Sanktionen gegen Israel: Spanien sollte Vorbild sein
Obwohl immer mehr Experten von Genozid in Gaza sprechen, scheut sich Deutschland vor Maßnahmen gegen Israel. Spanien zeigt uns, wie es gehen könnte.

S paniens Ministerpräsident Pedro Sánchez ist einer der wenigen europäischen Regierungschefs, der Maßnahmen ergreift, mit dem Ziel, den Krieg in Gaza zu stoppen. Nach der Anerkennung Palästinas als Staat im Mai 2024 legte der Chef der in Minderheit regierenden Linkskoalition vergangene Woche einen Neun-Punkte-Katalog vor, mit dem er Druck auf die Regierung von Benjamin Netanjahu ausüben will, damit diese dem „Völkermord“ – wie Sánchez den Krieg in Gaza offen nennt – Einhalt gebietet.
Die Maßnahmen umfassen ein Einreiseverbot für diejenigen, „die am Genozid beteiligt sind“, ein Waffenembargo, wie es Madrid schon länger von der Europäischen Union fordert, sowie das Verbot für Schiffe mit Material für die israelische Armee, in Spanien anzulegen. Damit stellt sich Madrid offen gegen die USA, die an der spanischen Südküste eine Marinebasis unterhalten.
Die Linkskoalition aus den Sozialisten von Sánchez und dem linksalternativen Bündnis Sumar reagiert damit nicht zuletzt auf den sozialen Unmut in Spanien. Denn die Proteste gegen Israel nehmen zu. So mussten die meisten Etappen der Spanienrundfahrt – eines der wichtigsten Radrennen weltweit – vorzeitig beendet werden. Menschen mit Palästinafahnen blockierten die Strecke. Sie fordern, dass das Team Israel – Premier Tech ausgeschlossen wird, und verweisen auf den Boykott gegen Russland aufgrund des Krieges gegen die Ukraine.
Im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses schlossen sich in Madrid Dutzende Lehrer im Kulturzentrum Círculo de Bellas Artes ein. Sie verlasen die Namen der über 18.000 Kinder und Jugendlichen, die in Gaza bei Schulbeginn nicht dabei sein werden. Sie wurden Opfer der israelischen Bomben und des Hungers. Die Presse berichtete ausführlich.
Was die Bevölkerung will, ist eindeutig
Die Stimmung in Spanien ist eindeutig. In einer Umfrage des Real Instituto Elcano, eines Thinktanks für internationale Politik und Strategie, bezeichneten 82 Prozent der Befragten das Vorgehen Israels als Völkermord. Die letzten, immer unerträglicheren Bilder aus Gaza, die Vertreibung der Bevölkerung aus der Hauptstadt und deren Zerstörung dürften diese Zahl eher noch nach oben getrieben haben. Auch wenn Spaniens Rechte weiter hinter Israel steht, ein überwältigender Teil ihrer Wähler*innen tut dies nicht.
Sánchez weiß sehr wohl, dass Spanien alleine nicht die Kraft haben wird, um Israel zu stoppen. Doch er will, dass sein Land „auf der richtigen Seite der Geschichte“ steht. Israel verhängte im Gegenzug zu den Maßnahmen Madrids für die Vizeregierungschefin und Arbeitsministerin Yolanda Díaz und die Ministerin für Jugend und Kindheit, Sira Rego – beide von Sumar –, ein Einreiseverbot und beschimpfte Sánchez als „Antisemiten“, obwohl der spanische Premier auch deutliche Worte gegen die Hamas findet. Antisemitismus ist damit einmal mehr das Hammerargument, wenn nichts mehr geht.

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Als Sánchez im Mai 2024 ankündigte, Palästina als Staat anerkennen zu wollen, reagierte Tel Aviv ähnlich, und der Spanier wurde in so mancher europäischen Hauptstadt kritisch beäugt, gar offen angefeindet. Ein Jahr später haben viele nachgezogen, andere – wie Frankreich oder Großbritannien – stellen eine Anerkennung in Aussicht. Allerdings ist dies mittlerweile ein symbolischer Akt, der angesichts der Entwicklung viel zu kurz greift. Ein Trümmerfeld hat als Staat keine Chance, selbst wenn Netanjahu dies zulassen würde.
Deutschland schaut weiter zu
Andere Länder – darunter Deutschland oder Österreich – schauen einfach zu, wie Netanjahu und seine rechtsextremen Partner einen Krieg führen, der weit über das hinausgeht, was internationales Recht unter Krieg versteht. Jede noch so kleine Maßnahme gegen die israelische Regierung wird dort heiß diskutiert und verläuft dann im Sande. Eine Untätigkeit, die sich durch nichts – auch nicht mit „Staatsraison“ aufgrund der eigenen Vergangenheit – entschuldigen lässt. Es ist unerklärlich und unerträglich, dass so viele – anders als bei Russland – untätig bleiben.
Nur zur Erinnerung: Bisher sind mehr als 63.000 Tote und mehr als 159.000 Verletzte in Gaza zu beklagen. Hinzu kommt die gezielte Einschränkung von Lebensmittellieferungen, die dazu führt, dass rund 250.000 Menschen von Unterernährung bedroht sind. Zwei Millionen Menschen wurden aus ihren Wohnungen vertrieben. Kein Ort in Gaza ist mehr sicher. Das ist längst kein Kampf gegen eine Terrorgruppe mehr. Es fällt schwer, dieses gezielte Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung nicht in eine Kategorie wie „Völkermord“ zu fassen.
Und gerade wer sich wirklich – sei es aus eigener „Staatsraison“ oder aus anderen Gründen – Sorgen um Israel macht, der sollte sich den Maßnahmen gegen Netanjahu anschließen. Israel baute seit seiner Gründung international auf eine moralische Unterstützung und Sympathie, die vermutlich genauso wichtig ist wie die materielle Unterstützung aus Ländern wie den USA oder Deutschland. Diese Sympathie hat Netanjahu längst verspielt. Und die materielle Unterstützung, wie Waffenlieferungen an die Armee, alleine ist langfristig kein Garant für ein demokratisches Israel, wie wir es kannten.
Andere müssen jetzt nachziehen
Zehntausende haben bereits vor dem Gazafeldzug – während der autoritären Justizreform Netanjahus – das Land verlassen. Der Krieg dürfte diese Entwicklung nur noch verstärken. Dies verschiebt das Kräfteverhältnis im Land noch deutlicher in Richtung ultrareligiöser und rechtsextremer Strömungen, die nur eine Lösung im Sinne haben: Großisrael ohne Palästinenser. Kein gutes Zeichen, nicht nur für Israel, und schon gar nicht für die Region.
Deshalb bleibt zu hoffen, dass die Schritte, die der spanische Premier Sánchez und seine Linkskoalition jetzt beschlossen haben, einmal mehr – wie bei der Anerkennung Palästinas – Vorbildcharakter haben werden und andere Länder bald nachziehen.
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