Bonner Schau zu Susan Sontag: Sie machte Denken zur öffentlichen Praxis
Susan Sontag sollte man sich jetzt zu Gemüte führen. Warum, macht eine Ausstellung über die Essayistin in der Bonner Bundeskunsthalle deutlich.

Susan Sontag war vieles: Schriftstellerin, Theoretikerin, Weltbürgerin, Diva. Sie konnte arrogant, ungeduldig, verletzend sein – und sie war kompromisslos in ihrem Denken. „Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke“, notierte sie in ihren Tagebüchern. Denken war für Sonntag ein offener, nie abgeschlossener Prozess. Und genau das macht sie heute wieder so aktuell. Sie verkörperte etwas, das im digitalen Zeitalter selten geworden ist – die Bereitschaft zur Revision, zum öffentlichen Widerruf, zum Eingeständnis: Ich habe mich geirrt.
In der Bonner Bundeskunsthalle wird dieser Mut derzeit greifbar. Die Ausstellung „Susan Sontag. Sehen und gesehen werden“ zeigt, wie konsequent Sontag sich auch gegen die eigene Biografie stellte. So etwa im Fall der Regisseurin Leni Riefenstahl. Zunächst feierte Sontag Riefenstahls während der NS-Zeit entstandenen Filme als formal brillante Meisterwerke. Doch nach der Veröffentlichung von Riefenstahls Fotoband über die Nuba im Sudan 1963 erkannte sie in dieser Ästhetik eine gefährliche politische Verführung.
„Faschistische Kunst glorifiziert die Unterwerfung, feiert den blinden Gehorsam, verherrlicht den Tod“, schreibt Sontag 1974 in ihrem Essay „Fascinating Fascism“. Damit markierte sie nicht nur eine persönliche Kehrtwende, sondern verhinderte maßgeblich Riefenstahls Comeback in den USA. Solche Wendungen machen Sontag zu einer unbequemen, aber aufrichtigen Denkerin. Während das Internet heute oft nach Eindeutigkeit verlangt – nach Haltung, Schlagzeile, Shitstorm –, lebte Sontag intellektuelle Unruhe. Sie dachte öffentlich, riskierte Widerspruch.
Dass sie sich früh für Fotografie und Film interessierte, lange bevor diese im Kulturbetrieb anerkannt waren, passt ins Bild. In ihrem 1977 veröffentlichten Essay „On Photography“ beschrieb sie die Kamera als Instrument der Macht, das die Welt nicht nur abbildet, sondern formt. „Fotografieren heißt, sich das Abgebildete anzueignen“, schrieb sie. Ein manipuliertes Foto aus dem Jahr 1945 – in der Ausstellung zu sehen – illustriert das perfekt: Die gehisste Flagge über dem Berliner Reichstag wurde nachträglich mit mehr Rauch und zusätzlicher Symbolik aufgeladen. Was wie Dokumentation aussieht, ist Inszenierung.
Sontag warnte vor der Illusion objektiver Bilder. Heute, in Zeiten von Deepfakes und KI-generierten Inhalten, erscheint ihre Skepsis fast prophetisch.
Mut zur Meinung
Doch Sontag war nicht frei von Eitelkeit und Affekt. Ihre Lust an scharfen, polemischen, oft aphoristischen Formulierungen brachte Klarheit, spitzte aber auch bis zur Missverständlichkeit zu. In einer von algorithmisch befeuerter Empörung, verkürzten Kontexten und digitaler Gnadenlosigkeit geprägten Öffentlichkeit würden manche ihrer provokanten Aussagen heute wohl nicht zur Debatte, sondern direkt zur Eskalation führen. Ihr Mut zur Meinung war bewundernswert – aber nicht immer maßvoll.
Und dennoch: Während in den USA unter Donald Trumps zweiter Amtszeit vieles von dem, wofür sie stand – liberale Öffentlichkeit, kultureller Zweifel, moralische Verantwortung – wieder zur Disposition steht, erinnert Sontags angstfreie Streitlust daran, wie wichtig Denken als öffentliche Praxis ist.
Dafür braucht es allerdings mehr als den Mut einer Einzelnen. Es braucht eine Gesellschaft, die Widerspruch aushält. Und den Raum öffnet für etwas, das Sontag nie für Schwäche hielt: das Eingeständnis, falsch gelegen zu haben.
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