Peter Unfried Die eine Frage: Warum braucht Klimaschutz mehr Kapitalismus?
Die Ökos sind nicht schuld daran, dass es keine angemessene Klimapolitik gibt. Die Grünen und die Klimaaktivisten auch nicht. Sie haben vieles versucht, einiges erreicht, und dennoch: Der Planet geht auf 3 Grad Erderhitzung zu. Das konnten auch sie nicht verhindern. Und das ist das Problem.
Auf der Weltklimakonferenz in Brasilien begab man sich in den vergangenen Tagen auf die Suche nach dem Warum. Dabei griff man gern zum klassischen Analysetool: Die anderen sind schuld. Die wollen nämlich nur Geld verdienen und es für Wurst ausgeben, ihre Wähler streicheln und dabei ihren Arsch platt sitzen. Keine Moral, kein Interesse an der Klassenfrage – im Gegensatz zu „uns“. Die müssen umkehren oder weg! Und „wir“ müssen moralisch weiter zulegen. Ein hilfreicher Ansatz – wenn man unseren Planten vollends erledigen will.
Will man aber mehr retten als die eigene Seele, muss man es jetzt anders machen. Bernd Ulrich hat in der Zeit einen großen Klimakongress angeregt. Eine gute Idee, wenn dort nicht wieder die gleichen Leute das Übliche erzählen. Es braucht keine Moralpredigten an Abwesende, sondern das Eingeständnis, was wir falsch gemacht haben. Es braucht einen Weg aus der wechselseitigen Lähmung von Politik und Gesellschaft. Es braucht Macher.
Deshalb braucht es, ich sage das Schreckliche, mehr Kapitalisten! Unternehmer, Ingenieure, Tüftler, Startupper, Leute, die etwas erfinden, marktreif machen, verkaufen. Festanstellungen bei einer NGO werden nicht ausreichen.
Es braucht Vernetzung von Aktivismus und Unternehmertum – nennen wir es unternehmerischen Aktivismus –, der nicht Demos veranstaltet oder Posts produziert, sondern emissionsfreie Infrastruktur. Es braucht volkswirtschaftliches Denken, nicht nur betriebswirtschaftliches.
Und: Es braucht mehr Konservative. Ich habe mich viele Jahre gesträubt gegen den Spruch, dass die großen Dinge immer von denen gemacht werden müssen, die sie nicht in ihrer Programmatik haben. Heute verstehe ich das so, dass große Vorhaben wie Atomausstieg, Arbeitsmarktreformen oder ein AfD-Verbot nur mit breiten Mehrheiten über Parteigrenzen hinweg gelingen können. Das gilt besonders für Klima- und Ökopolitik, die offenbar keine Partei wirklich angehen will.
Das alte Links-rechts-Schema hilft nicht weiter. Zum einen, weil die sozial-emanzipatorische Spätmoderne auf fossiler Basis entstanden ist. Zum anderen ist das Problem planetarisch. Deshalb muss die Bearbeitung global sein, also viele antiemanzipatorische und autoritäre Gesellschaften und Staatsformen beinhalten.
Peter Unfried ist Chefreporter der taz.
Die Frage ist nicht: Was muss man tun, damit Leute „sich ändern“ und freiwillig „verzichten“? Dieses Ethiksalongesäusel ist angesichts der dringlichen Lage ein Zeichen moralischer Wohlstandsverwahrlosung.
Die eigentliche Frage muss lauten: Wie schafft man Mehrheiten für ernsthafte Reformpolitik? Und vor allem: Welchen kulturellen, politischen und geopolitischen Rahmen braucht es, damit sich die entscheidenden Macher wirtschafts- und klimapolitisch engagieren – und Europa davon profitiert?
Das Eis schmilzt, die großen Schritte müssen jetzt passieren. Konzentrieren wir uns also auf das, was operativ möglich ist. Nicht auf „Klimagerechtigkeit“, sondern auf einen global funktionierenden CO2-Preis. Das Ziel ist eine klimafreundliche Wirtschaft und eine politische Mehrheit dafür. Wie das geht? Weiß ich auch noch nicht. Lasst uns dazu einen Kongress machen.
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