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Neues Gedenkstättenkonzept der RegierungKZ-Gedenkstätten droht der Zerfall

Das Kabinett verabschiedet Konzept für die Erinnerung an das NS-Regime und die SED-Diktatur. Die Erinnerung an die Kolonialverbrechen kommt nicht vor.

(KZ-)Gedenkstätten als Kritische Infrastruktur der Demokratie, für die Bundesregierung also vernachlässigbar Foto: Soeren Stache/dpa

Aus Berlin

Klaus Hillenbrand

Die Bundesregierung hat ihre aus dem Jahr 1999 stammende Konzeption zur Förderung von Gedenkstätten überarbeitet. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch die neue „Konzeption des Bundes für die Gedenkstätten zur Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur“.

80 Jahre nach dem Holocaust setzt der Bund damit neue Schwerpunkte. „Gedenkstätten und Erinnerungsorte sind zentrale Pfeiler unseres demokratischen Selbstverständnisses“, sagte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) bei der Vorstellung in Berlin. Sie seien „Teil der kritischen Infrastruktur unserer Demokratie“, ergänzte Evely Zupke, die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag. Er sei „froh und dankbar“ für das neue Konzept, sagte Uwe Nemärker, Leiter der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Weimer verwarf Überlegungen seiner Vorgängerin Claudia Roth (Grüne), die den Kreis der Gedenkorte ausweiten wollte. Ihr Entwurf, der auch das Gedenken an die Opfer des deutschen Kolonialismus und die Mordopfer des neonazistischen NSU mit einschloss, stieß unter den Gedenkstätten zur Erinnerung an die Nazi-Gräuel auf Ablehnung. Historiker befürchteten, dass damit die Singularität des Holocaust als einzigartiges Verbrechen relativiert werden könnte. Roths Plan von 2024 verschwand in der Schublade, Versuche, diesen wiederzubeleben, endeten mit dem Aus der Amperlkoalition.

Die nun verabschiedete Konzeption betont die nationalsozialistischen Verbrechen an Jüdinnen und Juden als singulär

Umgekehrt beklagten schon im Vorfeld der Veröffentlichung auf den deutschen Kolonialismus spezialisierte Historiker, dass in Weimers nun verabschiedetem Konzept diese Verbrechen ungewürdigt blieben. Der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte komme weiterhin große Bedeutung zu, sagte Weimer bei der Vorstellung des Konzepts, das sich auf NS- und DDR-Gedenkstätten beschränkt. Einen zentralen Gedenkort für die Opfer des deutschen Kolonialismus gibt es bisher nicht.

Konkrete Zahlen bleibt Weimar schuldig

Die nun verabschiedete Konzeption betont die nationalsozialistischen Verbrechen an Jüdinnen und Juden als singulär; die Übernahme der Verantwortung dafür gehöre „zu den ethischen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland“. Zur gesamtdeutschen Erinnerungskultur gehöre aber auch „die kommunistische Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR“, heißt es in dem Papier.

Weimer versprach, dass der Bund sich auch weiterhin an der Förderung zentraler NS-Gedenkstätten wie Buchenwald oder Bergen-Belsen beteiligen werde, blieb dabei aber konkrete Zahlen schuldig. „Wir bringen Erinnerungspolitik ins digitale Zeitalter“, sagte der Kulturstaatsminister. Tatsächlich sieht das Konzept eine Stärkung digitaler Wissensvermittlung vor – dies auch als Folge des Verschwindens der letzten Zeitzeugen. Zudem sollten Forschung und Vermittlung mithilfe neuer Ausstellungsformen vorangetrieben werden.

Die Gedenkstätten sehen sich neuen Herausforderungen ausgesetzt, so das Weimer’sche Konzept. Zum einen ginge es darum, ohne die Unterstützung von Zeitzeugen verstärkt junge Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen. Zum anderen drohen die Stätten des Nazi-Terrors zu zerfallen.

Mehr als 80 Jahre nach Kriegsende ist die historische Bausubstanz zunehmend bedroht. Uwe Neumärker bezifferte den Finanzbedarf zur Sanierung alleine in den KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück auf 140 Millionen Euro. Neumärker war es auch, der an die zunehmende Bedrohung von Gedenkstätten und ihrer Mitarbeiter durch Leugner historischer Fakten erinnerte.

Kritik an Ausblendung deutscher Kolonialverbrechen

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, begrüßte das neue Konzept als „wichtiges Zeichen“. Der klare Fokus auf die Verbrechen der NS-Diktatur sende dabei angesichts der Bedrohung jüdischen Lebens durch den wieder aufkeimenden Antisemitismus das richtige Signal“, sagte Schuster.

Dagegen erklärte die grüne Bundestagsabgeordnete Awet Tesfaiesus, sie bedaure, dass das Thema Kolonialismus in der Konzeption nicht mehr enthalten sei. Ein Kapitel der Geschichte, in der ein Völkermord geschehen sei, ließe sich nicht einfach wegreden, sagte sie der taz.

Die deutsche Erinnerungskultur mache unter der neuen Regierung „einen deutlichen Schritt rückwärts“, beklagte der deutsche Historiker und Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer gegenüber der taz. Weimer missbrauche die Singularität des Holocaust, um das Gedenken an die Verbrechen des Kolonialismus zu zurückzudrängen, kritisierte er. Damit entpuppe sich der Kulturstaatsminister „als konservativer, kolonialapologetischer Kulturkämpfer“.

Zimmerer warf Weimar vor, die Antwort darauf schuldig zu bleiben, weshalb zwar das Gedenken an Opfer kolonialer Gewalt als Relativierung des Holocaust angesehen werde, während das im selben Gedenkstättenkonzept angeführte Gedenken an die Opfer der DDR-Diktatur angeblich nicht zu einer ebensolchen Relativierung führe? „Wir brauchen eine Erinnerungskultur, die die singulären Elemente des Holocaust anerkennt, ohne koloniale Menschheitsverbrechen wie den Genozid an den Herero und Nama zu bagatellisieren“, forderte Zimmerer.

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