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Aufarbeitung des Krieges in KolumbienErstes Urteil gegen Kolumbiens Farc-Guerilla

Wegen über 20.000 Entführungen sollen frühere Kommandeure der Farc-Guerilla in Kolumbien Wiedergutmachungsarbeit leisten. Es ist das erste Urteil der Sonderjustiz.

Der kolumbianische Richter der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP), Camilo Andres Suarez, während der Urteilsverkündung Foto: Luisa Gonzalez/reuters
Katharina Wojczenko
Von Katharina Wojczenko aus Berlin

Fast 22.000 Menschen hat die Farc-Guerilla im bewaffneten Konflikt in Kolumbien entführt. Das Sondergericht für den Frieden hat jetzt sein erstes Urteil verkündet – und sieben Mitglieder des letzten Sekretariats der Farc-Guerilla mit der Maximalstrafe versehen: acht Jahre – aber kein Gefängnis, sondern „Wiedergutmachungsarbeit“ für die Menschen in den Regionen, die darunter besonders gelitten haben.

Die ehemaligen Kommandanten müssen unter anderem in dieser Zeit verminte Gebiete entschärfen, bei der Suche nach gewaltsam Verschwunden helfen und bei Umweltprojekten den Schaden an der Natur wiedergutmachen und den Ökotourismus fördern.

Die Verurteilten gehörten der Spitze der demobilisierten Guerilla an, die das Friedensabkommen mit der kolumbianischen Regierung unter dem späteren Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos unterzeichnete.

Entführungen waren ein Mittel, um die Guerilla zu finanzieren und Druck auf die Regierung auszuüben. Auch wenn die Taten in den meisten Fällen vom Mittelbau, Unterbau oder von einfachen Milizionären und nicht der Spitze der Guerilla begangen wurden: „Die Verantwortung liegt auch bei denen, die an der Spitze die strukturellen Voraussetzungen für diese Verbrechen geschaffen haben“, erklärte Richter Camilo Andrés Suárez.

Wahrheitsfindung und Opfer im Mittelpunkt

Sieben Jahre hatte das Gericht für die Ermittlungen und das Urteil gebraucht. Das Urteil umfasst auch Verbrechen, die während der Gefangenschaft begangen wurden. Dazu gehören Verschwindenlassen, Mord, Vertreibung, Zwangsarbeit, Folter, grausame und unmenschliche Behandlung sowie sexuelle Gewalt.

Das Sondergericht für den Frieden (JEP) ist ein Teil des „Integralen Systems für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung“ (SIVJRNR). Geschaffen hat es 2016 das Friedensabkommen zwischen Farc-Guerilla und kolumbianischem Staat. Es soll die Verbrechen aufklären und bestrafen, die in den mehr als 50 Jahren bewaffnetem Konflikt begangen wurden – durch die Guerilla, aber auch durch staatliche Sicherheitskräfte.

Das Gericht arbeitet nach den Prinzipien der „restorative justice“. Dabei stehen die Opfer und ihre Rechte im Mittelpunkt, die Wiedergutmachung an ihnen. Die Wahrheitsfindung ist ihnen in den meisten Fällen wichtiger als die Höhe der Strafe. Außerdem geht es um Versöhnung.

Deshalb gibt es die reduzierten Strafen nur für Täter:innen, die zur Wahrheitsfindung beitragen – und zum Beispiel verraten, wo Menschen ermordet und begraben wurden. Sieht das Gericht keinen Willen bei den Angeklagten, zur Wahrheitsfindung beizutragen, müssen diese vor die ordinäre Justiz, wo ihnen weitaus höheren Strafen drohen.

Für die volle Umsetzung der Urteile fehlt noch immer Geld

Die Opfer standen zudem im Zentrum bei den Ermittlungen und bei den öffentlichen Anhörungen, wo Opfer ihren Peinigern oder den Peinigern ihrer verstorbenen oder verschwundenen Lieben Fragen stellen konnten, die sie ein Leben lang umgetrieben hatten. Dabei wurden sie psychologisch betreut, um den aufreibenden Prozess durchzustehen.

Auch bei den Strafen stehen die Opfer und ihre Bedürfnisse im Zentrum. Das erste Urteil ruft in Kolumbien gemischte Reaktionen hervor. Manche zivile und militärische Opfer beklagen in der Onlinezeitschrift Cambio die in ihren Augen zu milden Strafen. Sie hatten teils mehr als zehn Jahre in Gefangenschaft unter entwürdigenden Bedingungen verbracht.

Eine weitere Schwierigkeit: Für die Umsetzung dieses und der kommenden Urteile fehlt immer noch ein Großteil des Geldes. Insgesamt braucht es etwa 26 Millionen Euro für die Projekte, die fünf bis acht Jahre laufen werden. „Das sind keine Kosten, sondern eine Investition in den Frieden“, betont Gerichtspräsident Alejandro Ramelli.

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