Bulgariens Regierung tritt zurück: Das war's mal wieder
Nach wochenlangen Protesten im ganzen Land zieht die bulgarische Regierung Konsequenzen. Jetzt dürfte es wieder zu Neuwahlen kommen.
Nach wochenlangen Protesten hat Bulgariens Ministerpräsident Rossen Scheljaskow am Donnerstag den Rücktritt seiner Regierung bekannt gegeben. „Wir hören die Stimme der Bürger, wir müssen den Forderungen nachkommen“, sagte Scheljaskow vor der Nationalversammlung. Am Vorabend waren erneut mehr als 100.000 Menschen allein in der Hauptstadt Sofia auf die Straße gegangen. Auch in etlichen anderen Städten, etwa Plowdiw, Varna und Burgas, protestierten Tausende.
Der Rücktritt erfolgte kurz vor einer geplanten Misstrauensabstimmung im Parlament. Nun soll ein Übergangskabinett folgen, bevor im Frühjahr zum achten Mal in fünf Jahren neu gewählt wird. Die Koalition aus der konservativen GERB, den Sozialisten und der rechtspopulistischen ITN war weniger als ein Jahr im Amt.
Anlass der Proteste, an denen besonders viele junge Menschen teilnahmen, war der Haushaltsentwurf für 2026. Der Entwurf sah unter anderem eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge vor. Gleichzeitig sollten die Staatsausgaben auf ein Rekordhoch von 46 Prozent des BIP steigen. Nicht wenige sorgen sich, dass die zusätzlichen Einnahmen in korrupte Staatsstrukturen umgeleitet werden könnten. Die Regierung zog den Haushalt Anfang Dezember zurück, doch die Protestierenden machten weiter und forderten Neuwahlen.
Das Budget war nur der sprichwörtlich letzte Tropfen. „Die Menschen protestierten schon den ganzen Sommer über – jede Woche gab es kleinere Demos in Sofia“, sagt Adela Katchaounova von der bulgarischen Helsinki-Stiftung. Ein wichtiger Auslöser war die Festnahme des oppositionellen Bürgermeisters von Varna, der fünf Monate in Untersuchungshaft saß. „Es war für jeden klar, dass das politisch motiviert war“, sagt die Juristin.
Im Schnelldurchgang
Ursache für den überbordenden Frust sei „die Arroganz der Entscheidungsträger“, sagt Ivo Indzhov, Medienexperte und politischer Analyst in Sofia. Er nennt die Entscheidung, die einzige bulgarische Ölraffinerie zum Verkauf freizugeben. Sie wurde binnen 27 Sekunden in einem parlamentarischen Ausschuss durchgepeitscht – die Opposition konnte nicht einmal teilnehmen. Auf ähnliche Weise wurde auch das Budget beschlossen. Diese Vorgehensweise stieß vielen auf, auch vielen Jungen.
Seit jeher gilt zudem Korruption als enormes Problem in Bulgarien. In ländlichen Regionen herrsche ein System politischer Abhängigkeit, sagt Katchaounova. Wer sich nicht mit lokalen Machthabern arrangiere, müsse Nachteile fürchten.
Die Juristin berichtet von einem Dorf, dem kurzerhand der Strom abgedreht wurde, nachdem es einen anderen Bürgermeister als den bisherigen gewählt hatte. „Auch die Kontrolle versagt, denn Justiz und Antikorruptions-Kommission werden politisch kontrolliert“, sagt Katchaounova. Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Bulgarien, neben Ungarn und Rumänien, auf dem EU-weit letzten Platz.
Maskierte Gruppen
Im Zuge der Proteste kam es zu Versuchen, diese zu diskreditieren. Bei einer der größten Versammlungen Anfang Dezember tauchten maskierte Gruppen auf, die Feuerwerkskörper warfen und mehrere Teilnehmer:innen verletzten. „Die Polizei stand einfach da und schaute zu“, berichtet Katchaounova.
Erst spät wurde sie tätig und nahm über 70 Personen fest, nicht jedoch die Randalierer selbst. Die befragten Experten sind sich sicher, dass die Proteste von bezahlten Provokateuren infiltriert wurden, um Stimmung gegen die Bewegung zu machen.
Auch die Einführung des Euro zu Anfang 2026 werde instrumentalisiert, sagt Politikanalyst Indzhov. „Die Regierung stellt sich als Garant für Stabilität und einen guten Übergang zum Euro dar, während die Opposition das Land destabilisiere.“ Tatsächlich spielt der Euro bei den Protesten aber kaum eine Rolle.
Vor einigen Tagen stellte sich auch Präsident Rumen Radew, aus den Reihen der Opposition stammend, auf die Seite der Demonstranten: „Neuwahlen sind der einzige Weg nach vorn.“ Nun wird es sie geben. Der Rücktritt der Regierung markiert eine weitere Etappe in Bulgariens politischer Dauerkrise.
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