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Waffenstillstand in GazaTrump als Hoffnungsträger

Am Montag startet in Scharm al-Scheich der Nahost-Friedensgipfel. Es zeichnen sich komplizierte Verhandlungen über die zweite Phase von Trumps Plan ab.

US-Sondergesandter Witkoff betont, dass Netanjahu „ein sehr wichtiger Teil“ der Einigung gewesen sei. Doch der erntet Pfiffe Foto: Emilio Morenatti

Tel Aviv taz | Während in Israel und den palästinensischen Gebieten die Vorbereitungen für den Austausch von Geiseln und Gefangenen laufen, richtet sich die Aufmerksamkeit auf das ägyptische Scharm al-Scheich. Dort werden am Montag US-Präsident Donald Trump und die Staats- und Regierungschefs von rund 20 weiteren Ländern zu einem „Friedensgipfel“ für einen dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen erwartet. Obwohl manche Positionen zwischen Israel und der Hamas so unvereinbar wie bereits seit Monaten scheinen, äußerte sich Trump gegenüber Reportern im Weißen Haus optimistisch über einen dauerhaften Waffenstillstand. „Sie sind alle müde vom Kämpfen“, sagte Trump.

Das Treffen unter dem Vorsitz von Trump und dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi könnte weitere Unterstützung für den 20-Punkte-Plan des US-Präsidenten bringen. Geplant ist die Unterzeichnung eines Abkommens zur Umsetzung des Friedensplans, an der neben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und UNO-Generalsekretär António Guterres auch der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz teilnehmen soll. Die Hamas wird nicht dabei sein. Eine Teilnahme von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu war zunächst nicht angekündigt.

Nach dem Austausch von Gefangenen und dem Ende der Kämpfe in Gaza zeichnen sich komplizierte Verhandlungen über die zweite Phase von Trumps sogenanntem Friedensplan ab. Die Hamas hat ihrer in dem Plan geforderten Entwaffnung nie zugestimmt. Nach dem israelischen Abzug aus knapp 50 Prozent des Küstenstreifens tauchten online Videos von bewaffneten Hamas-Kämpfern bei Patrouillen auf.

Netanjahu und seine rechtsextremen Regierungspartner haben ein Ende des Krieges stets konsequent abgelehnt, solange die Hamas in Gaza noch an der Macht sei. Auch die künftige Verwaltung des Gazastreifens lässt bisher viele Fragen offen. Netanjahu drohte bereits, Israel werde den Krieg wieder aufnehmen, wenn die Hamas ihre Waffen nicht abgebe.

Vor dem Gipfel soll Trump am Montag Israel besuchen, Angehörige von Geiseln treffen und vor dem Parlament sprechen. Um 12 Uhr mittags endet eine Deadline für die Übergabe der 20 noch lebenden Geiseln sowie der sterblichen Überreste von 28 weiteren, die die Hamas bei ihrem Überfall am 7. Oktober 2023 verschleppt hat. Die Hamas hatte in den Verhandlungen angedeutet, nicht alle Leichen übergeben zu können, da manche unter Trümmern in dem weitgehend zerstörten Küstenstreifen begraben sein sollen.

Im Gegenzug hat sich Israel bereit erklärt, fast 2000 palästinensische Gefangene freizulassen, darunter 250 mit lebenslangen Haftstrafen, zum Teil für tödliche Anschläge auf Israelis. 135 von ihnen sollen ins Ausland abgeschoben, 115 ins besetzte Westjordanland oder nach Ost-Jerusalem gebracht werden. Unter ihnen ist etwa Ijad Abu al-Rub, der als Mitglied des Palästinensischen Islamischen Dschihad im Westjordanland für drei Terroranschläge zwischen 2003 und 2005 mitverantwortlich war, bei denen 13 Menschen starben.

Israel lehnt Marwan Barghoutis Freilassung ab

Die Freilassung von Schlüsselfiguren wie dem in der palästinensischen Bevölkerung weithin populären Marwan Barghouti hat Israel abgelehnt. Der 66-Jährige gilt als möglicher Nachfolger von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, weil er Unterstützung aus allen Lagern der palästinensischen Bewegung genießt.

Am Samstagabend besuchte Trumps Sondergesandter für Nahost, Steve Witkoff, den Tel Aviver Geiselplatz. Hunderttausende Menschen waren gekommen, um die bevorstehende Rückkehr der Entführten zu begrüßen und dem US-Unterhändler zu danken. Jedes Mal, wenn Witkoff den Namen Trump nannte, brach ohrenbetäubender Jubel aus.

Als er auch Netanjahu für das Abkommen danken wollte, ging seine Stimme minutenlang in Buhrufen unter. Witkoffs versuchte, den israelischen Regierungschef in Schutz zu nehmen: Netanjahu sei „ein sehr wichtiger Teil“ der Einigung auf eine Waffenruhe mit der Hamas und die Rückkehr der israelischen Geiseln aus Gaza gewesen. Doch viele Israelis werfen dem eigenen Regierungschef vor, eine Einigung lange verhindert zu haben.

Anders als während der vergangenen zwei Jahre war die Stimmung auf dem Platz zwischen Kunstmuseum und Armeehauptquartier an diesem Abend ausgelassen und optimistisch. Unter den Freigelassen dürfte unter anderen der 25-jährige Matan Zangaucker sein, dessen Mutter Einav während der vergangenen zwei Jahre von einer ehemaligen Netanjahu-Wählerin zu einer der schärfsten Regierungskritikerinnen unter den Familien der Angehörigen wurde.

Im Gazastreifen hoffen die Menschen indes inständig auf eine dauerhafte Waffenruhe. Hunderttausende kehrten bis zum dritten Tag der Waffenruhe in den Norden des Küstenstreifens zurück. Die meisten hatten das Gebiet erst vor Wochen auf der Flucht vor der israelischen Armee verlassen. Viele Rückkehrer fanden vor allem Trümmer vor. Aus Beit Lahia nördlich von Gaza-Stadt schreibt ein ehemaliger Bewohner: „Das Gebiet ist vollkommen zerstört, hier wird für lange Zeit niemand mehr leben können.“

Hilfsorganisationen fordern, mehr Grenzübergänge für humanitäre Hilfe zu öffnen

Mehr als 67.000 Menschen wurden laut dem von der Hamas geleiteten Gesundheitsministerium bei israelischen Angriffen binnen zwei Jahren getötet, 170.000 verletzt. Das sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung. 1,9 Millionen Menschen wurden laut dem UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA vertrieben, 90 Prozent aller Schulen zerstört oder beschädigt. Menschenrechtsorganisationen, renomierte Genozidforscher und UN-Experten werfen Israel Völkermord vor. Die israelische Führung weist das zurück und spricht von Selbstverteidigung.

Hilfsorganisationen forderten nach dem Inkrafttreten des Waffenstillstands, mehr Grenzübergänge für humanitäre Hilfe zu öffnen. Ab Sonntag soll Israel einer Ausweitung der Hilfslieferungen zugestimmt haben, berichtet die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf einen UN-Vertreter. In Nachbarstaaten sollen 170.000 Tonnen Lebensmittelhilfen bereitstehen, für die bisher die Einfuhrgenehmigung von israelischer Seite fehle. Bereits in den vergangenen Wochen waren mehr Hilfsgüter nach Gaza gelangt. Bewohner berichten, die zwischenzeitlich astronomischen Lebensmittelpreise seien gesunken.

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1 Kommentar

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  • Jetzt beginnt für die Palästinenser der Albtraum "fremde Besatzung". Voraussetzung hierfür ist der Rückzug Israels aus Gaza und die Entwaffnung der Hamas. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Hamas ihre Waffen abgeben werden. Sie wären damit der Willkür Israels wehrlos ausgesetzt.



    Ja, gewiss ist die Bevölkerung in Gaza des Krieges müde. Aber, man darf nicht vergessen, dass die Traumata nachwirken werden. Fast jede Familie hat vermutlich einen oder mehrere Angehörige verloren. Eine sehr gefährliche Situation. Wenn es während der Besatzung zu Ungerechtigkeiten kommt, werden diese Traumata sehr schnell wieder virulent werden.