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Gewalt im Westjordanland„Sie wollten das Kino anzünden“

Im ganzen Westjordanland steigt die Gewalt durch israelische Siedler gegenüber Palästinensern an, auch in Hebron, wo Issa Amro ein Kino einrichten will.

Wurde am 14. 2. 2023 im Westjordanland von einem israelischen Soldaten angegriffen: der palästinensische Aktivist Issa Amro Foto: Mussa Qawasma/reuters

Eigentlich wollten Sabine und Michael Friedrich nur einen kleinen Teil ihres Sabbaticals im Westjordanland verbringen und Issa Amro in Hebron besuchen. Sie kennen den palästinensischen Friedensaktivisten aus ihrem Engagement in der Menschenrechtsarbeit. „Doch in dieser Situation trauen wir uns nicht, die Leute hier im Stich zu lassen“, sagen sie.

Die Situation – das sind immer mehr Angriffe durch radikale israelische Siedler. In Hebron, einer Stadt im südlichen Westjordanland, spielt sich der Nahostkonflikt im Kleinen ab. Jüdische Sied­le­r*in­nen und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen leben dort mitunter Wand an Wand.

Die Stadt ist in zwei Gebiete unterteilt: H1, das unter palästinensischer Kontrolle steht, dort leben etwa 160.000 Palästinenser*innen, und H2, wo das israelische Militär für die Sicherheit verantwortlich ist und einige hundert Sied­le­r*in­nen und etwa 40.000 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen wohnen. Gebiet H2 ist von H1 durch eine Sperranlage getrennt. In der ganzen Stadt stehen etwa 100 physische Hindernisse, vor allem Checkpoints, die den Alltag der Ein­woh­ne­r*in­nen erschweren.

„Gewalt gab es hier immer wieder. Doch seit dem 7. Oktober haben die Angriffe durch Siedler um das Zehnfache zugenommen“, sagt Issa Amro in einem Videogespräch. Sein Haus liegt in Tel Rumeida, Gebiet H2, neben einem archäologischen Areal und am Rande von israelischen Wohnhäusern. Dort, bei ihm, kommen auch die Friedrichs unter.

Nahost-Konflikt

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Amro fürchtet um sein Leben

Gerade ist Amro jedoch bei seinen Eltern, wohin er schon vor längerer Zeit seinen 13-jährigen Sohn gebracht hat. In Amros Haus sei es für ihn zu unsicher. Am 8. Oktober 2023 hätten Siedler versucht in sein Haus einzubrechen und hätten Steine auf Amro geworfen. Nun fürchtet Amro um sein Leben. „Ich wollte meine Eltern und meinen Sohn sehen, falls in den nächsten Tagen was passiert.“

Die Friedrichs erzählen von dem, was sie erleben, in einem Café im Süden des Westjordanlands. Im Hintergrund singt ein Sänger Lieder auf Arabisch. Die beiden Deutschen sehen aus, als seien sie Urlauber. Doch statt Urlaub zu machen, werden sie in diesen Tagen Zeugen davon, wie die Gewalt gegen Palästinenser sich immer weiter zuspitzt.

Am vergangenen Samstagnachmittag zum Beispiel. Da inspizieren erst drei Siedler, mit Kippa auf dem Kopf und den weißen Kordeln unter der Jacke hängend, Amros Haus und das Außengelände. Wenige Stunden später, gegen 22 Uhr, kommen die drei wieder vorbei und bohren Löcher in die Wasserleitung, die neben dem Haus fließt. Ein Video zeigt den Schaden.

Als sie entdeckt werden, fliehen die Siedler. Etwa eine Stunde später hören die Friedrichs ein metallenes Kreischen von oben. Die Haus­be­woh­ne­r*in­nen rennen auf die Terrasse, in die obere Etage, und dann weiter aufs Dach.

Der Soldat greift nicht ein

In dem Moment stehen sich die zwei Gruppen kurz gegenüber: Die Be­woh­ne­r*in­nen filmen. Die Siedler bohren ein Loch ins Wellblechdach. Die Leitern, um aufs Dach zu klettern, hatten sie mitgebracht. Orangefarbene Kanister auch, sie sehen aus wie Benzinkanister. Unten vor dem Haus, knapp zehn Meter weiter, steht ein israelischer Soldat, der scheinbar nichts hört und nichts sieht.

Die jungen Siedler packen ihre Geräte und die Leitern zusammen und entfernen sich langsam, zurück in die benachbarte Siedlung. Vorbei an dem Soldaten, der zuvor nicht eingegriffen hat. Er packt einen der Jugendlichen am Arm und befragt ihn kurz, doch dann lässt er ihn und seine Kumpel weiterziehen. Kurz danach geht er mit langsamen Schritten den jungen Siedlern hinterher und verschwindet in der Siedlung. Die Szene ist in einem Video zu sehen, das die Friedrichs in ihrem Blog gepostet haben.

Das Haus von Issa Amro ist für die Siedler wohl aus mehreren Gründen Ziel vermehrter Angriffe. Nicht nur, dass Amro selber den Siedlern ein Dorn im Auge ist. Amro ist preisgekrönter Aktivist, mit dem sogenannten alternativen Nobelpreis wurde er geehrt, er wurde mehrfach durch israelische und einmal durch palästinensische Behörden festgenommen und ist ein Verfechter gewaltlosen Widerstands.

„Sie wollten das Kino anzünden“

Der „Gandhi Palästinas“ wird er in den Medien immer wieder genannt. Doch sein Haus ist auch Hauptsitz von Amros Verein „Youth against settlements“, Jugend gegen die Siedlungen. Und dort soll am Dienstag ein kommunales Kino eröffnen. Amro ist sich sicher, dass die jüngste Attacke mit diesem Kinoprojekt zu tun hat. „Sie wollten das Kino anzünden“, sagt er.

Das kommunale Kino ist ein lang gehegtes Projekt von Amros Verein. 2016 sollte „Youth against settlements“ das Kino schon eröffnen, in Kooperation mit dem israelischen Center for Jewish Nonviolence. Doch das israelische Militär behinderte damals immer mal wieder den Aufbau. Medienberichte bestätigen dies. Kurze Zeit später wurde Amro verhaftet. Das Projekt wurde gestoppt. Doch jetzt soll es so weit sein.

„Die Idee dahinter ist es, der Gemeinschaft die Gelegenheit zu geben, Filme zu schauen. Für Kinder, für Frauen, weil sie hier nicht rauskönnen. Es ist ein sehr wichtiges Projekt für unseren gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung“, erklärt Amro.

Dass die Situation jetzt so eskaliert, macht ihm Angst. „Ich bin wütend.“ Doch wegzuziehen ist für ihn keine Option. Hier zu leben, das allein sei schon eine Art von Widerstand, sagt er.

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