Debatte um Wahlen in der Ukraine: „Lassen Sie mich bitte in Ruhe mit diesen Wahlen“
US-Präsident Trump findet, die Ukraine soll trotz Krieg eine Präsidentenwahl abhalten. Und was meinen die Ukrainer?
Ein Bus von Odessa nach Charkiw am Mittwoch. Eine ältere Dame mit schwarzen Haaren in einem Dutt. Was sie von der Diskussion über Neuwahlen halte, frage ich sie. „Eigentlich nichts“, antwortet sie. „Die werden entweder gar nicht stattfinden, oder die Regierung wird sie fälschen. Aber“, fügt sie hinzu, „besser solche Wahlen als gar keine Wahlen.“ Wahlkampf sei immer eine schöne Zeit, da höre man viele Versprechungen. Im Wahlkampf seien die Politiker auf einmal ganz nett zu den Wählern.
Grischa, Student, 22 Jahre, meint: „Selenskyj würde die Wahlen verlieren. Gegen Walerij Saluschnyj hat er keine Chance.“ Saluschnyj ist der ehemalige Armeechef und populärster Politiker der Ukraine neben Präsident Selenskyj; er ist seit einem Jahr ukrainischer Botschafter in London. Unterschiedlicher könnten Selenskyj und Saluschnyj nicht sein, findet Grischa. Doch ändern würde sich eh nichts, ist er sich sicher. Egal wer gewinnt. Saluschnyj werde eher noch unnachgiebiger bei der Wehrpflicht sein. „Der wird sicher das Mobilisierungsalter von 25 auf 22 Jahre runtersetzen. Ach, wäre ich doch besser ausgereist“, sagt der 22-Jährige.
Eine ältere Dame mit Gemüse und Kartoffeln in den Taschen. „Lassen Sie mich bitte in Ruhe mit diesen Wahlen. Mich interessieren die einfach nicht.“ Sie will das Gemüse in der nächsten Stadt verkaufen. „Mich interessiert vor allem, ob ich heute das, was ich hier mit mir führe, verkaufen kann. Die Wahlen, nun ja, ich weiß gar nicht, ob ich da überhaupt wählen werde.“
„Es gibt keine Wahlen“, sagt ein Taxi-Fahrer in Charkiw am Taxi-Stand. „Weil es nirgendwo im Krieg Wahlen gibt, außer vielleicht in Israel.“ Dann fügt er hinzu: „Ich werde Selenskyj nicht noch einmal wählen. Aber ich will nicht, dass wir jetzt im Krieg Wahlen durchführen. Selenskyj soll bleiben, solange wir Krieg haben, und dann soll er gehen.“ Und er fragt sich, wie die Wahlen praktisch aussehen sollen. „Die in den besetzten Gebieten können nicht wählen, die an der Front auch nicht unbedingt, die in Russland leben, sowieso nicht, und ob man in Westeuropa wird wählen können, wird sich noch zeigen. Und nach solchen Wahlen kann Putin wirklich sagen, der Präsident ist nicht legitim.“
„Wie soll ich wählen?“
Ein Hauptmann der ukrainischen Streitkräfte, 52, der anonym bleiben möchte, sieht logistische Probleme für Soldaten: „Wie soll ich wählen oder mich überhaupt vernünftig mit den Kandidaten vertraut machen, wenn ich das gesamte letzte Jahr genau acht Tage nicht im Donbass war. Was ist, wenn ich oder einer meiner Kameraden kandidieren möchten, aber das Oberkommando nein sagt, weil wir gerade an der Front gebraucht werden? Das verletzt mein Recht und das meiner Kameraden, an den Wahlen teilzunehmen. Wo bleibt da die Demokratie?“
Ein anderer Taxi-Fahrer, mit dem ich in meine Unterkunft fahre: „Aber selbst wenn Wahlen sind, weiß ich nicht, ob ich da hingehen werde. Ich habe nämlich genug eigene Probleme. Jetzt zum Beispiel. Wir haben gerade Luftalarm. Und bei Luftalarm funktioniert das GPS sehr schlecht. Das machen die extra, um die Drohnen fehlzuleiten. Ist ja richtig. Nur muss ich dann, wenn GPS ausfällt, mir selbst überlegen, wie ich als Taxifahrer mein Ziel erreiche. Und mir ist die Frage, ob ich im Monat über die Runden komme, wichtiger als die Präsidentenwahl, die wahrscheinlich eh nicht stattfinden wird. Ist doch alles nur ein abgekartetes Spiel.“
Mitarbeit: Juri Konkewitsch
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