aller Kürze, die offizielle NSU-Geschichte – und gegen die richtet sich mein Buch, denn an unzähligen Beispielen kann man nachweisen, dass sie nicht stimmt.
Was passt denn nicht?
Nichts passt zusammen. Ein Beispiel: Die Zeitfolge der Ereignisse im Wohnmobil. Was die beiden Verbrecher Mundlos und Böhnhardt innerhalb von 20 oder 30 Sekunden alles gemacht haben sollen: Aus einer Maschinenpistole auf zwei Polizisten schießen, nachdem die Waffe klemmt, verabreden sie Mord und Selbstmord, Mundlos erschießt Böhnhardt, Mundlos legt Feuer, Mundlos geht in das Heck des Wohnmobils, Mundlos setzt sich und schießt sich in den Kopf. All das innerhalb der festgestellten kurzen Zeit! Das ist unmöglich.
Die offizielle Geschichte ist aber doch differenzierter: Zum einen sind noch weitere Unterstützer angeklagt, zum anderen sagen verschiedene Untersuchungsausschüsse, dass es bei der Ausspähung der Tatorte Unterstützung durch die lokale rechte Szene gegeben haben muss. Eigentlich gibt es überhaupt nicht die eine offizielle Version. Clemens Binninger, der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses des Bundestages, glaubt an weitere Mittäter.
Ich würde schon sagen, dass es eine offizielle Version gibt. Das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz hat in seiner Festschrift zum 60. Jubiläum versucht, den NSU als singuläres Phänomen zu definieren, die Bundesanwaltschaft sieht das ähnlich. Das würde ich „offiziell“ nennen. Der Fortschritt, der durch die Untersuchungsausschüsse, vor allem durch die Nebenkläger im Münchner Prozess und durch eine Reihe von Journalisten kam – und vielleicht auch durch mein Buch –, hat dazu geführt, dass heute nur noch wenige die offizielle Version der Bundesanwaltschaft glauben.
Im Nachwort Ihres Buches bezeichnen Sie Ihre Arbeit als literarische Ermittlung und Suche nach Wahrheit. Warum behaupten Sie dann im Buch und im Film nach wie vor, dass die Feuerwehrfotos vom Tatort verschwunden wären? Tatsächlich sind sie inzwischen ja wiederaufgetaucht.
Haben Sie die Fotos gesehen? Wo sind sie?
Wir persönlich haben sie nicht gesehen, aber die Polizei sagt, sie hätte die Fotos gefunden.
Wir wollten sie gerne sehen – ich kenne niemanden, der sie gesehen hat – und glaube das erst, wenn ich die Fotos gesehen habe. Ich würde dann in der nächsten Auflage der „Schützenden Hand“ eine entsprechende Richtigstellung veröffentlichen.
Beschäftigen Sie sich noch aktiv mit dem weiteren Verlauf und sehen Sie den Bedarf, Ihre Darstellung in Teilen zu ergänzen oder zu widerrufen?
Das literarische Projekt ist abgeschlossen. In der Taschenbuchausgabe haben wir trotzdem noch eine Nachrecherche vorgelegt: Die Totenflecken von Mundlos und Böhnhardt befinden sich bei beiden auf dem Rücken. Böhnhardt wurde aber auf dem Bauch liegend aufgefunden, Mundlos sitzend. Ihre Totenflecken hätten eigentlich auf dem Bauch beziehungsweise auf dem Gesäß sein müssen. Deswegen halte ich es für erwiesen, dass die beiden Neonazis nicht in diesem Camper gestorben sein können. Wenn sich aber irgendwann herausstellen sollte, dass ich mich getäuscht habe, dann wäre das sehr beruhigend.
Sie haben Angst vor der schützenden Hand und hoffen, dass es sie nicht gibt?
Ja.
Welche Perspektive ergibt sich daraus für politisches Handeln?
Also, die Frage überfordert mich. Ich wollte wissen, ob es denkbar ist, dass Geheimdienste versuchen, Neonazis zu steuern und einzusetzen. Meine Recherchen legen den Verdacht nahe, dass es so ist oder dass es zumindest ernsthaft probiert wurde. Daraus kann jeder seine eigenen Schlüsse ziehen. Ich freue mich, wenn sich Leser aufgrund meines Buches gegen rechts engagieren oder ermutigt sind, wenn sie es bereits tun, aber ich gebe keine Handlungsanweisungen.
schreibt politische Kriminalromane. Sein Held Georg Dengler ist ein ehemaliger BKA-Ermittler. In Denglers achtem Fall von 2015 greift Schorlau die Ereignisse um die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) auf.
Die Verfilmung „Die schützende Hand“ wird am 6. November um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt.
Wenn man behauptet, dass die Neonazis vom Geheimdienst gesteuert werden – verharmlost das nicht ihr Handeln sowie ihre auf Vernichtung ausgerichtete Ideologie?
Ich kenne das Argument und werde Ihnen ehrlich sagen: Ich finde es erbärmlich! Ein Autor namens Matthias Quent schrieb im Spiegel über mein Buch: „Die Suche nach der ‚schützenden Hand‘ verstellt immer mehr den Blick auf die Gestalt des Rassismus.“ Ich bedauere ernsthaft, dem Autor des Artikels den Blick auf den Rassismus verstellt zu haben – das war niemals meine Absicht. Doch ich kenne niemanden außer ihm, bei dem diese Blickverstellung eingetreten ist. Eher berichten mir Leserinnen und Leser, dass ihr Blick geschärft wurde, nicht zuletzt durch die Beschreibung der langen Geschichte der Kooperation zwischen Nazis, Neonazis und Geheimdiensten in Deutschland. Und wenn ich beim NSU sehe, dass der Inhalt der Akten nicht zu der offiziellen Story passt – soll ich aus Rücksichtnahme sagen: Das wische ich vom Tisch?
Na ja, die Frage ist doch eher: Was ist das wahrscheinlichere Szenario – gelenkte Geheimdienstmarionetten oder aktives Neonazi-Netzwerk?
Ist das nicht ein Scheinwiderspruch? Wird das, was diese Verbrecherbanden gemacht haben und noch machen, gefährlicher oder ungefährlicher, wenn man annimmt, dass sie keine Unterstützung vom Inlandsgeheimdienst im Rücken hatten und haben? Ich würde sagen: Mit Unterstützung sind sie umso gefährlicher.
Warum haben Sie sich derart auf die Ereignisse in Stregda fokussiert?
Zu diesem Fall gibt es das meiste Material. Der frühere Fraktionsvorsitzende der Linken im Thüringer Landtag hat mich übrigens darauf hingewiesen.
Sie meinen den jetzigen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow?
Ja. Der hat mich gestalkt, wenn Sie so wollen. (lacht) Ich kannte ihn vorher nicht. „Stregda stinkt“, sagte er mir bei einem Treffen. Er war hartnäckig. Dafür bin ich ihm heute dankbar. „Guck es dir an“, sagte er. Ich tat es widerwillig und bin regelrecht in die Details reingeraten. Nichts passte zusammen, je tiefer ich grub, desto größer wurden die Lücken.
Wenn Sie es für die Geschichtsbücher aufschreiben müssten: Was hat der Staat dort erreichen wollen?
Wenn ich das wüsste, würde ich vielleicht doch ein zweites Buch schreiben. Aber man kann die Sicherheitsbehörden auch nicht mit „dem Staat“ gleichsetzen. Sie sind nur ein kleiner Teil davon. Und es gibt natürlich die hartnäckigen Fakten: die erheblichen Summen für die Szene, die enorme Anzahl von V-Leuten, ihren Schutz bei Strafverfolgung, den damaligen Präsident des Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, der heute weit rechts von der AfD steht.
Glauben Sie denn, der letzte Beweis, die sogenannte Smoking Gun, findet sich irgendwann?
Wer weiß. Im Augenblick muss man keine neonazistischen Terrorgruppen füttern, um das gesellschaftliche Klima zu ändern. Im Augenblick gibt es rassistische Massenbewegungen und entsprechende Wahlergebnisse. Eine Katastrophe.
Was halten Sie von der medialen Berichterstattung über den NSU?
Die Medien agieren unterschiedlich. Was etwa die Süddeutsche Zeitung gemacht hat, ist ein Skandal, die ist hart auf der Linie der Bundesanwaltschaft. Das nehme ich ihr richtig übel. Lichtblicke sind der Stern, aber auch die Welt – und auch die taz sowie eine Vielzahl von Blogs, wie zum Beispiel NSU-Watch-Seiten und andere.
Haben Sie eigentlich Einfluss darauf, welcher Roman aus der Dengler-Reihe verfilmt wird?
Sagen wir so: Im ZDF sitzen höfliche Leute, die mich zumindest fragen.
Unterschreiben Sie für jede Verfilmung einen neuen Vertrag?
Ja.
Gibt es schon konkrete Gespräche zu Denglers fünftem Fall, dem „München-Komplott“ rund um das Oktoberfestattentat 1980 in München?
Es gibt Überlegungen dazu. In diesen Tagen wurde die Verfilmung meines Romans „Fremde Wasser“ abgedreht.
Schreiben Sie selbst eigentlich auch Drehbücher?
Ja. Aber die sind in der Schublade am besten aufgehoben.
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