: Soft Metal
Katharina und Martin Böck schmieden nicht nur Schneidendes und Schmückendes, sondern auch ihr gemeinsames Glück
Von Luciana Ferrando (Text) und Tina Eichner (Fotos)
Seit 31 Jahren sind Martin und Katharina Böck ein Paar. Seit 10 Jahren betreiben sie zusammen ihre „kleine, urige Handwerksmanufaktur“ in Berlin-Neukölln, in der sie Messer und Schmuck fertigen und reparieren.
Draußen: 1624 wurde die Rixdorfer Schmiede zum ersten Mal in einem „Landreiterbrief“ erwähnt, deshalb war in der Gegend schon damals viel los. „Es hielten Kutschen, man kümmerte sich um Karosserien und Pferde, bevor die Reisenden weiterzogen“, erzählt Katharina Böck, als wären die Anfänge der Schmiede Teil eines Märchens. So sieht auch das Haus mitten auf dem Richardplatz mit seinen schmiedeeisernen Lauben voller Blumen und der Holzbank unter dem Vordach aus. Kopfsteinpflasterstraßen und Gaslaterne verstärken das historische Flair. „Hier ist es immer noch ein Dorf“, sagt Böck. Kinderstimmen aus einer Schule mischen sich mit Kirchenglocken und den Schleifgeräuschen der Messer. Und über allem ertönt die Werkstattklingel, die neue Kund*innen ankündigt.
Drinnen: Es ist dunkel und kühl, Backstein und Holz, der Geruch von Metall in der Luft. Es gibt Martins Raum, Katharinas Raum, einen Schleifraum, einen kleinen Verkaufsladen und den Schmiederaum. Ein Blickfang dort ist der Lufthammer, der „Rolls-Royce unter den Lufthämmern“, wie Martin Böck erzählt. „Er kann einen dicken Stahlblock plattmachen, aber auch ein gekochtes Ei anschlagen.“ Daneben der Amboss, an den Wänden alle Werkzeuge einer traditionellen Schmiede. Der Star aber ist die Esse – die Feuerstelle, in der das Metall erhitzt wird. Über ihr steht „Willkommen“, dazu das Logo der Schmiede: ein Schwert mit einem Ring darum.
Urberliner: Im Laufe der Geschichte gehörte die Schmiede verschiedenen Schmiedefamilien. Seit der Nachkriegszeit gehört sie der Stadt Berlin, die sie wiederum verpachtet. So wie die Schmiede sind auch Katharina und Martin Böck „fast immer schon da gewesen“. Die beiden bezeichnen sich als „Urberliner“, bereits ihre Ururgroßeltern stammen aus Berlin. Bei ihr gab es Bäcker und Fleischer (wäre sie nicht Goldschmiedin geworden, wäre sie heute Konditorin, erzählt sie), bei ihm: Mathematiklehrerinnen, einen Fuhrmann und einen Schnapsbrenner, der zur Zeit der Gründung der Rixdorfer Schmiede lebte.
Das Paar: Kennengelernt haben sich Katharina und Martin Böck vor 31 Jahren. Da waren sie Anfang zwanzig. Die erste Begegnung der beiden hatte nichts mit dem Beruf zu tun. Sie trafen sich in einem Berliner Club. „Da kann man doch keinen vernünftigen Menschen kennenlernen“, sagte Katharinas Mutter damals. Heute lacht Katharina Böck darüber.
Martin: Nach 35 Jahren hat er sich wieder die Haare gefärbt: ein gelb-grüner Irokese, pünktlich für ein Meeting im Bundesverband Metall. „Was werden die davon halten?“, fragte er sich. „Wie cool!“, hörte er aber immer wieder. Als Teenager weckte der Buchklassiker „Der Herr der Ringe“ in Martin Böck den Wunsch, sich ein eigenes Schwert zu schmieden. 1996 legte er seine Gesellenprüfung ab zum „Schneidwerkzeugmechaniker in der Fachrichtung Messerschmiede- und Schneidemaschinentechnik“, wie der Beruf damals hieß. Sein Gesellenstück? Das Schwert. 2000 wurde er Meister in diesem Handwerksberuf.
Freunde: Am Anfang seiner Ausbildung war Böck enttäuscht: „Man schleift nur Rasenmäher und Kettensägen, man verletzt sich, es gibt viel Staub und Dreck. Es ist öde“, sagt er. Deshalb wollte er nach sechs Wochen aufhören und erzählte es seinen Freunden. Das war im McDonald’s, nach einem Kinobesuch im Zoo Palast – eine Tradition der Gruppe. „Wenn du das machst, schlagen wir dich“, war die Reaktion. „Da sie meine Clique aus dem Kampfsportverein waren, wusste ich, dass sie es ernst meinten, und habe dann weitergemacht.“
Faszination: Nach einem halben Jahr in der Ausbildung entdeckte Martin Böck seine Begeisterung für alles, was schneiden kann. Bis heute fasziniert ihn, warum etwas gut oder weniger gut schneidet und wie man es verbessern kann. „Kund*innen achten eher auf das Ästhetische: Sie wollen ein massives, wertvolles Objekt besitzen“, sagt er. Was ihn wirklich interessiert, seien die technischen Aspekte. Böck besucht weiterhin Fortbildungen und tauscht sich gerne mit Kolleg*innen darüber aus.
Der Weg nach Rixdorf: „Das erste Mal, als ich hier war, war ich gar nicht da“, sagt Martin Böck. Er habe von einem Ausbildungsplatz als Schmied in Rixdorf gehört, doch er fand die Werkstatt nicht: „Der damalige Schmied mochte Menschen und Schmieden nicht. Deshalb war die Werkstatt im Gestrüpp versteckt.“ Die Ausbildung absolvierte er woanders. 2003 erfuhr Böck dann, dass die Schmiede wieder verpachtet werden sollte, und bewarb sich. Da ihm die 750 Euro Pacht zu viel waren, schloss er sich zwei Kolleginnen an. Sie gründeten eine Werkstattgemeinschaft. „Die Nachbarschaft freute sich, dass die Schmiede wieder zum Leben kam“, erzählt er. Katharina Böck, die sich zu der Zeit noch um die gemeinsamen Kinder kümmerte, war an diesem Tag zum ersten Mal dabei.
Katharina: Schon als Kind bastelte sie ihre ersten Ketten und Ringe zusammen, damals noch aus Glasperlen und Draht, „wie es Kinder so machen“. Als Jugendliche liebte sie Glitzer und präsentierte ihrer Familie immer neue Kreationen. „Ach, Goldschmiedin wäre eigentlich der richtige Beruf für dich“, sagte ihr einmal ihr Vater, als sie 16 war. „Aber damals träumte ich davon, Musikerin zu werden“, erzählt sie. Jahre später wird sie ihrem Vater recht geben.
Musik: Katharina Böck studierte Musikwissenschaft, sang und spielte Flöte, Klavier und Dudelsack – letzteren aber nur bis zur ersten Schwangerschaft, weil es für das Baby gefährlich sein sollte. Eine Ausbildung als Musiktherapeutin begann sie ebenfalls, doch das Geld war zu knapp, also brach sie ab. „Schade“, sagt sie, „aber auch gut. Sonst wäre ich vielleicht nicht Goldschmiedin geworden.“
Umwandlung: Auf die Idee, nun doch Goldschmiedin zu werden, kam Katharina Böck, weil sie und Martin „schon immer“ etwas zusammen machen wollten. „Er zum Beispiel die Messerklingen, ich die Griffe mit viel Verzierung.“ Anfangs fehlten dafür jedoch noch die Ressourcen. Erst als alle ihre drei Kinder in Kita und Schule waren, begann Katharina Böck 2011 ihre Ausbildung zur Goldschmiedin. 2015 machte sie ihre Gesellenprüfung. In der Werkstatt in Rixdorf fing sie dann an, ihre eigenen Kreationen zu schmieden.
Herzensstücke: Katharina Böcks „Baby“ sei ihre Schmuckkollektion, die von Legosteinen inspiriert sei, erzählt sie. Doch vor allem liebe sie alten Schmuck: „Historisches und Erbstücke finde ich am schönsten.“ Die Schmuckbox ihrer Großtante, in der sie als Kind oft gekramt hatte, habe sie unversehrt geerbt. Besonders freue sie sich, wenn sie alte Schmuckstücke, „die über die Zeit Schaden genommen haben, wieder hübsch machen darf“. Reparaturen machen ihr Spaß. „Reich wird man nicht, aber man macht Menschen glücklich“, sagt Katharina Böck. Genau diesen Satz antwortete sie auch bei der Aufnahmeprüfung zur Ausbildung auf die Frage „Warum wollen Sie Goldschmiedin werden?“. Darauf hatte ihr Ausbilder nicht zu erwidern.
Alltag: Katharina und Martin Böck freuen sich, heute die Rixdorfer Schmiede gemeinsam zu führen und den Alltag zu teilen. Sie erledigen große und kleine Aufträge, reparieren Schmuck, fertigen Messerklingen, organisieren Workshops und Veranstaltungen, um die Kunst des Schmiedens zu vermitteln. Am meisten genießen sie aber den Feierabend, erzählen sie. Am Ende des Tages bereiten sie sich „einen ordentlichen Cappuccino“ mit der alten Kaffeemaschine im Hinterraum zu, sitzen draußen unter dem Vordach und lassen die Anstrengungen des Tages hinter sich.
Glück: „Wann sind wir glücklich?“ Katharina und Martin Böck schauen sich an und antworten im Chor: „Wenn wir tanzen.“ Seit sechs Jahren nehmen sie Tanzunterricht. Gehen sie abends zusammen tanzen, fühlen sie sich frei und unbeschwert. „Wenn wir tanzen, ist die Welt in Ordnung“, sagt er, und sie nickt.
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