die ortsbegehung: Auf den Abstand kommt es an
Sie sind heute selten geworden, aber im mittelfränkischen Windsbach gibt es noch ein 100-Meter-Becken. Das macht das Schwimmen zur meditativen Angelegenheit
Aus Windsbach Jo Seuß
Es ist ein erhebendes Gefühl, in diesem Becken zu schwimmen. Keine Fliesen, kein Chlorgeruch, dafür windelweiches Wasser, durch das man hindurchgleitet. Umgeben von einer heruntergedimmten Freibad-Geräuschkulisse, in der Kinderkreischen wie Meditationsmusik klingt. Wie machen die das, fragt man sich: dass man im Windsbacher Waldstrandbad so seelenruhig schwimmen kann?
Es ist kein gewöhnliches Becken, sondern eines der letzten im XXL-Format in Deutschland. In Chemnitz, Kaiserslautern und Gladbeck gibt es auch noch welche, 100 Meter lang sind die und 60 Meter breit. Also mehr als doppelt so groß wie die üblichen Schwimmbecken, die der Wettkampfnorm von 50 mal 25 Metern entsprechen.
Dass die mittelfränkische Kleinstadt Windsbach so ein Großformat bietet, hat viel mit dem nahe gelegenen Nürnberg zu tun. Dort wurde von 1926 bis 1928 ein großer Sport- und Freizeitpark errichtet, in dem es neben einem Fußballstadion eben auch ein Freibad mit 100-Meter-Becken gab. Nachdem Nürnbergs Sportpark bei den Olympischen Sommerspielen in Amsterdam 1928 eine Goldmedaille für Architektur erhalten hatte – das gab es damals wirklich! –, befürchtete man in Windsbach, dass die Bevölkerung in die Nachbarstadt 40 Kilometer östlich abwandern würde.
Folglich tauchten Ende der 1920er Jahre erste Überlegungen für ein konkurrenzfähiges Freibad auf. Damals war das Geld knapp, so wie in vielen Kommunen. Es dauerte bis Herbst 1937, dass das Projekt aktenkundig wurde: Auf der Weiherwiese im Windsbacher Ortsteil Retzendorf fand eine Besichtigung statt. Anschließend gingen Grundstückskauf und Bau des „Freiluftschwimmbads“ flott voran.
Nach fünf Monaten, 1938, war das Naturfreibad fertig, das bis heute der Schwalbenbach speist. Vergilbte Schwarzweißbilder zeigen, wie die Menschenmassen herbeiströmten, um sich Körper an Körper zu erfrischen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des NS-Regimes blieb die Anlage mit ihrem Sprungturm und der Elefantenwasserrutsche eine Publikumsattraktion. Ergo wurde 1951 der dunkelbraune hölzerne Umkleidetrakt auf 53 Kabinen verdoppelt.
Es hätte wohl ewig so weitergehen können, dann kamen ab den 1980er Jahren die Spaßbäder. Die Städte mussten sparen und überlegten, wie sie ihre Badeanstalten sanieren konnten. Ende der 1990er halbierte Nürnberg sein XXL-Becken, doch in Windsbach tickten die Uhren anders. Seit 2014 steht das Freibad unter Denkmalschutz, 2017 begann die Sanierung für 4,8 Millionen Euro, verbunden mit der Entscheidung, das 100-Meter-Becken zu sichern – eingebettet in ein Gesamtkonzept, das sich als stimmig erwiesen hat.
Wikingerschiff und Wasserpflanzen
Die Stadt Windsbach erhielt die alten Umkleidekabinen, die hübsch mit rotweißen Fleißigen Lieschen verziert sind. Ergänzend entstand ein Neubau mit modernen Duschen und Toiletten. Und das Becken wurde in drei Bereiche geteilt: Die Mitte blieb fürs Schwimmen, am Rand kam einerseits ein Kinderbereich mit Wikingerschiff und Sandstrand dazu, andererseits durften sich Wasserpflanzen neben einem erweiterten Ensemble von Rutschen und neuem Sprungturm breitmachen.
Hier übt auch mal die Bundeswehr
Die Besonderheit
Das Schwimmen im 100-Meter-Becken ist verblüffend: Es weitet den Blick, wirkt sehr entspannend – erst recht in natürlich gefiltertem Naturwasser. Man fühlt sich wie ein Fisch im Wasser!
Das Zielpublikum
Das Freibad plus spricht Wasserratten jeden Alters an, vom brustschwimmenden Genießer bis zu Dreikäsehochs, die eher das Wikingerschiff mit seinen zwei Rutschen lockt. Der Naturliebhaber kann Wasserrosen bewundern, wer will, auf zwei Holz(lauf)stegen lustwandeln. Ein angrenzender Wohnmobilstellplatz macht das Bad zum idealen Pausenstopp zwischen Berlin oder Hamburg und dem Süden.
Hindernisse auf dem Weg
Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen will, hat schlechte Karten. Besser ist da schon die Anbindung ans Radwegenetz. Vor dem Bad befindet sich sogar eine Radstation mit Lademöglichkeit für E-Bikes.
Das Reinigen des Badewassers wurde in einer raffinierten Kombination aus verschiedenen natürlichen Filter- und Säuberungsverfahren eingebettet. Das Feinjustieren habe ein paar Jahre gedauert, räumt Bademeister Thomas ein. Doch diese Saison ist das Team erstmals richtig zufrieden – kaum Algenwachstum, fast keine Verschlammung, Karpfen, Schleie und Stichlinge tummeln sich und werden im Herbst wieder abgefischt. Mithilfe von Blinklichtern und Fahnen hält man Wasservögel fern.
Die Hauptattraktion bleibt die Chance, 100 Meter am Stück in einem Zug durchzuschwimmen. Das hat sich herumgesprochen: Vor dem Ironman in Roth trainierten Triathleten im Waldstrandbad. Kürzlich machten Bundeswehrsoldaten hier ihre Leistungsprüfung in voller Kampfmontur. Und der einheimische Schützenverein springt für seinen Sport-Mix aus Schießen und Schwimmen alle Jahre wieder in die unbeheizten Fluten: Deren Temperatur liegt im Sommer so um die 22, 23 Grad, sagt zumindest die handbeschriebene Tafel vor der Kasse.
Sofern der August noch mal richtig warm wird, rechnen die Betreiber mit 40.000 Badegästen im laufenden Jahr, langfristig werden 50.000 pro Saison angepeilt. Viele Einheimische haben eine Saisonkarte, auch viele Windsbacher Chorknaben sind Stammgäste. Manche kommen nur vorbei, um eine Pizza mitzunehmen. Und natürlich gibt es hier auch Pommes. Kaum bestellt, liegen sie schon auf dem Teller. Auch ein erhebendes Gefühl.
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