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Neuer Femizid-Gedenkort in LeipzigEin Mahnmal reicht nicht

In Leipzig soll ein Gedenkort für die Opfer von Femiziden entstehen. Um Gewalt gegen Frauen zu verhindern, braucht es auch Geld für Hilfsprojekte.

Demonstrierende am feministischen Kampftag sind laut für die Opfer von Gewalt, 8. März 2025, Leipzig Foto: Nikos Kanistras/imago

Es mag gut gemeint sein: Im Leipziger Stadtrat wurde in diesem Jahr ein neuer Gedenkort im öffentlichen Raum beschlossen. Wie es im Beschlussvorschlag von Die Linke heißt, soll dieser Ort „zur Prävention nicht nur von Femiziden selbst, sondern auch von sexueller und häuslicher Gewalt, die einem Femizid häufig vorangehen“ dienen.

An der Ausarbeitung des Antrags beteiligt waren auch die Leipziger Ortsgruppe #keinemehr und der Phia e. V., der sich gegen Gewalt gegen Frauen einsetzt. Mit einer stattlichen Summe von insgesamt 140.000 Euro soll das Projekt nun umgesetzt werden.

Es wird der erste behördlich beschlossene Gedenkort dieser Art und Größenordnung in Deutschland sein, lediglich in München ist ein ähnlich umfangreiches Vorhaben in Planung. In Osnabrück schuf die Künstlerin Irène Mélix bereits 2024 ein dreiteiliges Femizid-Mahnmal, das das internationale Hilfezeichen für häusliche Gewalt zeigt: eine offene, flache Hand, eine offene Hand mit eingeklapptem Daumen und eine geballte Faust.

Ein offizieller Gedenkort „generiert Aufmerksamkeit, schafft Sensibilisierung, die Bündelung von Ak­teu­r:in­nen und von Expertise“, sagt #keinemehr Leipzig der taz. So wird jenes Thema dauerhaft und für alle sichtbar in die Öffentlichkeit geholt, was bis heute nicht selten als „Beziehungsdrama“ oder „partnerschaftlicher Konflikt“ beschönigt wird.

Im besten Fall irritieren solche Orte und fordern uns heraus, tätig zu werden. So wie im Fall des Osnabrücker Mahnmals, das in seiner Schlichtheit einen stummen Hilferuf darstellt. Dass ein solches Handzeichen überhaupt existieren muss, ist erschreckend. Dass es international bekannt ist und während der Coronapandemie auf Tiktok viral ging, ebenfalls. Gedenkorte führen uns plastisch vor Augen: Gewalt an Frauen hat System.

Sensibler Umgang mit Opfern

Die Leipziger Ortsgruppe von #keinemehr und Phia e. V. sind an der Ausgestaltung des Ortes beteiligt. Wie der Leipziger Gedenkort aussehen soll, ist noch unklar, fest steht lediglich, dass es sich um eine dauerhaft installierte künstlerische Arbeit handeln soll. Denkbar ist ein ähnliches Mahnmal wie in Osnabrück, möglich aber auch eine über die Stadt verteilte Installation, bei der beispielsweise an Tatorten Gedenktafeln aufgestellt werden, ähnlich den Stolpersteinen.

Für #keinemehr Leipzig und Phia e. V. besteht die Schwierigkeit vor allem darin, sensibel mit den Opfern umzugehen. Dabei stellen sie sich Fragen wie: „Wie beziehen wir die Namen und Geschichten der Betroffenen ein? Wie detailliert schildern wir die Gewalt?“ Das ist wichtig, um Gedenken zu ermöglichen, ohne die Opfer einem entstellenden Voyeurismus preiszugeben. Auch deswegen sollten aktivistische Gruppen an der Umsetzung beteiligt sein.

Ohne ihren Input besteht eine weitere Gefahr: dass diese Orte zur reinen Symbolpolitik verkommen. Ein offizieller Gedenkort sorgt zwar für Sichtbarkeit, es darf jedoch nicht nur dabei bleiben. Die Aufarbeitung von Femiziden könnte von politischer Seite als abgeschlossen verbucht werden, wenn ein physischer Ort eingerichtet ist – schließlich hat man ja bereits eine ordentliche Summe dafür ausgegeben. Für eine solche reine Symbolpolitik ist das Thema zu drängend und die Umstände bedrohter Frauen zu lebensgefährlich.

Geld für ihre Unterstützung fehlt an allen Ecken und Enden. Im Jahr 2022 wurden über 16.000 Frauen aus Platzmangel bei Frauenhäusern abgewiesen. Ähnlich prekär ist es für Fachberatungsstellen, wie beispielsweise den Tilda-Fonds, die sich zum großen Teil aus Spenden finanzieren und auf ehrenamtliche Arbeit angewiesen sind. Auch Gruppen wie die Initiative Edelgard aus Köln, die auf Konzerten, an Karneval und bei Festivals Betroffene von sexualisierter Gewalt unterstützt, arbeiten mit knappen Mitteln. Ist es also wirklich ein Mahnmal für 140.000 Euro, das jetzt gebraucht wird?

Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann beschreibt in ihrem Buch „Der lange Schatten der Vergangenheit“, wie komplex offizielles Gedenken ist und was es braucht, um Missstände zu verändern. Was sie dort für das Gedenken an die Shoah beschreibt, lässt sich in Teilen auch auf Femizidgedenken übertragen.

Es braucht lebendiges Gedenken

Ein Gedenkort trage nur dann zu einer aktiven Erinnerungskultur bei, wenn er nicht einfach nur als eine Art Blitzableiter der eigenen Schuld funktioniere, sondern zur tatsächlichen Reflexion einlade: durch Partizipation, durch Information, durch das stetige Lebendighalten der Diskussion. Nur so könne ein solcher Ort auch präventiv zukünftige Gewalt verhindern.

Genau dieses lebendige Gedenken ist auch der Wunsch der aktivistischen Gruppen. Im Prinzip kann ein Gedenkort allerdings immer nur ein Baustein in einem komplexen Gefüge von Gedenken sein.

Wichtig dabei, so beschreibt es Assmann ebenfalls, sei, dass Erinnerung zum Ritual werde, beispielsweise in Form von jährlichen Gedenktagen, wie dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November. So wird das Vergangene regelmäßig in die Gegenwart zurückgeholt und es besteht die Möglichkeit für ein kollektives Erleben, kurz: ein geteilter Raum für Trauer, Erinnerung, Anklage, Mahnung.

Man darf gespannt sein, ob die Politik die Anregungen der selbst organisierten Initiativen ernst nimmt und es gelingt, einen Ort zu erschaffen, an dem genau dies möglich ist. Und das flächendeckend auch an anderen Orten Deutschlands. Wann der Gedenkort in Leipzig eröffnet wird, ist unklar. Noch wurden die beschlossenen Gelder nicht freigegeben.

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