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Kretschmanns Buch über ArendtHannah und ich​

Winfried Kretschmann hat ein Buch über Hannah Arendt geschrieben. Und feiert sich und das Buch mit dem anderen Parteiphilosophen, Robert Habeck.

Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 2018, im Muir Woods National Monument in Kalifornien Foto: Nico Pointner/dpa

Stuttgart/taz | Vielleicht kann man Politiker ganz grob so einteilen: In jene, die Politik auf Grundlage von mehr oder weniger tieferen Überzeugungen gestalten, und in jene, die sie aus dem Bauch heraus machen – der oft von üppigen Fleischmahlzeiten gespeist ist, die dann auf Instagram ausgestellt werden.

Winfried Kretschmann gehört zweifellos zur ersten Kategorie. Sein präsidialer aber bodenständiger Regierungsstil wird von vielen Wählern geschätzt, Opposition und die eigene Partei sind davon bisweilen genervt. Auch Journalisten waren bisweilen genervt, wenn sie auf konkrete Fragen philosophische Sentenzen von ihm zur Antwort erhielten. Aber als erster und einziger Grüner Regierungschef in Deutschland hat er den Südwesten immerhin fast 15 Jahre, länger als jeder andere, seriös regiert. Und das ist in diesen Zeiten ja schon eine ganze Menge.

Jetzt, kurz vor dem Ende seiner Regierungszeit, hat Kretschmann ein Buch vorgelegt, in dem er sein politisches Denken erklärt. „Der Sinn von Politik ist Freiheit“ heißt es, und „Warum Hannah Arendt uns Zuversicht in schwieriger Zeit gibt“. Ein bisschen spät, denkt man sich. In der ersten Hälfte seiner Amtszeit hätte ein solches Buch eine Art politisches Programm sein können. Jetzt ist es eher ein Vermächtnis.

Wer schon ein paar Kretschmann-Reden gehört hat, der kennt seine Begeisterung für die jüdische Philosophin und Heidegger-Schülerin, die vor den Nazis fliehen musste, während ihr Lehrer im Hitler-System Karriere machte. Und so trifft man im Buch alte von Arendts Philosophie abgeleitete Bekannte wieder: Dass „Politik keinen Spaß, sondern Sinn macht“, zum Beispiel, oder auch sein Kredo, dass zivilisierter Streit die Menschen zusammenhält und unzivilisierter sie auseinandertreibt.

Mit Arendt gegen den inneren Mao

Trotzdem ist es ein ungewöhnliches Politikerbuch geworden: 136 Seiten über eine Philosophin zu schreiben und daraus seine Politik abzuleiten, das hat bisher nicht mal der andere philosophierende Grüne gewagt: Robert Habeck. Der – „das ist eine Ehrensache“ – nach Stuttgart gereist ist, um gut gelaunt Kretschmanns Schrift vorzustellen.

An diesem Abend vor vollen Rängen beweist der frühere Schriftsteller Habeck, dass er mindestens so gut im Stoff ist wie der 77-jährige Jung-Autor, der es schon in der ersten Woche auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat. Der frühere Vizekanzler erklärt mal eben allgemeinverständlich Grundbegriffe der Phänomenologie Martin Heideggers. Er beschreibt Arendts Begriff von Macht, die einem einzelnen nur von einer Gemeinschaft verliehen und von dieser auch genommen werden könne, als „ Befreiungsschlag für die Linke“. Arendt habe Skeptikern jeder Autorität einen positiven Begriff von Macht gegeben, mit dem sich Politik machen ließe. Kretschmann stimmt zu. In seinem Buch beschreibt er, wie ihn Hannah Arendt vor dem Extremismus gerettet hat. Als maoistisch geprägter Student habe ihn ein Satz Arendts direkter getroffen als alle anderen: „Was niemals aus den Gewehrläufen kommt, ist Macht.“ Denn Gewalt und Macht sind für Arendt Gegensätze.

In den besseren Momenten wirkt der Dialog im Stuttgarter Hospizhof wie ein kurz aufflackerndes Streichholzlicht in dunklen politischen Zeiten. Ein Dialog allerdings zwischen zwei Politikern, von denen der eine bald aus dem Amt scheidet und der andere mit seinem Politikstil vorläufig gescheitert ist.

Vielleicht auch deshalb bleiben die tieferen Einsichten in das Wesen von Politik, Macht und Hoffnung dann doch seltsam abgekoppelt vom politischen Alltag, den beide Gesprächspartner ja bestens kennen. Kretschmann gerät ins Stocken, als taz-Chefreporter Peter Unfried, der den Abend moderiert, wissen will, was denn nun im Sinne Hannah Arendts die Idee der Regierungen Kretschmann gewesen sei, hinter der sich die Menschen bei drei Wahlen versammelt hätten. Als der Grüne dann im zweiten Anlauf sagt, „die Natur in den Mittelpunkt zu stellen“, kommt einem unwillkürlich die maue Bilanz Baden-Württembergs beim Klimaschutz in den Sinn. Und so schleicht sich beim Beobachter der Verdacht ein, dass Kretschmann im politischen Alltag doch der Stückwerk-Theorie eines Karl Poppers näher ist als den Visionen Hannah Arendts.

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