1.322 Tage Krieg in der Ukraine: Ausreiseverbot für Wehrpflichtige – nicht in jedem Fall
Viele nehmen an, Männer im wehrfähigen Alter dürften die Ukraine generell nicht verlassen. Doch es gibt Ausnahmen, unser Autor fällt unter eine davon.

S ehr häufig fragen mich deutsche Bekannte: „Wie schaffst du es eigentlich, zwischen Berlin und der Ukraine zu pendeln? Gibt es denn kein Ausreiseverbot für Männer in deinem Alter?“
Doch, dieses Verbot gibt es, aber auch viele Ausnahmen davon – zum Beispiel für Männer mit schweren Behinderungen, für Väter mit mehreren Kindern oder für bestimmte Gruppen von Studierenden. Wichtig ist dabei immer, dass man offiziell registriert ist und die App „Reserv+“ nutzt. Dort steht, welchen Status man hat und wie lange die Zurückstellung von der Mobilisierung noch gültig ist.
wurde 1978 in Tschernihiw geboren und ist in Krywyi Rih aufgewachsen. Später arbeitete er als Journalist und Kommentator in Donezk und Kyjiw. 2015/16 und 2022 meldete er sich zum Dienst in der Armee, nach der Demobilisierung ist er mit seiner Familie nach Berlin gezogen. Seitdem pendelt er hin und wieder zwischen Deutschland und der Ukraine.
In Deutschland tauchen oft Videos auf, die angeblich zeigen, wie Militärangehörige Männer auf der Straße anhalten, mitnehmen und sofort zur Mobilisierungsstelle bringen. Viele dieser Aufnahmen sind jedoch nicht bestätigt oder sie sind sogar manipulativ. Trotzdem hat sich das Territoriale Zentrum für Personalbeschaffung und soziale Unterstützung (TZK und SP) schnell einen schlechten Ruf eingehandelt – und dieser verbreitet sich längst auch über die Grenzen der Ukraine hinaus.
Meine eigenen Erfahrungen sind jedoch weit weniger dramatisch. Ja, ich muss regelmäßig zu dem TZK und SP Kontakt aufnehmen, um mich sowohl in der Ukraine selbst als auch bei Ausreisen frei bewegen zu können. Und ja, die Aufgaben dort sind enorm, das Personal ist häufig überlastet – aber der Ablauf an sich bleibt sachlich und nachvollziehbar.
Natürlich ist alles ziemlich bürokratisch, aber dennoch machbar. In der Ukraine wird der Kriegszustand alle drei Monate per Gesetz verlängert. Sobald der neue Erlass veröffentlicht ist, müssen alle Männer, die ihre Zurückstellung verlängern möchten, ihre Unterlagen erneut einreichen – und diese Liste ist nicht gerade kurz.
Mein eigener Fall ist noch relativ unkompliziert: Ich bin in erster Ehe verheiratet und habe mit meiner Frau vier Kinder, die alle noch minderjährig sind. Bei anderen familiären Situationen ist es weitaus schwieriger – etwa mit adoptierten Kindern, Stiefkindern oder bei Halbgeschwistern. Ein leiblicher Vater, der nicht mit seinen Kindern zusammenlebt und keinen Unterhalt zahlt, darf sie zum Beispiel nicht für seine Zurückstellung angeben. Ein Stiefvater hingegen, der drei oder mehr minderjährige Stiefkinder versorgt, hat ein Recht darauf.
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Alle drei Monate muss ich also dieselben Kopien einreichen: meinen Wehrpass, die Heiratsurkunde, den Ausweis für kinderreiche Familien und die Geburtsurkunden meiner vier Kinder. Dann tagt innerhalb einer Woche eine Kommission, die prüft, ob bei allen Antragstellern die Dokumente vollständig und korrekt sind. Etwa eine weitere Woche später erscheinen die Ergebnisse dann in der App.
Seit Mai können kinderreiche Väter ihre Anträge auch online stellen. Wer jedoch Kinder hat, die im Ausland geboren wurden, muss trotzdem oft persönlich erscheinen oder Kopien per Post schicken. Das ist in meinem Fall so und liegt daran, dass ausländische Geburtsurkunden für die ukrainischen Register zunächst einmal „unsichtbar“ sind und nicht automatisch erfasst werden. Das macht die Sache etwas komplizierter – aber im Vergleich zu den großen Problemen im Land ist das eher eine Kleinigkeit.
Für die Menschen in der Ukraine ist der Krieg zum Alltag geworden. Trotz der Todesangst vor Luftangriffen und Kämpfen geht das Leben weiter: Die Menschen gehen zur Arbeit, zur Schule und zur Uni. Sie lieben, lachen, heiraten, bekommen Kinder, machen Urlaub. Sie trauern, sorgen sich – und hoffen auf Frieden. ➝ zur Kolumne
Das gesamte System steht unter einem enormem Druck, doch es funktioniert – nicht reibungslos, aber immerhin. Es versucht, sich den Umständen anzupassen und den Belastungen standzuhalten.
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